Jedes Jahr wandern Millionen Tonnen noch genießbare Lebensmittel in den Müll. Wer „containert“, rettet wenigstens einen Teil davon, indem er die Ware zum Beispiel aus den Tonnen von Supermärkten fischt und noch verwendet. Der Haken: In Deutschland gilt es als Diebstahl, Abfall aus fremden Tonnen zu holen. Das Gesetz macht Menschen, die containern, zu Straftätern.

Menschen wie Caroline Kuhn und Franziska Schmitt: Die beiden Studentinnen hatten im Juni 2018 im bayrischen Olching in der Nähe von München bei einem Edeka containert. Sie würden sagen, dass sie an diesem Abend wertvolle Lebensmittel retteten, die sonst in der Abfallwirtschaft gelandet wären. Sie taten das im Schutz der Dunkelheit, gegen elf Uhr abends. Mit einem Vierkantschlüssel schlossen sie den Container des Supermarkts auf. Darin fanden sie noch genießbares Obst, Gemüse und Joghurt. Als sie alles einpackten, wurden sie von einer Polizeistreife entdeckt, schließlich landeten sie vor Gericht.

Normalerweise werden solche Verfahren wegen Geringfügigkeit eingestellt. Doch die Staatsanwaltschaft blieb hartnäckig. Das Amtsgericht Fürstenfeldbruck verurteilte die Studentinnen zu einer Geldstrafe auf Bewährung und acht Arbeitsstunden bei einer Tafel. In zweiter Instanz bestätigte das Bayerische Oberste Landesgericht das Urteil.

Kuhn und Schmitt sehen sich zu Unrecht bestraft und stigmatisiert für etwas, das eigentlich der Gesellschaft nutze und nicht schade. Im November reichten sie deswegen Verfassungsbeschwerde ein. Unterstützt werden sie von der Gesellschaft für Freiheitsrechte (GFF), einer Nichtregierungsorganisation, die sich darauf spezialisiert hat, Grund- und Menschenrechte vor Gericht einzuklagen. Nun wird in Karlsruhe entschieden, ob die jungen Frauen retteten oder stahlen. „Das kann einige Jahre dauern“, sagt die GFF-Juristin Sarah Lincoln dem Greenpeace Magazin. „Die Beschwerde ist aus unserer Sicht schon jetzt ein Erfolg, weil wir damit die gesellschaftliche Debatte über Lebensmittelverschwendung angeheizt haben.“

 

© Uli Deck/dpaDie beiden Studentinnen Caroline Kuhn (rechts) und Franziska Schmitt beim Einwurf ihrer Verfassungsbeschwerde in Karlsruhe.
© Uli Deck/dpa

Die beiden Studentinnen Caroline Kuhn (rechts) und Franziska Schmitt beim Einwurf ihrer Verfassungsbeschwerde in Karlsruhe.

Auch die Bundesregierung hält Lebensmittelverschwendung für ein großes Problem. Laut einer im letzten Jahr veröffentlichten Studie des Johann-Heinrich-von-Thünen-Instituts und der Universität Stuttgart werden in Deutschland jedes Jahr zwölf Millionen Tonnen Lebensmittel weggeschmissen. Die Umweltorganisation WWF kommt gar auf 18 Millionen Tonnen. Weltweit landen laut der Welternährungsorganisation jährlich 1,3 Milliarden Tonnen Lebensmittel im Müll. Bis 2030 wollen die Vereinten Nationen diese Zahl halbieren. Im Februar letzten Jahres zog CDU-Landwirtschaftsministerin Julia Klöckner nach und verkündete in ihrer „Nationalen Strategie zur Reduzierung der Lebensmittelverschwendung“ dasselbe Ziel für Deutschland. Konkrete Gesetze plante sie dafür aber nicht, sie setzte lieber auf die Freiwilligkeit aller Beteiligten. Am vergangenen Freitag rief das Landwirtschaftsministerium dazu auf, Ideen zur Vermeidung von Lebensmittelverschwendung einzusenden. Die vielversprechendsten Vorschläge sollen beim nächsten Dialogforum im April diskutiert werden.

„Essen retten darf nicht länger illegal sein“, finden die verurteilten Studentinnen. Mit dieser Meinung sind sie nicht allein. Dietmar Bartsch, Vorsitzender der Linken im Bundestag, forderte lautstark: „Containern entkriminalisieren! Handel verpflichten, aus dem Verkauf genommene, genießbare Ware kostenfrei abzugeben!“ Zuletzt setzte sich dafür auch der hamburgische Justizsenator Till Steffen von den Grünen bei der Justizministerkonferenz ein, scheiterte aber am Widerstand der CDU-regierten Länder. „Wir wollen nicht, dass sich Menschen in eine solche menschenunwürdige und hygienisch problematische Situation begeben", fand Sachsens Justizminister Sebastian Gemkow. Warum containernde Menschen deswegen gleich kriminalisiert werden müssen – dazu sagte er nichts.

In ihrer Verfassungsbeschwerde zweifeln die beiden Studentinnen und die GFF nun an, dass Containern unter den Diebstahlsparagraphen 242 fällt. Laut diesem gehört der Abfall zum Eigentum des Supermarkts, egal ob wertlos oder nicht: Eigentum darf nicht einfach entwendet werden. „Das Strafrecht ist nicht dazu gedacht, das reine Vernichtungsinteresse des Supermarktes zu schützen“, sagt Juristin Lincoln dem Greenpeace Magazin. Nach jetziger Regelung ist es für den Handel günstiger, etwas wegzuschmeißen als zu spenden. Beim Spenden fällt die Mehrwertsteuer auf das Produkt an, beim Wegwerfen bekommt der Handel sie über den Mehrwertsteuerausgleich wieder zurück.

„Das Bundesverfassungsgericht selbst betont immer wieder, dass nur sozialschädliches Verhalten strafrechtlich verfolgt werden darf. Containern ist das Gegenteil von sozialschädlich“, so Lincoln. Nicht die Verwertung weggeworfener Lebensmittel sei das gesellschaftliche Problem, sondern ihre Verschwendung.

Dabei könnte man einfach verbieten, genießbare Lebensmittel wegzuschmeißen, wie in Frankreich und Tschechien. Alles Verwertbare geht dort etwa an gemeinnützige Tafeln. In Deutschland sammeln die Tafeln jährlich 264.000 Tonnen Lebensmittel, durch Steueranreize ließe sich diese Zahl noch steigern.

Der Handel ist aber laut der Studie des Thünen-Instituts und der Universität Stuttgart gar nicht das größte Problem. Demnach entstehen dort nur vier Prozent der Lebensmittelabfälle. In der Primärproduktion sind es 12 Prozent, bei der Außer-Haus-Verpflegung 14 Prozent, in der Verarbeitung 18 Prozent. Der Rest – satte 52 Prozent – geht in den Privathaushalten verloren. Jeder Mensch werfe in Deutschland demnach 75 Kilogramm Lebensmittel im Jahr weg, vor allem Obst, Gemüse und Brot.

Wie auch immer das Urteil ausfallen wird – es gibt schon jetzt legale Wege, Lebensmittelverschwendung zu vermeiden: Der gemeinnützige Verein „Foodsharing“ organisiert schon seit 2012 die legale Abgabe von überschüssigen Lebensmitteln an die Verbraucher. Freiwillige sortieren die Ware vor und stellen sie an dafür eingerichteten Stationen anderen bereit. Die App „To good to go“ bietet Gastronomie und Läden die Möglichkeit, überschüssige Gerichte und Lebensmittel günstig abzugeben. Es sind kleine Lösungen für ein großes Problem.

Mehr zum Thema

MEHR BEITRÄGE