Am 13. März beginnt in Salvador da Bahia, im Nordosten Brasiliens, das 15. Weltsozialforum. Zehntausende Aktivisten aus international agierenden NGOS, aber auch aus regionalen Bewegungen, kommen hier zusammen, um sich auszutauschen, voneinander zu lernen und gemeinsam neue zivilgesellschaftliche Impulse zu setzen. Ihr Motto seit jeher: Eine andere Welt ist möglich. Doch was in der Anfangszeit etwa von der New York Times als „Supermacht Weltöffentlichkeit“ angepriesen wurde, muss sich heute neu erfinden: Nach siebzehnjährigem Bestehen ist die öffentliche Strahlkraft des Forums gesunken. Oder, wie der deutsche Klimaaktivist und Energiereferent der Rosa-Luxemburg-Stiftung, Tadzio Müller, in einem Beitrag über das letzte Forum schrieb: „Die Ironie ist mit den Händen zu greifen: Die Institution, die am stärksten mit der Kritik des neoliberalen „There is no alternative“-Diktums verbunden ist, lebt weiter, weil es dazu keine Alternative gibt.“ Was also ist in den letzten 17 Jahren passiert?

2001 wurde das Weltsozialforum gegründet – es war die Idee einiger Basisbewegungen in Brasilien, die ein selbstorganisiertes Gegengewicht zum Weltwirtschaftsforum in Davos schaffen wollten. Es ging darum, eine internationale Öffentlichkeit zu schaffen, die sich, unabhängig von Regierungen und staatlichen Institutionen, kritisch mit dem vorherrschenden Wirtschaftsliberalismus auseinandersetzt, deren Fokus soziale Gerechtigkeit, fairer Handel und demokratische Teilhabe war. Und der Funke sprang über: Beim ersten Treffen in Porto Allegre nahmen 1000 Organisationen aus der ganzen Welt teil, rund 12.000 Teilnehmer kamen. Im nächsten Jahr nahmen bereits 60.000 Menschen teil, 2003 sogar 100.000. Kurz vor dem Beginn des dritten Golfkriegs wurde das Weltsozialforum zum Ausgangspunkt für die größten Friedensdemonstrationen der Geschichte – ein großer Erfolg für die friedensbewegten Globalisierungskritiker. Dann scheiterte auch noch die Verhandlungen der Mitgliedsstaaten der Welthandelsorganisation über eine multilaterale Liberalisierung des Weltmarktes, die sogenannten Doha-Verhandlungen, weil sich die Entwicklungsländer quer stellten: Plötzlich wurde über den Welthandel hitzig debattiert – auch das sehen viele Globalisierungskritiker als Erfolg der Mobilisierung des Weltsozialforums.

© dpaTausende marschieren 2005 beim Marsch am Ende des Weltsozialforums in Porto Alegre mit.
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Tausende marschieren 2005 beim Marsch am Ende des Weltsozialforums in Porto Alegre mit.

Das sechste, siebte und achte Forum (zwischen 2006 und 2008) fand in unterschiedlichen Städten beziehungsweise als weltweite Aktionswochen statt – hier beginnt sich der Anspruch der „Weltöffentlichkeit“ zu verlieren, die Veranstaltungen geraten aus dem Fokus der öffentlichen Wahrnehmung. 2009 veränderte sich dann auch die Ausrichtung des Weltsozialforums: Die weltweite Finanzkrise hat viele Befürchtungen wahr werden lassen – und die Thesen der Globalisierungskritiker des Forums bewahrheitet. So sieht das etwa Fransisco Marí, Agrarexperte von Brot für die Welt, der die Vorbereitungen für das Weltsozialforum begleitet. „Die Finanztransaktionssteuer war eine Forderung der Globalisierungskritiker, die plötzlich von Politikern wie Wolfgang Schäuble aufgegriffen wurde“, sagt Marí. Das zeige: Nach der Finanzkrise entstand mehr Bewusstsein für die Notwendigkeit von Regulierung. Privatisierung und Liberalisierung galten nicht mehr unhinterfragt als der goldene Weg. „Einige unserer Ziele sind seitdem im Mainstream angekommen“, sagt Marí – dennoch müsse man genau hinschauen, was tatsächlich umgesetzt wurde und wo es bei bloßen Lippenbekenntnissen blieb.

Nach 2009 entfernte sich das Weltsozialforum inhaltlich vom Ursprungskonzept: Der Gegenveranstaltung zum Weltwirtschaftsforum. Statt weiterhin ökonomische Globalisierungskritik ins Zentrum zu stellen, widmeten sich die kommenden Foren zunehmend Debatten über Menschenrechte, Ökologie und anderer Anliegen der sozialen Bewegungen. Es sollte eine neue Richtung eingeschlagen werden, aktiv Alternativen zu entwicklen und anzubieten. „Globalisierter Handel ist für die sozialen Bewegungen heute kein Teufelswerk mehr. Wir fordern aber einen fairen, multilateralen Prozess für die Gestaltung diese Welthandels. Dass wir dafür als Steigbügelhalter für einen Protektionismus à la Trump dargestellt werden, ist schlicht falsch“, sagt Marí. Gegen eine so geartete Abschottungspolitik hätten sich die Teilnehmer des Forums schon vor Jahren ausgesprochen. Von den Foren gehe heute ein differenzierte Globalisierungskritik aus, so Marí.

Für viele war das Weltsozialforum 2016 in Montreal der bisherige Tiefpunkt

Fakt ist: Solche abwägenden Postionen schaffen es deutlich weniger in die Schlagzeilen als zugespitzte Gegenangriffen und Massendemonstrationen. Und so schwand auch die Wahrnehmung des Weltsozialforums in der breiten Öffentlichkeit. Nach Stationen in Dakar und Tunis, bei denen Fragen der Demokratieentwicklung und Migration stärker im Vordergrund standen, folgte 2016 das Weltsozialforum in Montreal – das erster Treffen in einer Industrienation. Höchsten 30.000 Menschen kamen nach Kananda. Viele Delegierte aus dem globalen Süden hatte keine Visa erhalten und konnten nicht anreisen. Die Unterbringungs- und Lebenskosten in Kanada sind deutlich höher als an früheren Veranstaltungsorten – dementsprechend konnten sich manche Delegierte die Teilnahme am Forum schlicht nicht leisten. Die Ikone der Globalisierungskritik, Naomi Klein, sprach bei ihrem Vortrag darum lakonisch von einem „First World Forum“. Und dann kündigte auch noch das Übersetzungsnetzwerk „Babels“ die Zusammenarbeit auf, weshalb etliche Veranstaltungen ohne Übersetzung stattfanden. Vielen galt dies als der bisherige Tiefpunkt des Weltsozialforums.

Für das am Dienstag startende Forum sind die Erwartungen entsprechend hoch: Wird die Institution neuen Schwung aufnehmen können? Der Austragungsort in Salvador da Bahia knüpft zumindest wieder an die sozialen Bewegungen Lateinamerikas an, die auch schon für die Gründung des Forums essentiell waren. Der diesjährige Claim lautet: „To resist is to creat, to resist is to transform“ – „Widerstand leisten heißt aufbauen, Widerstand leisten heißt transformieren.“ Die heterogene inhaltliche Ausrichtung erzählt viel über die gesellschaftlichen Entwicklungen in den Herkunftsländern der Teilnehmer: Aktivisten aus Nord- und Südamerika sind intensiv mit der Regierungsübernahmen durch rechtskonservative Kräfte beschäftigt, weshalb es viele Veranstaltungen zu Demokratie- und Beteiligungsfragen gibt. Europäische NGOs wollen Debatten über die Themen Klima und Handel anstoßen, viele afrikanische Aktivisten bieten Diskussionen über den Umgang mit Migration an. Viele der Veranstaltungen sollen über die Seite openfsm.net auch gestreamt und so einem breiten, internationalen Publikum zugänglich gemacht werden – wenn die Internetverbindung mitspielt.

Es geht nicht mehr nur um das Abstraktum „Globalisierung“, sondern um konkrete Themen wie etwa Wasser, Klima, Flucht

Vieles spricht also dafür, dass das Weltsozialforum sich in seinem ursprünglichen Ansinnen selbst überholt hat. Seit 2001 ist der Kampf der sozialen Bewegungen spezifischer geworden, es geht nicht mehr so sehr um das Abstraktum „Globalisierung“, sondern um konkrete Themen wie etwa Wasser, Klima, Flucht. Dennoch bleibt das Forum für viele Aktivisten essentiell, um sich zu vernetzen, Erfahrungen auszutauschen und voneinander zu lernen. Für die Öffentlichkeit kommt das Weltsozialforum also derweilen wie ein etwas chaotischen Branchentreffen daher – aber vielleicht ist in diesen Zeiten die Wirkung nach Innen auch wichtiger als die Wirkung nach Außen. „Wenn man das Weltsozialforum abschaffen würde, müsste man es neu erfinden - trotz all seiner offensichtlichen Probleme“, schreibt der Aktivist Tadzio Müller. Die einzelnen Bewegungen, die sich hier treffen, könnten miteinander planen, Strategien entwickeln, sich endlich mal jenseits von Skype und E-Mail miteinander austauschen. Müllers Haltung zum Weltsozialforum ist darum eindeutig: „Das ist nicht viel, aber es ist wichtig. Und dazu gibt’s bisher keine Alternative.“

Weitere Informationen zum Weltsozialforum finden Sie auf der Seite der diesjährigen Veranstaltung. Lesen Sie mehr zum Thema in der Ausgabe des Greenpeace Magazins 2.18 „Globalisierung“. Das Greenpeace Magazin erhalten Sie als Einzelheft in unserem Warenhaus oder im Bahnhofsbuchhandel, alles über unsere vielfältigen Abonnements inklusive Prämienangeboten erfahren Sie in unserem Abo-Shop. Sie können alle Inhalte auch in digitaler Form lesen, optimiert für Tablet und Smartphone. Viel Inspiration beim Schmökern, Schauen und Teilen!