Es gibt nichts zu sehen. Immer wieder musste Michael Schneider in den letzten Tagen TV-Teams vertrösten. Schneider ist Pressesprecher des Recycling-Unternehmens Remondis und hat aus seinem Bürofenster einen guten Blick über die gesamte Anlage – eines der größten Recylingwerke Europas. Doch trotz des von China ausgesprochenen Importverbots von 24 verschiedenen Müllarten aus Europa, darunter unsortierte und gemischte Kunststoffabfälle, sind auf dem Gelände in Lünen (NRW) keine Müllberge in Sicht. Große Enttäuschung, kein Müllskandal, Deutschland wird trotz der Entscheidung Chinas nicht im Müll versinken. Das lässt sich jetzt schon sagen, auch wenn das Importverbot erst seit knapp zwei Wochen besteht und Anfang März weitere Reststoffsorten hinzukommen, zum Beispiel Holzabfälle, verschiedene Schrotte, aber auch sortierte Kunststoffabfälle und Altpapier.

Doch die Auswirkungen des Verbots sind natürlich spürbar: 800.000 Tonnen Kunststoffabfälle verschiffte Deutschland im vergangenen Jahr ins Reich der Mitte, ein Sechstel seiner gesamten Plastikreste. Kein Wunder, dass nach der Meldung, China wolle diesen Müll aus Umweltschutzgründen nun nicht mehr haben, kurz Panik aufkam – und die Frage: Was passiert mit dieser Riesenmenge Abfall? Die Antwort enthält ein paar schlechte Nachrichten: Es müssen kurzfristig Absatzmärkte zum Beispiel in Osteuropa, Indien oder Vietnam gefunden werden. „Die kompensieren aber nicht annähernd die gleichen Mengen“, sagt Michael Schneider. Ein Teil muss deshalb wohl auch eingelagert, ein anderer Teil vermutlich – ökologisch sehr bedenklich – verbrannt werden. Zudem werden die Preise für Plastikverpackungen leicht steigen, für den Verbraucher allerdings kaum merklich.

Die Vertreter der Kreislaufwirtschaft bleiben dennoch gelassen, weil sie mittelfristig profitieren könnten. Michael Wiener, Geschäftsführer des Grünen Punkts, dem führenden Sekundärrohstofflieferant in Deutschland, ist davon überzeugt: „Der chinesische Importstopp für Papier- und Kunststoffabfälle ist eine Chance für die Kreislaufwirtschaft in Deutschland und Europa“, sagt er. Der Grund: Für Recyclingunternehmen wie den Grünen Punkt oder Remondis ist Plastikmüll Rohstoff. Und der bleibt nun im Land statt nach China exportiert zu werden. Dadurch verbessert sich womöglich sogar die deutsche Ökobilanz und es führt dazu, dass insgesamt weniger Plastik produziert wird. Zwar muss die gesamte Branche neue Lösungen finden und es kommt mehr Arbeit auf die Verwerter zu, aber es steigen – unter bestimmten Bedingungen – auch die Wachstumschancen.

Die Qualität des Plastikgranulats könnte sich durch den Ausfuhrstopp verbessern

Damit die Kreislaufwirtschaft die zusätzlich anfallende Müllmenge verarbeiten und davon profitieren kann, muss die Politik handeln. Im vergangenen Jahr passierte bereits das neue Verpackungsgesetz den Bundesrat. Damit soll ein Anstieg der Kunststoffrecyclingquote von derzeit 36 Prozent auf zunächst 58,5 im kommenden Jahr und danach sogar auf 63 Prozent im Jahr 2022 erreicht werden. „Das Gesetz ist nur umsetzbar, wenn ein Umdenken hin zu optimierter Kreislaufwirtschaft beschleunigt wird“, sagt Jörg Lacher vom Bundesverband für Sekundärrohstoffe und Entsorgung (BVSE). „China könnte mit seiner Entscheidung positiv darauf einwirken.“

Zusätzlich müssten nach der Vorstellung der Recycling-Branche noch bessere Voraussetzungen dafür geschaffen werden, dass aus Kunststoffmüll häufiger neue Produkte mit weniger Primärrohstoffen werden können. „Die Erhöhung der Qualität ist auf allen Ebenen die Lösung“, sagt Lacher. „Dann werden die operativ im Recycling tätigen Unternehmen profitieren, denn sie können sich aus einer größer werdenden Menge Müll die beste Qualität heraussuchen und bessere Rezyklate herstellen.“ Rezyklate sind das Endprodukt des Recycelvorgangs. Die Reste werden zu „Fluff“ verarbeitet, einer halbflüssigen Kunststoffmasse, die einen höheren Brennwert als Braunkohle hat, und energiegewinnend verbrannt.

Um optimal recyceln zu können und hochwertigere Kunststoffgranulate herzustellen, sind allerdings bessere und leistungsfähigere Sortieranlagen nötig, sagt Remondis-Sprecher Schneider. Das Unternehmen plane bereist den Bau neuer Anlagen. „Das kostet im ersten Moment natürlich Geld – und deswegen erhoffen wir uns dann auch entsprechende Unterstützung vom Gesetzgeber, wenn es um den Absatzmarkt für Rezyklate in Deutschland geht.“

Schneider plädiert für eine gesetzlich festgelegte Quote an recyceltem Material in neuen Plastikprodukten. Der Widerstand der Industrie gegen Sekundärrohstoffe ist derzeit jedoch noch recht hoch. Es gibt nur wenige Unternehmen, die Verpackungen oder andere Kunststoffprodukte komplett aus recyceltem Material herstellen. Nach einer aktuellen Untersuchung des Bundesumweltministeriums sind nur rund 14 Prozent der eingesetzten Rohstoffe in den Produktionsketten recycelt. Ein Grund: ein niedriger Ölpreis ermöglicht die günstige Plastikproduktion, häufig ist Sekundärrohstoff nach den vielen Verarbeitungsschritten teurer.

Ein weiteres Argument betrifft den Verbraucher: „Die Industrie ist auch deswegen so zurückhaltend, weil sie noch immer davon ausgeht, dass die Konsumenten keine Recyclingprodukte wollen“, sagt Schneider. Deshalb müsse der Gesetzgeber einschreiten, den Herstellern Vorgaben machen und so einen größeren Absatzmarkt für Rezyklate schaffen. Letztlich würde das nicht nur das Müllproblem lösen. Wenn insgesamt weniger Plastik hergestellt und weniger Plastikmüll verbrannt werden müsste, hätte das auch positive Auswirkungen auf Klima und Umwelt.

„Auf lange Sicht“, so Schneider, „kommen wir in Deutschland nicht um eine Ökodesign-Richtlinie herum, die vorschreibt, Produkte so zu produzieren, dass sie zu hundert Prozent wiederverwertbar sind.“ Dazu wäre allerdings nicht nur ein Umdenken, sondern ein kompletter Wandel der Industrie und der Produktionsweisen nötig. „Das werde ich wohl nicht mehr erleben“, sagt Schneider. Die nächsten Schritte dahin könnten aber jetzt gemacht werden.