Der aktuelle Leiter der größten deutschen Forschungsstation in der Antarktis hat uns erzählt, wie er und sein Team dort zum Klimawandel forschen und was sie über die Feiertage im Eis erlebt haben.

Schaut Tim Heitland aus dem Fenster, sieht er nichts als Eis und Schnee. „Die Antarktis schaut dennoch nicht immer gleich aus“, sagt der Leiter der südlichsten Forschungseinrichtung Deutschlands; der Neumayer-III-Station. Eine große Veränderung bringt der Wechsel der Jahreszeiten mit sich: Gerade ist Sommer auf der Südhalbkugel, es ist immer hell, tagsüber und auch nachts. Wie lebt und arbeitet Heitland dort, während für die meisten Deutschen viel Schnee im Winter eine Seltenheit ist?

© privat<p>Bevor Tim Heitland in die Antarktis gegangen ist, hat er als Chirurg in München gearbeitet</p>
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Bevor Tim Heitland in die Antarktis gegangen ist, hat er als Chirurg in München gearbeitet

Über 13 Monate dauert Heitlands Mission, acht Monate davon forschen der Arzt und seine Crew in der völligen Abgeschiedenheit. Die Schneestürme sind im antarktischen Winter zu stark, als dass irgendjemand sie besuchen könnte. Niemand kann den Wissenschaftlern in dieser Zeit zu Hilfe eilen, wenn es Probleme gibt. Die Überwinterungs-Crew ist deshalb möglichst breit aufgestellt und besteht aus einem Arzt, einem Koch, einem Betriebsingenieur, einem Elektrotechniker, einem IT-Experten sowie aus vier Wissenschaftlern, welche die Langzeit-Observatorien der Station betreuen.

Heitland untersucht hier, wie sich Abgeschiedenheit auf den Körper und die Psyche auswirkt

Während sie im Winter normalerweise nur zu neunt sind, wächst das Team im Sommer auf fünfzig Personen an. Nur zu dieser milderen Jahreszeit, zwischen November und Februar, können weitere Wissenschaftler die – zumindest von Deutschland aus – tagelange Reise antreten. Das ist auch die Zeit, in der die Vorräte aufgefüllt werden. Trotz dieses kleinen Fensters, das für den physischen Kontakt mit der Außenwelt bleibt, sei das Leben auf der Station nicht eintönig. „Es fühlt sich nicht so abgeschnitten an, wie es sich anhört“, sagt Heitland. Er verschicke regelmäßig Whats-App-Bilder mit Pinguinen an seine Familie und kann auch skypen. Über die Telefonleitung hört er sich so klar an, als säße er an einem Schreibtisch im Alfred-Wegener-Institut in Bremerhaven – und nicht am südlichsten Forschungsposten Deutschlands am anderen Ende der Welt. Heitland untersucht hier, wie sich Abgeschiedenheit auf den Körper und die Psyche der Missionsteilnehmer auswirkt. Andere Wissenschaftler der Station forschen zu Klimaphänomenen.

Das Eis ist an vielen Stellen dünner als gedacht

Der Klimawandel ist auch hier immer stärker zu spüren. Forscher der Universität Texas und der Universität von South Florida haben aktuell entdeckt, dass das Eis im Osten der Antarktis an vielen Stellen gefährdeter ist als gedacht. Dies belegten sie mit einer neuen Studie, die im Fachmagazin Nature erschienen ist. Bislang galt das bis zu 3,5 Kilometer dicke Eis in der Region als stabiler als zum Beispiel das Eis in der Westantarktis.

Doch auch aus dieser Region kommt eine Schreckensmeldung: Satellitenbilder haben gezeigt, dass sich offenbar ein riesiger Kanal unter dem Dotson-Eisschelf gebildet hat, der die gesamte Region destabilisieren könnte. Wissenschaftler der Universität Edinburgh haben herausgefunden, dass der Kanal das darüber liegende Eis jedes Jahr um rund sieben Meter aushöhlt. An einigen Stellen sei das Eis sogar nur noch halb so dick für es einmal war, schreiben die Wissenschaftler im Fachjournal „Geophysical Research Letters“.

Das Eis unter der Neumayer-III-Station ist jedoch fest, eine Straße gibt es trotzdem nicht. Möchte man die Station im Sommer erreichen, muss man ein Flugzeug oder ein Schiff nehmen. Und diese Koordinaten eingeben: -08° 16.5' Breitengrad und -70° 40.4' Längengrad. Wie ein UFO liegt die Station im weißen Eis der Antarktis, auf dem Ekström-Schelfeis, einer auf dem Ozean schwimmenden Gletscherzunge. Hydraulisch lässt sich die Station nach oben schrauben, um nicht während der Winterstürme komplett von Eis- und Schneemassen umweht zu werden. Sie ist eine von knapp dreißig permanent besetzten Forschungseinrichtungen in der Antarktis.

© dpaEin Kaiserpinguin besucht die Neumayer-III-Station in der Antarktis. Seine Kolonie lebt nur ein paar Kilometer von der deutschen Forschungsbasis entfernt
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Ein Kaiserpinguin besucht die Neumayer-III-Station in der Antarktis. Seine Kolonie lebt nur ein paar Kilometer von der deutschen Forschungsbasis entfernt

Auf der Station messen Wissenschaftler seit Jahren in regelmäßigen Abständen die Lufttemperatur und untersuchen die großen Veränderungen der Erdatmosphäre. Das Forschungsgebiet der Meteorologen liegt zirka 200 Meter südlich der Station. Instrumente an einem Mast messen die Temperatur, die Luftfeuchtigkeit und die Windstärke und Richtung. Einmal die Woche lassen sie einen Ballon steigen, mit dem sie die Ozonwerte bestimmen. So liefern sie wichtige Rohdaten, die Vorhersagen über den Klimawandel möglich machen. Geophysiker gehen jeden zweiten Tag vor die Tür, um zum Beispiel das Erdmagnetfeld routinemäßig zu vermessen. Außerdem beobachten die Wissenschaftler die Dicke des sogenannten Plättcheneises, welches sich unter dem Meereis sammelt. Denn das gibt wiederum Aufschlüsse auf die Auswirkungen des Klimawandels in der Antarktis.     

Der Stationsarzt ist für die Gesundheit des gesamten Teams zuständig

Damit die Wissenschaftler auch in der Abgeschiedenheit an diesen wichtigen Fragen forschen können, kümmert sich der Stationsarzt Heitland darum, dass sie fit bleiben. „Zum Glück gab es bis jetzt nichts Schlimmes“, sagt er. Kleine Erfrierungen, Karies oder Schnupfen hat er bereits behandelt. Doch auch für Notfälle ist die Station ausgestattet – es gibt einen OP-Saal, groß wie in einem Kleinstadtkrankenhaus und sogar ein Röntgengerät. Dank einer Telemedizinausrüstung kann Heitland im Fall einer komplizierten Operation fast in Echtzeit Hilfestellung von Ärzten aus Deutschland bekommen.

© dpaDie Station liegt mehrere Monate im Jahr im Dunkeln
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Die Station liegt mehrere Monate im Jahr im Dunkeln

Neben der medizinischen Versorgung ist es Heitlands Aufgabe, die Geräte in Schuss zu halten. Und eine Langzeitforschung der Station weiterzuführen: Er beobachtet, wie der Körper und die Psyche der Missionsteilnehmer auf die Abgeschiedenheit in der Antarktis reagieren. Dafür untersucht er regelmäßig ihr Blut auf Anomalitäten. Die Bewohner der Station messen außerdem mit Computerspielen und Fragebögen, wie sehr ihnen die Dunkelheit und Isolation auf das Gemüt schlägt. Zur Not bewahrt Heitland auch Antidepressiva in seinem Apothekerschrank auf. Die NASA finanziert diese Experimente mit, denn die Erkenntnisse sind auch für die Weltraumforschung relevant.    

Schnitzeljagd im Schnee war das schönste Weihnachtsgeschenk    

Vor seiner Zeit auf der Antarktis-Station war Heitland eigentlich Chirurg in München. Er las die Stellenausschreibung für die Neumayer-III-Forschungseinrichtung schon einige Male, vorletztes Jahr bewarb er sich dann. Und bekam den Job. Seit fast genau einem Jahr lebt und arbeitet er nun in der Antarktis. Auch Weihnachten und Silvester hat er hier gefeiert.     

Und zwar recht klassisch: Mit einem Weihnachtsessen aus Rotkohl, Gans und Knödeln. Nur der Weihnachtsbaum war aus Plastik – eine richtige Tanne durften die Forscher hier nicht aufstellen. Es ist streng verboten, invasive Arten in die Gegend zu bringen. Auch beschenkt haben sich die Forscher. Statt Bücher oder CDs gab es jedoch Immaterielles. Seine Kollegen haben Heitland eine Schnitzeljagd im Schnee geschenkt. Er musste anhand von Rätseln bestimmte Koordinaten finden. Das habe ihn sehr gefreut. „Es war bestimmt viel Arbeit, das vorzubereiten“, sagt er. Silvester haben die Missionsteilnehmer mit Sekt angestoßen und im Keller der Station sogar gegrillt. Nur Böller hatten sie nicht, wegen der Umweltverschmutzung. Außerdem ist es zurzeit auch nachts hell – auf Grund der Mitternachtssonne, die knapp drei Monate durchgängig zu sehen ist.

Heitland plant nach seiner Rückkehr einen Urlaub in der Wärme

Im Winter, wenn die Sonne gar nicht mehr aufgehen will, haben Heitland der Sternenhimmel und die Polarlichter am meisten beeindruckt. „So etwas Schönes habe ich noch nie gesehen“, sagt er. Es gab Nächte, in denen er mit dem halben Team dick eingepackt draußen vor der Station im Schnee stand, Kopf in den Nacken, um die grün wehenden Bänder am Himmel zu beobachten.

Doch auf diese Himmelsphänomene wird er bald verzichten müssen. Anfang Februar wird Heitland als Stationsleiter und Arzt abgelöst. Danach wird er erstmal Urlaub machen. „Und zwar irgendwo, wo es warm ist“, sagt er.

Hier können Sie mit einer Webcam die Forschungsstation Neumayer III anschauen. Die Mitglieder des Forschungsteams schreiben auf diesem Blog über ihren Alltag.

In der Ausgabe des Greenpece Magazins 1.18 „Einzelkämpfer“ stellen wir weitere Wissenschaftler, Politiker oder Aktivisten vor: Wie Andreas Pawelzig im niedersächsischen Güllegürtel für mehr Umweltschutz kämpft. Warum Hartmut Liebermann seit 30 Jahren gegen Atomkraft demonstriert. Oder was die scheidende Umweltministerin Barbara Hendricks von der fehlenden Rückendeckung der Kanzlerin hält.
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