Wenn sich Staatschefs wie Nordkoreas Kim Jong-un und US-Präsident Donald Trump öffentlichkeitswirksam über die Größe ihres Atomknopfes streiten, wirkt das erst einmal absurd – und fast schon witzig. Bedenklich hingegen ist, dass das vor knapp fünfzig Jahren im Atomwaffensperrvertrag angestrebte Ziel der „Global Zero“ – eine Welt ohne Atomwaffen – in immer weitere Ferne rückt. Denn derzeit arbeiten alle Atomstaaten an der Modernisierung ihrer Nuklearwaffen-Arsenale. Gerade erst hat Trump verkündet, dass das Pentagon sogenannte „Mini-Nukes“ plant. Das sind kleine Atombomben mit geringerer Sprengkraft, die punktuell einsatzbar sind – und so besser den realen Anforderungen der modernen Kriegsführung genügen sollen.

Das bestehende US-Arsenal an Atomwaffen reiche nicht aus, um potentielle Gegner wie Russland oder Nordkorea abzuschrecken, heißt es als Begründung im aktuellen Pentagon-Bericht. Dieser Argumentation folgend braucht es also Atomwaffen, die einfach und praktisch einsetzbar sind, um auf der Gegenseite das Gefühl zu provozieren, die Hemmschwelle sei nun niedriger – und so Atomkriege zu verhindern. „Atomwaffen sind nicht dazu da, um Kriege zu führen, sondern um abzuschrecken,“ sagt Oliver Thränert, der an der Technischen Hochschule Zürich den Think Tank zu Rüstungskontrolle leitet. „Es gibt ein nukleares Tabu.“ Diese Taktik der Abschreckung und des Gleichgewichts von Zerstörungspotential hat eine lange Tradition in der Geschichte der nuklearen Bewaffnung.

Taktik des Gleichgewichts – Atombombe gegen Atombombe

Schon im zweiten Weltkrieg entwickelten die USA im Manhattan-Projekt Atombomben als Gegengewicht zu den deutschen Bemühungen. 1945 flog das US-Militär die ersten und bislang einzigen Luftangriffe mit Atombomben gegen die japanischen Städte Hiroshima und Nagasaki. Das Ende des Zweiten Weltkriegs markierte das Auftaktszenario für den Kalten Krieg, der zu einem Wettrüsten neuen Ausmaßes der beiden Führungsmächte USA und Sowjetunion führte.

In dieser aufgeladenen Atmosphäre trat 1970 der Vertrag über die Nichtverbreitung von Atomwaffen in Kraft, auch Atomwaffensperrvertrag genannt. Initiiert hatten ihn die Atommächte USA, Sowjetunion und Großbritannien. China und Frankreich, aber auch Staaten ohne Atomwaffen wie Deutschland unterschrieben ebenfalls. Das Abkommen sollte verhindern, dass andere Länder als die fünf Atommächte ebenfalls Kernwaffen besitzen, es sollte die Abrüstung vorantreiben und für mehr globale Sicherheit sorgen. „Das Ziel des Atomwaffensperrvertrags ist es, zum einen, die Anzahl der Kernwaffenstaaten zu begrenzen, und zum anderen einvernehmlich irgendwann Atomwaffen abzuschaffen“, sagt Oliver Thränert.

Atommächte verpflichten sich zur Global Zero – allerdings ohne Frist

Inzwischen haben den Vertrag 191 Staaten unterzeichnet. Ein Zeitplan für den vollständigen Abbau der nuklearen Arsenale der Großmächte ist nicht bekannt. Nach aktuellen Schätzungen gibt es weltweit zwischen 15.000 und 16.000 nukleare Waffen, über neunzig Prozent davon sind in Besitz der USA und Russland. Zwar haben die offiziellen Nuklearmächte seit 1990 ihre Arsenale verringert, aktuell sind allerdings die meisten Länder mit Atomwaffen darum bemüht, ihre Bestände auf den neuesten Stand zu bringen.

Und das wird nun auch Thema auf der 54. Münchner Sicherheitskonferenz, die Ende dieser Woche stattfindet. Nach Informationen der „Zeit“ hat Konferenz-Chef Wolfgang Ischinger das Comeback von Atomwaffen sowie die umstrittene Lagerung von US-Nuklearwaffen am deutschen Luftwaffenstandort in Büchel auf die Tagesordnung gesetzt. Ischinger erwartet am Tagungsort im Hotel Bayerischer Hof mehr als 600 Teilnehmer, die hinter verschlossenen Türen über globale Krisen und Sicherheitskonflikte beraten ­– unter ihnen Staatschefs und Verteidigungspolitiker aus Israel, den USA, Großbritannien, Russland und Vertreter der UN und der Nato.

Eine Lösung für den Widerspruch zwischen einer Abschreckungsstrategie und dem Wunsch nach Abrüstung zu finden, scheint dringend notwendig. Denn die Zahl der Staaten, die Atomwaffen besitzen, ist inzwischen fast doppelt so hoch wie der Atomwaffensperrvertrag es einst vorsah. Neben den offiziellen Mächten wie USA, Russland, China, Großbritannien und Frankreich zählen auch Indien, Pakistan, Nordkorea und Israel zu den Staaten, die nukleare Waffen besitzen – allerdings sind diese vier Staaten nicht Teil des Atomwaffensperrvertrags.

Um sicher zu sein, wo überall Atomwaffen existieren, stützen sich Experten auf Informanten und Insiderkreise, Messergebnisse der Wiener Organisation für das Verbot von Atomwaffentests (CTBTO), die durch seismische Wellen Atomtests identifizieren, und offizielle Regierungserklärungen. Laut Thränert habe nur Israel seine Atomwaffen nie bestätigt, aber jeder gehe davon aus, dass sie welche haben. Thränert begründet dies so: „Israel ist da so klandestin, weil es seine arabischen Nachbarn nicht motivieren will, sich auch Atomwaffen anzuschaffen.“

Bei Nordkorea sei die Lage durch die abgeschlossene Informationslage unklar, auch wenn häufig Bilder von Staatschef Kim Jong-un bei Atomtests kursierten. So kann das Land wohl atomare Sprengsätze herstellen und zur Zündung bringen. Unklar sei hingegen, ob diese funktionsfähig sind, also ob die Sprengsätze auf Raketen passen und bei einem Wiedereintritt in die Erdatmosphäre nicht verglühen würden, führt Thränert die Zweifel an Nordkoreas Schlagkraft aus.

Risikolage reicht von Nordkorea bis zum Iran

Als weiterer Risikofaktor gilt auch noch immer der Iran, dem durch die Kontrollen des Iranischen Atomwaffen-Abkommens von 2015 zumindest derzeit der Weg zu nuklearen Waffen versperrt ist. Allerdings reiche die Infrastruktur im Iran nach Oliver Thränerts Einschätzung aus, um innerhalb eines Jahres eigene Atomwaffen zu bauen – wenn die Urananreicherung nicht mehr überwacht würde. Die derzeitige US-Kritik am Abkommen sieht der Abrüstungs-Experte daher kritisch: „Ohne das Abkommen wäre der Weg frei für ein iranisches Atomwaffenprogramm.“ Und spätestens dann hätte der US-Verbündete Israel, dessen Existenzrecht die iranische Führung nicht anerkennt, allen Grund nervös zu sein.

Auch der Status des INF-Vertrags zwischen USA und Russland, der Entwicklung, Tests und Produktion von landgestützten nuklearen Mittelstreckenraketen mit Reichweiten zwischen 500 und 5500 Kilometern verbietet, scheint angekratzt. So behauptet die US-Regierung nach Informationen ihrer Geheimdienste, Russland verletze den Vertrag durch Entwicklung eines neuen Raketentyps. Als Reaktion diskutiert der US-Kongress ebenfalls über neue Mittelstreckenraketen. Der INF-Vertrag wäre damit hinfällig.

US-Mini-Atombomben verstoßen nicht gegen Atomwaffensperrvertrag

Das US-amerikanische Abschreckungspotential ist Donald Trump einiges wert. Allein die Militärausgaben liegen nach Trumps gerade vorgelegtem Haushaltsentwurf bei 686 Milliarden Dollar, insgesamt umfasst der Bereich der nationalen Sicherheit sieben Prozent mehr als bisher. Das geht insbesondere auf Kosten von Außenministerium und Umweltschutzbehörde. Allerdings muss der Plan erst noch vom Kongress genehmigt werden – und das ist unsicher. „Schon Georg W. Bush hatte seine Finanzierung von Mini-Atombomben 2004 nicht durch den Kongress bekommen“, so Thränert.

Einen Verstoß gegen den Atomwaffensperrvertrag sieht Oliver Thränert in der Modernisierung ihrer Nuklearwaffen allerdings weder bei den USA noch Russland: „Die USA würden durch einen etwaigen Bau von Atomwaffen mit geringerer Sprengkraft nicht gegen den Atomwaffensperrvertrag verstoßen, da dieser Kernwaffen für offizielle Atommächte prinzipiell erlaubt.“ Genau so wenig verletze Russland mit seiner derzeitigen atomaren Modernisierung das Abkommen. Während der Fokus auf den ehemaligen Gegnern des Kalten Krieges, und den medial viel besprochenen Risikoländern wie Nordkorea und Iran liegt, wachsen andere Staaten zu neuer Stärke. So habe Pakistan – nach Schätzungen des Züricher Think Tank zu Rüstungskontrolle – derzeit das am schnellsten wachsende Atomprogramm.

Die Doktrin der nuklearen Abschreckung besagt, dass es nicht zu einem atomaren Angriff kommt, solange die Gegenseite mit einem mindestens ebenso zerstörerischen Gegenschlag rechnen muss. Bei einer klaren Aufteilung der Welt in Gegner und Verbündete wie in Zeiten des Kalten Krieges ist das noch überschaubar. Wie lange diese Strategie der Abschreckung und des Gegengewicht-Prinzips aktuell noch funktioniert, ist ungewiss – und hängt maßgeblich davon ab, wer am Atomknopf sitzt.