Wissenschaftler wiesen in mehreren Buchten gefährliche Bakterien, Viren und Chemikalien nach. Die Umweltauszeichnung „Blaue Flagge“ weist sie trotzdem als vorbildliche Badestrände aus.

Wer in Kapstadts Vorort Clifton wohnt, hat Geld. In dem Viertel direkt am Meer stehen die teuersten Immobilien Südafrikas, die vier malerischen Strände der Bucht wurden von mehreren Redaktionen unter die Top 10 der schönsten Strände der Welt gewählt. Strand Nummer vier ist der größte und bekannteste unter ihnen, und er ist als einziger mit der „Blauen Flagge“ ausgezeichnet, die besonders hohe Wasserqualität und Umweltstandards garantieren soll. Jetzt im europäischen Winter reisen die meisten Touristen an die Südspitze Afrikas, um an eben solchen Traumstränden die Sonne zu genießen. Dumm bloß, dass nicht weit von Clifton Abwasser ins Meer geleitet wird, das nur grob gefiltert ist.

Mehr als fünfzig Millionen Liter Dreckwasser pumpt Kapstadt jeden Tag über mehrere Abflüsse in den Atlantik. Das Abwasser passiert vorher nur ein Sieb, das feste Gegenstände wie Toilettenpapier oder Tampons herausfiltert. Die Rohre enden in rund ein bis zwei Kilometern Entfernung zur Küste, von dort soll sich das vorher mit Trinkwasser verdünnte Schmutzwasser im offenen Meer ausbreiten und verflüchtigen – so die Idee. Doch wohin es tatsächlich fließt, hängt von Wind und Strömung ab. Wenn die Richtung Land zeigen, dann fließt – wenig überraschend – auch die ganze Dreckbrühe an die vermeintlichen Traumstrände.

„Clifton ist der Strand hier“, sagt Edda Weimann, Professorin für Kinderheilkunde und Expertin für öffentliche Gesundheit an der Universität Kapstadt. „Er war auch unser Familienstrand, aber dann kam der gelbe Schaum.“ Sie beobachtete, wie der Strand immer dreckiger wurde und wunderte sich, warum er dennoch mit der „Blauen Flagge“ als besonders sauberer Badestrand ausgezeichnet wurde. Mit der Unterstützung von freiwilligen Helfern sammelte sie einen Monat lang Wasserproben und analysierte sie. Die Ergebnisse waren alarmierend.

Das Wasser war mit E.coli-Bakterien verseucht, Auslöser von Magen-Darm-Erkrankungen und Entzündungen. Ihr Fund offenbarte: Das Abwasser wird nicht von den Meeresströmungen aufs offene Meer getragen, sondern direkt an die Strände gespült – auch an die mit der „Blauen Flagge“. „Das sorgte für einen Aufschrei“, so die Gesundheitsexpertin. Doch es änderte sich nichts, in Clifton wehte weiterhin die „Blaue Flagge“. Das war 2013. Edda Weimann nahm weitere Wasserproben, dokumentierte die Abwasserwolke aus der Luft und sammelte über einen Online-Fragebogen gesundheitliche Beschwerden von Schwimmern, Surfern, Tauchern und Paddlern. Sie veröffentlichte ihre Ergebnisse letztes Jahr, wieder waren sie alarmierend: Die Befragten litten nach dem Baden unter Hautausschlägen, Ohrentzündungen, Bauchkrämpfen, Durchfall und Erbrechen – Leiden, die auf E.coli-Bakterien zurückzuführen sind. „In der eigenen Toilette zu schwimmen, wäre meist gesünder als im Meer“, sagt Weimann. „Ich finde es fast kriminell, sowas mit den Menschen zu machen.“

Ein Forscherteam um die Umweltwissenschaftlerin Leslie Petrik von der Universität des Westkaps untersuchte neben dem Wasser auch Sand, Schnecken, Muscheln, Seeigel, Seesterne und Algen. Sie fanden heraus, dass sich die Bakterien auch in den Meeresorganismen angereichert hatten. Außerdem wiesen sie in den Proben Arzneimittel und Chemikalien nach. Das ist zum einen für Menschen gefährlich, denn die dauerhafte Präsenz von Antibiotika, die über das Abwasser ins Meer gespült werden, provoziert unter Wasser die Bildung von resistenten Bakterien. Die gelangen über die Nahrungskette auf die Teller der Konsumenten, genauso wie all die anderen toxischen Stoffe aus dem Dreckwasser auch. Zum anderen werden die Chemikalien für die Meeresorganismen selber zum Problem: „Ethinylestradiol, einer der Wirkstoffe in der Antibabypille, wurde mit Hormondrüsen-Störungen und Feminisierung bei Fischen in Verbindung gebracht“, schreibt Leslie Petrik in ihrer Studie.

Für den Abwasser-Abfluss ins Meer hat Kapstadt keine Erlaubnis mehr. „Die Genehmigungen für die Abwasserableitungen ins Meer sind 2016 abgelaufen“, sagt Edda Weimann. „Darüber hinaus überschreiten die Mengen das ursprünglich zugelassene Volumen erheblich.“ Und sie werden proportional zur Einwohnerzahl Kapstadts wachsen. Statt das Problem anzugehen, habe die Stadt versucht die Wissenschaftler einzuschüchtern, damit sie ihre Ergebnisse zurückziehen. Und auch die Stiftung für Umwelterziehung mit Sitz in Kopenhagen, die weltweit Strände mit der „Blauen Flagge“ auszeichnet, zeigte sich unbeeindruckt von den Funden der Wissenschaftler. Zumindest verlieh sie in dieser Saison dem Strand in Clifton erneut die Auszeichnung. „Die Touristen wissen nichts von dem Problem“, sagt Edda Weimann. „Sie denken, dass sie an Stränden mit der 'Blauen Flagge' sicher vor Abwasser sind, aber das stimmt nicht.“

Auch außerhalb von Südafrika sind Abwasserabflüsse ins Meer ein Problem. Die Anzahl solcher Abflüsse geht weltweit in die Tausende, das Institut für Hydromechanik an der Universität Karlsruhe listet in einer Datenbank mehr als 200 von ihnen überall auf der Welt auf. Rio de Janeiro etwa geriet international in die Kritik, als die Stadt die Olympischen Spiele austrug. „Rio de Janeiro schwimmt in Scheiße“, schrieb damals die Zeit, die Heinrich-Böll-Stiftung kritisierte ein Jahr nach den Olympischen Spielen, dass sich auch danach nichts verbessert habe.

Was das Problem in Kapstadt aber noch verstärkt, ist die extreme Wasserknappheit. In der südafrikanischen Stadt fällt nur halb so viel Regen wie im globalen Durchschnitt, in den vergangenen Jahren führte das immer wieder zu Trinkwasserengpässen. Gleichzeitig nutzt die Stadt Unmengen Trinkwasser, um das Dreckwasser vor dem Ablassen ins Meer zu verdünnen – Mischverhältnis 1:100. Eine Lösung wäre, das Abwasser in Kläranlagen zu säubern und wiederzuverwenden, anstatt es ins Meer zu leiten. Kapstadt aber geht einen ganz anderen Weg: Anstatt sich um Kläranlagen zu kümmern, hat die Stadt nun Wasserentsalzungsanlagen installiert. Hier wird das Meerwasser, in das zuvor das Abwasser geflossen ist, aufwendig wieder zu Trinkwasser aufbereitet.

Als „grotesk“ bezeichnet das Edda Weimann. Sie hat längst aufgehört südafrikanische Meeresfrüchte zu essen und im Meer zu baden – auch in Clifton, dem redaktionell gekürten Traumstrand.

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