Auf der Fahrt in die Dunkelheit steigt der Druck auf den Ohren, der Korb bewegt sich mit zwölf Metern pro Sekunde abwärts, es dröhnt dumpf. Was für die Kumpel der normale Arbeitsweg ist, ist für die Besucher eine Fahrt in eine andere Welt. Dort unten, 920 Meter unter der Erde, ist das Reich der SL 750, eines achtzig Tonnen schweren Walzenladers, der Steinkohle mit rotierenden Zähnen aus dem Flöz löst. Was in der Zeche Prosper-Haniel in Bottrop im Jahr 1863 begann, kommt nun, nach 155 Jahren, diesen Freitag, am 21. Dezember 2018, zum Ende.

Der Rohstoff ist wie gemacht fürs große Kino: Sie liefert Stoff für Actionstreifen (riesige Metallmonster fressen sich unterirdisch durchs Erdreich), für Politthriller (die Steinkohle als Mutter der Gewerkschaftsbewegung und als kriegswichtiger Rohstoff) und für Dramen (der Niedergang der Zechen und der guten alten Zeiten, als man noch nichts vom Klimawandel ahnte). Doch nun endet ein weiteres Kapitel der großen Steinkohle-Saga. Deutschlands letzte Zeche stellt die Förderung ein.

Der Anfang der Geschichte liegt lange zurück: Das „schwarze Gold“ entstand bereits vor rund 300 Millionen Jahren, zu einer Zeit, als hierzulande noch subtropische Urwälder standen. Aus deren Überresten entstand unter Luftabschluss, Druck und Hitze im Laufe der Zeit der energiehaltige Rohstoff – Steinkohle ist gespeicherte Sonnenkraft aus dem Erdaltertum.

Diesen Wert erkannten wohl schon im 7. Jahrhundert unserer Zeit die Kelten, wie Beigaben in Grabstätten zeigen. Zum Treiber der Geschichte wurde die Steinkohle aber erst später, als sie zum Katalysator der Industriellen Revolution wurde, die im 17. Jahrhundert in Großbritannien ihren Anfang nahm. Sie war der Treibstoff für die Dampfmaschinen, die zunächst das Wasser aus Kohlegruben pumpten, dann Textilmaschinen antrieben und schließlich die ersten Eisenbahnen bewegten. Abbau und Nutzung von Steinkohle nahmen in Europa rasant zu, in den preußischen Steinkohlerevieren im Ruhrgebiet, in Oberschlesien und dem Saargebiet zwischen 1815 und 1834 um siebzig Prozent. Großbritannien, Deutschland und die USA wurden den Zentren der weltweiten Kohle- und Stahlproduktion.

Doch Mitte des 20. Jahrhunderts löste das Erdöl die Kohle als volkswirtschaftlich und industriell wichtigsten Rohstoff ab. Der jahrzehntelange Niedergang des traditionsreichen Bergbaus und die Schließung der Zechen lösten gesellschaftliche Krisen aus, ganze Landstriche mussten wirtschaftlich neu ausgerichtet werden. In Deutschland wurde der endgültige Ausstieg aus dem hoch subventionierten Steinkohlebergbau erst 2007 beschlossen, damals existierten noch acht Zechen, in denen 33.000 Bergleuten arbeiteten. Jährlich brachten Bund und Länder bis zu 2,5 Milliarden Euro Beihilfen für den Steinkohlebergbau auf. Nach Berechnungen des Bundesumweltamtes beliefen sich die Subventionen für den Bergbau zwischen 1980 und 2003 auf über 100 Milliarden Euro. Ein Arbeitsplatz in der deutschen Steinkohleindustrie kostete 2001 etwa 82.000 Euro.

Im Jahr 2018 wurden in der Zeche Prosper-Haniel bis zum September noch einmal 1,8 Millionen Tonnen gefördert – und was in Deutschland noch unter der Erde liegt, würde noch für mehrere Jahrhunderte Steinkohleabbau reichen. Doch deutsche Steinkohle auf dem Weltmarkt nicht mehr konkurrenzfähig. Weil Importsteinkohle billiger ist, wird hierzulande auch in Zukunft noch Steinkohle verbrannt. Steinkohlekraftwerke waren im Jahr 2017 noch mit 14,3 Prozent an der deutschen Bruttostromerzeugung beteiligt und stießen dabei – neben anderen gesundheits- und umweltschädlichen Stoffen – einen großen Teil der deutschen Kohlendioxidemissionen aus. Im Jahr 2016 war die Russische Föderation mit rund 17,8 Millionen Tonnen (32,2 Prozent) größter Steinkohlelieferant Deutschlands, gefolgt von Kolumbien (19,4 Prozent) und den USA (16,5 Prozent).

In anderen Ländern ist der Steinkohleabbau deutlich weniger mühsam und sind Arbeitskräfte billiger – sodass auch der Rohstoff günstiger zu haben ist. So wird Steinkohle in den USA zumeist – ähnlich wie Braunkohle in Deutschland – im Tagebau gewonnen. Oft wurden dabei die überlagernden Gesteinsschichten einfach weggesprengt – „Mountaintop Removal“, also Berggipfel-Entfernung hieß die rabiate Praxis im Branchenjargon. Neben Exporten aus Russland haben Steinkohlelieferungen aus Kolumbien eine wachsende Bedeutung. Menschenrechtsorganisationen werfen den Bergbauunternehmen im Nordosten des südamerikanischen Landes allerdings vor, sie hätten für den Abbau die indigene Bevölkerung teils ohne Entschädigung vertrieben, Paramilitärs im Land unterstützt und Gewerkschaften massiv eingeschüchtert.

So wird Steinkohle aus teils dubiosen Quellen hierzulande also weiter verfeuert, auch wenn die Zechen dicht machen. So taugt das Ende des Industriezweigs in Deutschland auch nicht als Blaupause für die Braunkohle, bei der sich der Transport über lange Distanzen aufgrund ihrer Beschaffenheit und geringen Energiedichte nicht lohnt – Braunkohle wird in unmittelbarer Nähe der Gruben verfeuert. Deshalb wird ein Ausstieg aus dem Braunkohlebbau zugleich auch ein endgültiges Ende aus der Verstromung bedeuten.

Darum wird derzeit in der Kommission „Wachstum, Strukturwandel und Beschäftigung“ der Bundesregierung gerungen, die seit Juni einen Plan für den umfassenden Ausstieg aus der Kohleenergie vorbereitet. Die wichtigste Frage lautet, wie man den Klimaschutzzielen und den betroffenen Regionen und Arbeitern gleichermaßen gerecht werden kann. Bis Ende November sollte die Kommissionsmitglieder aus Politik, Wissenschaft und Zivilgesellschaft einen Plan vorlegen – doch die Kommission musste auf Anfang Februar verlängern, nachdem die ostdeutschen Ministerpräsidenten sich öffentlich einen stärkeren Fokus auf die Rettung von Arbeitsplätzen erbeten hatten. Heute hängen noch etwa 20.000 Jobs direkt an der Braunkohle. Zum Vergleich: Das sind zehntausend weniger, als zum Zeitpunkt des Steinkohleausstiegs-Beschlusses 2007 angestellt waren.

Auch wenn die Zeche Prosper-Haniel am Freitag ihre Pforten schließt, ist noch lange nicht „Schicht im Schacht“. Das permanente Abpumpen von Grubenwasser geht weiter, und die Rekultivierung fängt dann gerade erst an. Darum und um andere sogenannte Ewigkeitslasten kümmert sich dann die RAG-Stiftung. Die erwarteten Ausgaben liegen bei jährlich bis zu 300 Millionen Euro. Für die letzten Kumpel bedeutet die Schließung tatsächlich das Ende: Wer älter ist als 49 Jahre und unter Tage gearbeitet hat, darf ohne Abschläge in Frührente. Die Übrigen werden in andere, zukunftsträchtigere Jobs vermittelt.

Was bleibt vom Steinkohlenbergbau, wenn nun diesen Freitag, am 21. Dezember 2018, die letzte Zeche schließt? „Sind es die Grubenlampen, die nostalgischen Fotos mit schwarzen Gesichtern oder das Steigerlied?“, fragte Ralf Sikorski, Vorstand der Industriegewerkschaft Bergbau, Chemie, Energie, jüngst bei den Feierlichkeiten zur Eröffnung des Deutschen Bergbau-Museums in Bochum. Und gab selbst die Antwort: „Vom Bergbau bleibt vor allem Solidarität. Sie bestimmt die DNA des Ruhrgebiets und seiner Menschen“, so Sikorski.

Solidarität brauchen nun auch die Arbeiter in den Braunkohlerevieren – und die Opfer des Klimawandels. Der Deutsche Wetterdienst meldet einen Tag vor der Zechenschließung: 2018 war in Deutschland das heißeste Jahr seit Beginn der Messungen.