Eine Kuh mit Horn? Dieses Bild eines typischen Rindes könnte bald Geschichte sein, befürchtet der Öko-Verband Demeter. Schon seit Jahren kritisiert der anthroposophisch ausgerichtete Anbauverband die Praxis, Kälbern kurz nach der Geburt die Hornanlage auszubrennen. Nach Schätzungen sind neunzig Prozent der Rinder in deutschen Ställen hornlos, weil sie sich andernfalls gegenseitig und den Bauern verletzen könnten. Auch in rund siebzig Prozent der rinderhaltenden Ökobetrieben wird enthornt. Dies ist zwar laut EU-Ökoverordnung verboten, doch die Landwirte können Ausnahmen bei den Kontrollbehörden beantragen. Im Gegensatz zur konventionellen Haltung, bei der die Tiere vor dem Eingriff Beruhigungs- und Schmerzmittel verabreicht bekommen, werden die Kälber auf Ökobetrieben vorher vom Tierarzt lokal betäubt.

Demeterbetriebe aber halten ausschließlich Tiere mit Horn: Hörner seien ein unverwechselbares Erkennungsmerkmal, an dem sich die Tiere bei der Rangordnung orientierten. Zudem spielten die Hörner bei der Wärmeregulation im Sommer eine wichtige Rolle und kämen womöglich auch der Verdauung und der Milchqualität zugute, erklärt Demeter.

Nun hat der Verband in seinen Bemühungen, hornlose Rinder zu erhalten, einen Rückschlag erlitten. Mitte Dezember schlossen sich große Viehhandelsgesellschaften zusammen und schickten Milchbauern Briefe: Ab Februar würden nur noch hornlose Kälber abgenommen. Mastbetriebe hätten verstärkt Probleme mit dem Veterinäramt, wenn sie die Kälber selbst enthornen, so die Begründung in einem dieser Schreiben. Die Kälber sollten daher auf dem Hof möglichst in den ersten zwei Lebenswochen enthornt werden.

Zur Erklärung: Milchbauern verkaufen die männlichen Kälber wenige Wochen nach der Geburt an spezialisierte Mastbetriebe ­– sie geben schließlich keine Milch. Auch ein Großteil der Biobetriebe handelt so. Für sie ist es zu kostspielig, die langsam wachsenden Bullenkälber aufzuziehen. „Die meisten männlichen Kälber werden in Kalbsmastbetrieben konventionell gehalten – in Deutschland, aber hauptsächlich auch in den Niederlanden“, sagt Onno Poppinga, Agrarwissenschaftler und Mitgründer der Arbeitsgemeinschaft bäuerliche Landwirtschaft (AbL). „Auch den Kälbern aus Biobetrieben wird dies zugemutet. Das ist nicht in Ordnung, jedoch ist es sehr kompliziert, diese Strukturen zu verändern.“ Das liege unter anderem daran, dass zwar die Nachfrage nach Biomilch und Milchprodukten sehr groß sei, die nach Biorindfleisch aber überschaubar. Sprich: Die Aufzucht rechnet sich nicht.

„Unser langfristiges Ziel ist es, unsere Kälber mit Hörnern auf Demeter- oder zumindest auf Biohöfen aufzuziehen“, sagt Susanne Kiebler, Pressesprecherin bei Demeter. „Leider können wir dies zur Zeit nicht zu hundert Prozent gewährleisten.“ Um alternative Strukturen aufzubauen, brauche es Zeit. „Wir arbeiten beispielsweise daran, Mast und Mastställe aufzubauen, die Vermarktung des Bullenfleisches zu stärken, Kundinnen und Kunden zu gewinnen und wir setzen uns für einen fairen Milchpreis ein, der den Betrieben diese Weiterentwicklung erlaubt“, sagt Kiebler. Die Logik dahinter: Wer Biomilch will, muss ab und zu auch Biorindfleisch essen.

Das Schreiben der Viehhändler könnte die Sache nun beschleunigen. Denn Demeterbetriebe stehen vor dem Dilemma, dass sie zwar darauf angewiesen sind, die Bullenkälber abzugeben, sie dürfen – und wollen – diese jedoch nicht selbst enthornen. Die in der Biobranche üblichen Ausnahmen hat der Verband ausgeschlossen. Deswegen seien Demeter-Bäuerinnen und -Bauern derzeit in Gesprächen mit den Viehhändlern, sagt Kiebler: „Wir wenden uns aber auch an die Landesministerien, um auf die politische Dimension der Erhaltung horntragender Rinder hinzuweisen.“

Denn das Schreiben der Viehhändler macht noch einmal deutlich, dass hornlose Milchkühe und Mastrinder inzwischen der Normalfall sind – und welche Probleme Bauern haben, deren Kühe weiterhin Hörner tragen dürfen. Demeter fürchtet inzwischen, dass die Haltung hörnertragender Rinder, die für den Verband so wichtig ist, bald kaum noch möglich sein wird. Denn um die umstrittene und aufwendige Enthornung überflüssig zu machen, setzen Rinderhalter zunehmend auf genetisch hornlose Tiere: Bei ihnen wurden die Kopffortsätze planmäßig weggezüchtet. Auch viele Biobetriebe begrüßen dies. Einige Bioverbände unterzeichneten schon im Jahr 2012 die „Düsseldorfer Erklärung“, eine Art Tierwohl-Konsens, in der sich Akteure der Rinderhaltung verpflichten, der Zucht auf Hornlosigkeit Priorität einzuräumen (siehe Greenpeace Magazin 3.17).

Laut einer Studie der Universität Gießen, die Demeter in Auftrag gegeben hat, ist der Anteil an hornlos gezüchteten Bullen in den vergangenen zehn Jahren rasant gestiegen. Demnach lag er im Jahr 2014 bei knapp 16 Prozent. Das Fazit der Studie: Sollte sich die Hornloszucht weiterhin beschleunigen, ist gegen 2025 bis 2035 mit einem komplett hornlosen Zuchtbullenbestand zu rechnen. Weil sich die Hornlosigkeit dominant vererbt, würden dann keine Kälber mehr mit Hörnern geboren. „Das ist eine gefährliche Entwicklung. Denn dann wäre die genetische Ressource für immer verloren“, sagt Kiebler.

Deswegen setzt sich Demeter für die ökologische Zucht behornter Rassen ein. Agrarwissenschaftler Onno Poppinga begrüßt die Initiative: „Schlechte Stallhaltungssysteme muss man nicht verbessern, indem man den Tieren die Hörner entfernt“, sagt er. „Wenn Tiere Hörner haben, müssen wir die Haltung ihrer Biologie und ihren Verhaltensweisen anpassen.“ Das heißt größere Ställe – und eine intensivere Betreuung.

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