Was wir essen, ist politisch. Gerade für Umwelt und Wirtschaft wird die Ernährung ein immer wichtigerer Faktor. In Zeiten von Klimawandel, fortschreitender Umweltzerstörung, Massentierhaltung, rasant wachsender Weltbevölkerung und sich ausbreitenden Wohlstandskrankheiten wie Übergewicht und Diabetes, scheint der Verzicht auf Tierprodukte die Lösung zu sein. Aber ist die vegane Lebensweise wirklich die bessere? Wir haben einen gefragt, der es wissen muss. Markus Keller ist der erste Professor für vegane Ernährung an einer deutschen Hochschule.

Herr Keller, Sie haben die erste Professur für Vegane Ernährung inne. Mit welchem Ziel wurde diese Stelle geschaffen?

Das Thema vegane Ernährung interessiert immer mehr Menschen, insbesondere die Konsumenten. Dadurch wächst der Markt für vegane Produkte und wird so zu einem relevanten Thema für die Lebensmittelbranche. Die Fachhochschule des Mittelstands hat diese Entwicklung aufgegriffen und bietet bereits seit Oktober 2016 den Bachelorstudiengang „Vegan Food Management“ an. Gleichzeitig hat die Hochschule zusammen mit der Erna-Graff-Stiftung für Tierschutz eine Stiftungsprofessur für Vegane Ernährung ins Leben gerufen und mich im Mai dieses Jahres berufen. Damit wird dem Thema vegane Ernährung erstmals eine akademische Heimat gegeben.

© Fachhochschule des MittelstandsMarkus Keller lehrt an der Fachhochschule des Mittelstands, was vegane Ernährung für die Gesundheit bedeutet. Und wie man „vegan“ zu seinem Beruf machen kann
© Fachhochschule des Mittelstands

Markus Keller lehrt an der Fachhochschule des Mittelstands, was vegane Ernährung für die Gesundheit bedeutet. Und wie man „vegan“ zu seinem Beruf machen kann

Was lehren und woran forschen Sie?

In meinen Seminaren und Vorlesungen geht es in erster Linie um ernährungsbezogene Fächer. Das sind beispielsweise Ernährungslehre, Ernährungsmedizin oder Lebensmittelkunde, außerdem unterrichte ich die Wirkungen von veganer Ernährung auf den Körper. Hier geht es um die kritischen Nährstoffe, aber auch das gesundheitliche Potential bei der Prävention von ernährungsmitbedingten Krankheiten. In unseren aktuellen Forschungsprojekten beschäftigen wir uns mit vegan, vegetarisch und mit Mischkost ernährten Kindern verschiedener Altersgruppen. Dabei untersuchen wir, wie sich die unterschiedliche Ernährungsweise in der Praxis darstellt und auswirkt, also was die Kinder essen und wie gut sie anschließend mit Nährstoffen versorgt sind.

Was kann man nach der Uni mit dem Studium anfangen?

Wir bringen den Studierenden sowohl Wirtschaftskompetenz als auch personale und soziale Kompetenz bei. Außerdem erlangen unsere Vegan-Food-Studierenden Fachkenntnisse zur veganen Ernährungsweise, aber auch zu Nachhaltigkeit, Tierethik und Konsumentenverhalten. Die Berufschancen liegen also in der gesamten Lebensmittelbranche. So können die Absolventen die Produktion neuer veganer Lebensmittel konzipieren oder sie gehen in Einkauf und Vertrieb, wo sie beispielsweise im Handel neue vegane Produktlinien einführen könnten. Und einige unserer Studierenden haben schon konkrete Pläne, später ein veganes Restaurant oder Café zu eröffnen. Auch Organisationen, die sich mit dem Thema veganer und nachhaltiger Lebensstil befassen, sind potentielle Arbeitgeber.

Wie schätzen Sie den aktuellen Vegan-Trend ein? Müssen Fleischesser sich in fünfzig Jahren zum Würstchen essen im Wald verstecken?

Vegan ist schon lange mehr als nur ein Trend. Insbesondere unter jungen Menschen wächst die Zahl der Veganerinnen und Veganer immer weiter an. Und der Markt spiegelt ja nur das wider, was Verbraucher nachfragen. Die Hauptkonsumenten veganer Fleisch- und Milchalternativen sind übrigens nicht die Veganer, sondern die deutlich größere Zahl der sogenannten Flexitarier. Darunter versteht man Menschen, die ihren Konsum an tierischen Lebensmittel deutlich einschränken wollen, aus gesundheitlichen, ethischen oder nachhaltigen Gründen. Vegan oder überwiegend vegan zu leben, wird in Zukunft also immer normaler werden. Dazu passt, was der Chef des Fleischkonzerns Rügenwalder, Christian Rauffus, gesagt hat, nämlich, dass die Wurst die Zigarette der Zukunft sei.

Kann man sagen, in welchen Regionen oder Kulturen vegan besonders verbreitet ist?

Leider gibt es nur wenige belastbare wissenschaftliche Daten, wie viele Veganer es tatsächlich aktuell gibt. Zahlen von Meinungsforschungsinstituten muss man immer mit etwas Vorsicht genießen, denn nicht alle, die sich als Veganer oder Vegetarier bezeichnen, sind per Definition auch welche. Die höchsten geschätzten Vegetarier-Anteile, inklusive Veganer, von um die zehn Prozent finden sich in Australien, Belgien, Deutschland, Großbritannien, Israel, Italien, Kanada, Neuseeland, Norwegen, Österreich, Schweden, der Schweiz, Taiwan und den USA.

Was sind die gesundheitlichen Vor- und Nachteile veganer Ernährung?

Es spricht nichts gegen eine vegane Ernährung in allen Lebensphasen, solange Sie auf die potentiell kritischen Nährstoffe wie Vitamin B12, Kalzium oder Eisen achten. Die vorliegenden Studien zeigen außerdem, dass Veganer mit vielen Nähr- und Inhaltsstoffen besser versorgt sind als die Durchschnittsbevölkerung, etwa mit Vitamin C, Folsäure, Magnesium und Ballaststoffen. Und im Vergleich zu Fleischessern haben Veganer ein geringeres Risiko für verschiedene ernährungsassoziierte Krankheiten wie Übergewicht, Typ-2-Diabetes, Bluthochdruck, koronare Herzkrankheiten und verschiedene Krebserkrankungen. Der insgesamt gesündere Lebensstil vieler Veganer ist dabei statistisch bereits herausgerechnet.

© Julia SellmannIm Lokal Bana im isrealischen Tel Aviv geht es um den Spaß an Essen und Genuß. Fleischersatz aus Tofu oder Seitan gibt es hier nicht, denn vegan soll für sich stehen
© Julia Sellmann

Im Lokal Bana im isrealischen Tel Aviv geht es um den Spaß an Essen und Genuß. Fleischersatz aus Tofu oder Seitan gibt es hier nicht, denn vegan soll für sich stehen

Und wie nachhaltig ist vegane Ernährung unter Umweltaspekten?

Mit unserer derzeitigen Ernährungsweise beanspruchen wir deutlich mehr Ressourcen, wie Energie, Wasser oder Landflächen, und stoßen deutlich mehr Treibhausgase aus, als unser Planet langfristig verkraften kann. Ein Beispiel: Um die Ziele, die auf der UN-Klimakonferenz in Paris beschlossen wurden, zu erreichen, müssen wir auch im Ernährungsbereich bis zum Jahr 2050 etwa neunzig Prozent der Klimagasemissionen einsparen. Das gelingt aber nur mit einer weitgehend pflanzlichen Ernährungsweise.

Wo bleiben bei einer solchen Entwicklung die Weidetiere in der Landschaft?

Natürlich müssen wir zusammen mit der Landwirtschaft überlegen, welche Rolle Tiere zukünftig beispielsweise in der Landschaftspflege spielen können. Landwirte könnten ja beispielsweise Ausgleichzahlungen dafür erhalten, dass sie Tiere auf der Weide stehen lassen, ohne dass die Tiere später geschlachtet werden. Die Zahl der Tiere – und vor allem unser Konsum tierischer Lebensmittel – muss sich auf jeden Fall deutlich verringern, wenn wir die Klimaziele auch nur annähernd erreichen wollen.

Wir haben in der aktuellen Ausgabe des Greenpeace Magazins „Ich ess' Blumen“ ein Streitgespräch zwischen Bio-Fleisch-Köchin Sarah Wiener und dem Chef der veganen Supermarktkette „Veganz“ Jan Bredack. Also Bio-Fleisch gegen vegane Fertigprodukte. Wo positionieren Sie sich da?

Was die veganen Fertigprodukte betrifft, gibt es da viele Vorurteile und falsche Behauptungen. Wir haben in einer Studie achtzig vegane und vegetarische Fleisch- und Wurstalternativen hinsichtlich ihrer Zutaten und Zusammensetzung untersucht. Das Ergebnis war, dass die meisten veganen Fleischalternativen gesundheitlich günstiger sind als die Original-Fleischprodukte, beispielsweise was den Gehalt an gesättigten Fettsäuren und Cholesterin betrifft. Und es stimmt einfach nicht, dass diese Produkte aus ellenlangen Zusatzstofflisten bestehen – wie so oft behauptet. Effektiv war in den veganen Bio-Fleischalternativen im Durchschnitt ein Zusatzstoff pro Produkt enthalten, bei den veganen Fleischalternativen aus konventioneller Produktion waren es im Schnitt 3,5 Zusatzstoffe.

Leben Sie und Ihre Familie vegan?

Meine ganze Familie lebt zu schätzungsweise 95 Prozent vegan, die verbleibenden 5 Prozent entfallen auf vegetarische Ausnahmen. Kinder können gut vegan ernährt werden, wenn die Eltern sich umfassend informiert haben und vor allem Vitamin B12 ergänzen. Voraussetzung ist in jedem Fall eine vollwertige, abwechslungsreiche Lebensmittelauswahl.  Zwischenergebnisse aus einer unserer Studien zeigen, dass sich vegane Kinder im Durchschnitt genauso wie die vegetarischen und Mischkostkinder altersgemäß entwickeln. Bei einigen Nähstoffen wie Folsäure und Vitamin C schneiden sie deutlich besser ab als die beiden anderen Gruppen, bei anderen wie Kalzium haben sie hingegen die niedrigste Zufuhr. Bei allen drei Ernährungsformen besteht demnach Optimierungsbedarf.

Was raten Sie Menschen, die ihre Ernährung umstellen wollen?

Alle, die bereits vegan leben, kann ich nur bestärken weiterzumachen. Aber sie sollten auf die kritischen Nährstoffe achten. Allen anderen empfehle ich, öfter vegane Gerichte auszuprobieren, vielleicht auch einmal einen veganen Kochkurs mitzumachen und pflanzlichen Lebensmitteln mehr Platz auf dem Teller einzuräumen. Denn so lautet der weise Spruch eines mir leider unbekannten Urhebers: „Es ist nicht so entscheidend, ob immer mehr Menschen Veganer werden. Entscheidend ist, dass die Menschen immer veganer werden.“

Lesen Sie mehr zur veganen Lebensweise in der Ausgabe des Greenpeace Magazins 4.18 „Ich ess' Blumen“. Das Greenpeace Magazin erhalten Sie als Einzelheft in unserem Warenhaus oder im Bahnhofsbuchhandel, alles über unsere vielfältigen Abonnements inklusive Prämienangeboten erfahren Sie in unserem Abo-Shop. Sie können alle Inhalte auch in digitaler Form lesen, optimiert für Tablet und Smartphone. Viel Inspiration beim Schmökern, Schauen und Teilen!