Bereits als Doktorand in Yale hat der Forscher Krister Smith gerne in den Archiven der Paläontologie gesucht. Dort fand er die Probe eines Fossils, an der sich die wissenschaftlichen Geister schieden. Es war nicht klar, wie viele Augen das Reptil hatte – drei oder vier. Dieses Exemplar hat er mit einem deutsch-amerikanischen Team aus vier Wissenschaftlern analysiert und bemerkenswerte Entdeckungen gemacht. Die Studie lief unter Leitung von Smith, der heute am Senckenberg Forschungsinstitut in Frankfurt arbeitet.

Krister Smith ist selbst US-Amerikaner, der von Yale aus nach Frankfurt gezogen ist. Seine Liebe zu Deutschland hat mit alten Forschungsberichten angefangen, die er im Original lesen wollte. Vor allem Berichte aus dem späten 19. Jahrhundert bis in die Mitte des 20. Jahrhunderts haben ihn begeistert. „Deutschland ist ein spannendes Forschungsland, das viele Entdeckungen ermöglicht hat“, sagt er. Dafür nahm er in den USA Deutschkurse, sein damaliger Doktorvater sagte nur: „Was für eine schreckliche Idee“. Smith hat sich nicht entmutigen lassen. Heute merkt man nur ganz leicht, dass er einen Akzent hat. Ab und zu sucht er noch nach dem passenden Wort.

Der bisherige Stand der Forschung war bis zu der neusten Entdeckung folgender: Viele Eidechsen hatten vor über 250 Millionen Jahren ein sogenanntes Scheitelauge, auch als „Drittes Auge“ oder Parietalorgan bekannt. Die Tiere konnten damit vermutlich wahrnehmen, wie hell oder dunkel es in ihrer Umgebung war. „Die Geschichte des Scheitelauges schien bisher ziemlich einfach zu sein: Wir sind davon ausgegangen, dass sich dieses Organ im Laufe der Evolution bei allen höheren Wirbeltieren außer den Eidechsen zurückgebildet hat“, so Studienleiter Smith. Bei den Eidechsen wurde aus dem zurückgebildeten Scheitelauge die Zirbeldrüse.

Das untersuchte Tier ähnelt dem heutigen Waran – es konnte bis zu 1,30 Metern lang werden und war Fleischfresser

Doch dieser Stand des Wissens gilt ab heute nicht mehr. Das Fossil, ein sogenanntes Waranart Saniwa ensidens, lag bislang tief versteckt in den Archiven von Yale. Ein US-amerikanischer Forscher hatte es zusammen mit seinen Studenten bereits 1871 in Wyoming ausgegraben. Das bereits vor Jahren oder manchmal Jahrhunderten entdeckte Funde erst in Archiven verstauben, bis sie schließlich untersucht werden und Erkenntnisse liefern, ist nicht unüblich. „In den Sammlungen und Museen schlummert das Archiv der Biodiversität“, sagt Smith. Oft hat man erst in der heutigen Zeit die nötigen Instrumente, um sie richtig zu analysieren. Und heute hat Krister Smith erkannt: Hinter dem dritten Auge lag noch ein weiteres primitives viertes Sehorgan. Und das mittig hintereinander auf der Schädeldecke – ein Auge hinter dem anderen.

Das Tier lebte in Nordamerika, in der Epoche Eozän und ist etwa 49 Millionen Jahre alt. Heute ist es ausgestorben. Das Reptil konnte bis zu 1,30 Meter lang werden und war ein Fleischfresser. „Es ähnelt einem heutigen Waran“, sagt Smith. Das ist eine Art der Schuppenexe, die in tropischen und Subtropischen Gebieten leben.

© picture alliance / Arco Images GmbHDas entdeckte Fossil erinnert an einen Waran, hier ein Exemplar eines Komodowarans in Singapur
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Das entdeckte Fossil erinnert an einen Waran, hier ein Exemplar eines Komodowarans in Singapur

Außer der neuseeländischen Brückenechse, einem lebenden Fossil, haben heute noch einige Leguanarten eine zumindest lichtdurchlässige Schuppe auf dem Kopf. Sie können damit feststellen, ob es gerade Tag oder Nacht ist und die Winterruhe und sommerliche Aktivität regeln. Außerdem hat der Lichteinfall noch eine andere wirkungsvolle und wichtige Funktion: Die Tiere können so frühzeitig an möglichen Schatten erkennen, ob sich Feinde nähern und sich so besser vor ihnen schützen. Außerdem verhindert es, dass Leguane zu lange in der hitzigen Sonne liegen.

In ihrer Studie, veröffentlicht Anfang April in der Fachzeitschrift „Current Biology“, sprechen die Forscher um Smith von einer „Re-Evolution“. Damit meinen sie das Auftreten bereits verschwundener Merkmale nach sehr langer Zeit. „Ein vergleichbarer Vorgang wäre es beispielsweise, wenn unsere heutigen Vögel wieder Zähne bekämen“, sagt Smith. Die Entdeckung hat weitreichende Folgen für die weitere Forschung. Die Evolution des Scheitelauges sowie der Zirbeldrüse sei weitaus komplexer, als bislang angenommen. Smith sagt: „Wir denken, dass Eidechsen eine besondere Stellung bei der Entwicklung der Augen einnehmen und daher nicht – wie bisher – als Modellorganismen für andere Wirbeltiere dienen sollten.“

Internationalität hilft, Diskussionen offen für neue Ideen zu halten

Für Schmith ist Internationalität nicht nur ein Schlagwort aus einer Imagebroschüre. Er lebt und liebt sie. „Teams aus verschiedenen Ländern haben den Vorteil, dass sie eventuelle Schulen durchbrechen“, sagt er. Gedanken erstarren so nicht und Diskussionen bleiben offen für neue Ideen. Forschung ist für Smith etwas Lebendiges, das nicht nur in die Archive gehört. Ein Wissen, das auch der Allgemeinheit zugänglich sein sollte. Dafür betreibt die Senckenberg Gesellschaft für Naturforschung drei Museen, in Frankfurt, Görlitz und Dresden, in denen Skelette, ausgestopfte Tiere und Fossilien ausgestellt werden und in denen auch regelmäßig Vorträge stattfinden. Besucher können bei sogenannten „citizen science projekten“ an der Forschung beteiligen und Wissenschaftlern helfen. „Museen sind Archive des Lebens“, sagt Smith.

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