„Es besteht Gefahr für Leib und Leben. Es liegen schwerwiegende Verstöße gegen geltendes Bauordnungsrecht vor.“ So hat ein Mitarbeiter der Stadt Kerpen an diesem Donnerstagvormittag den Baumbesetzern im Hambacher Forst per Megafon den Räumungsbeschluss verkündet.

Das nordrhein-westfälische Bauministerium hatte die Stadt am Mittwochabend angewiesen, die Baumhäuser unverzüglich zu räumen. „Die Weisung wird jetzt umgesetzt“, sagte eine Sprecherin der zuständigen Stadt Kerpen auf Anfrage. In der Nähe des Waldgebietes, das zu einem Symbol des Widerstands gegen die Braunkohle geworden ist, formierte die Polizei am Donnerstagmorgen massive Kräfte.

Als Grundlage für die Räumung bediente sich das Bauministerium eines juristischen Tricks, wie die taz heute berichtete. So sind die Baumhäuser, obwohl illegal auf Privatgrund errichtet, als Wohnraum besonders geschützt. Daher hat sich die Behörde auf Brandschutzgründe berufen, um die Räumung trotzdem sofort vollziehen zu können: Es sei „Gefahr im Verzug für Leib und Leben der Baumhausbewohner aus Brandschutzgründen“, heißt es im Erlass. Stutzig macht, dass diese Befürchtung gerade jetzt kommt, denn im vergangenen Hitzesommer war davon noch keine Rede. Außerdem hat die Polizei laut taz-Bericht vor zwei Wochen bei einem Einsatz am Boden zahlreiche Feuerlöscher beschlagnahmt und damit das nun angeführte Risiko selbst geschaffen.

Gesche Jürgens von Greenpeace sagt dazu: „Es ist unglaublich, dass sich die Landesregierung zum Erfüllungsgehilfen von RWE macht und Fakten schafft. Während in Berlin die Kohlekommission über einen Kompromiss zum sozialverträglichen Kohleausstieg diskutiert, sieht die Bundesregierung tatenlos zu, wie RWE im Hambacher Forst einen sozialen Konflikt maximal anheizt." Waldbesetzer im Hambacher Forst haben gewaltlosen Widerstand gegen die Räumung ihrer Baumhäuser angekündigt. „Für viele ist das ihr Zuhause. Es gibt Menschen, die hier seit sechs Jahren wohnen“, sagte Freddy, der am Donnerstag auf einem Baumstamm in etwa zehn Metern Höhe ausharrte. Die Baumhäuser seien ein europaweit bekanntes Symbol geworden.

Die Stadt Kerpen hatte angekündigt, mit Hilfe der Polizei die Baumhäuser zu räumen, wenn die Baumbesitzer „nicht freiwillig runterkommen“. Auf diese Weise werde man sich bei den 50 bis 60 Baumhäusern Schritt für Schritt vorarbeiten. „Anschließend werden die Baumhäuser unbrauchbar gemacht“, sagte der Sprecher.

Der Einsatz gegen die Baumbesetzer im Braunkohlerevier Hambacher Forst gilt bei der Polizei als einer der größten in der jüngeren nordrhein-westfälischen Geschichte. Nach Informationen der Deutschen Presse-Agentur stehen für die Räumung der Baumhütten sogenannte Höheninterventionsteams bereit, die für derartige Einsätze ausgebildet sind. Aus dem gesamten Bundesgebiet wurden Einsatzkräfte zur Verstärkung in den Hambacher Forst geholt. Wasserwerfer und schweres Räumgerät sind im Einsatz. Eine konkrete Zahl der Einsatzkräfte nennt die Polizei bisher nicht.

Der Energiekonzern und Waldbesitzer RWE will im Herbst mehr als die Hälfte des noch verbliebenen Waldstücks roden, um weiter Braunkohle baggern zu können. Dagegen gibt es seit Langem Proteste. Aktivisten haben Baumhäuser in großer Höhe errichtet und halten den Wald damit besetzt. Bevor gerodet werden kann, muss daher geräumt werden. Das gilt wegen der Höhe der Hütten und des erwarteten Widerstands als äußerst schwierig.

Bei der nun geplanten Räumung geht es juristisch gesehen gar nicht um RWE und die Braunkohle. Vielmehr argumentiert das Ministerium nach Angaben der Stadt Kerpen und des ebenfalls betroffenen Kreises Düren unter anderem mit dem fehlenden Brandschutz in den Baumhäusern. Nach einem Vor-Ort-Termin sei das Ministerium zu der Überzeugung gelangt, dass es sich bei den Hütten um bauliche Anlagen im Sinne der NRW-Bauordnung handele.

Nach der Bauordnung müssten die Baumhäuser etwa über Rettungstreppen und über Geländer verfügen. Außerdem müssten Rettungswege für Feuerwehr und Krankenwagen verfügbar sein. Weil das nicht gegeben ist, ergäben sich „konkrete Gefahren“ für die Bewohner. Daher müssten die Bauämter der Stadt Kerpen und des Kreises Düren die Baumhäuser ohne zeitlichen Aufschub räumen, argumentiert das Ministerium.

Umsetzen müssen das die Bauämter der Stadt Kerpen und des Kreises Düren, auf deren Gebiet der Hambacher Forst liegt. Sie haben bei der Aachener Polizei dafür um Vollzugshilfe gebeten, um die Häuser räumen und beseitigen zu können.

Schon am Mittwochabend hatten Aktivisten in den sozialen Netzwerken dazu aufgerufen, den Protest im Hambacher Forst zu unterstützen. Zuletzt waren am vergangenen Samstag und Sonntag Hunderte Menschen dem Aufruf zu einem „Wochenende des Widerstands“ in dem Waldstück gefolgt.

Der Forst gilt als Symbol des Kampfes um Klimaschutz und des Widerstands gegen die Kohle. In ihm stehen Jahrhunderte alten Buchen und Eichen. Zudem gibt es Vorkommen geschützter Arten wie der Bechsteinfledermaus. Mehrere Organisationen wollen seine Rodung unter anderem aus diesen Gründen verhindern. Aus Sicht von RWE ist die Abholzung unvermeidbar, um die Stromproduktion in den Braunkohlekraftwerken zu sichern. Frühestens im Oktober darf der Konzern mit der Rodung beginnen.

Immer wieder hat die Polizei von Angriffen auf Polizisten an dem Waldstück berichtet. NRW-Innenminister Herbert Reul (CDU) warnte, dass man es mit „extrem gewaltbereiten Linksextremen“ zu tun habe, die aus ganz Deutschland und dem benachbarten Ausland anreisten.

Der Streit um den Hambacher Forst könnte auch die Arbeit der sogenannten Kohlekommission stören, obwohl das Thema dort offiziell nicht auf der Tagesordnung steht. Wirtschaft, Klimaschützer, Politik und Betroffene sollen bis Ende des Jahres gemeinsam einen Weg aus der Kohlestrom-Produktion vereinbaren. Die beteiligten Umweltverbände fordern einen Aufschub der Rodung, bis das erledigt ist – ihrer Ansicht nach könnte der Wald vielleicht stehen bleiben, wenn ältere Kraftwerke abgeschaltet werden.

Die Umweltverbände in der Kommission haben symbolische Baumpatenschaften im Hambacher Forst übernommen. Denkbar ist, dass ein oder mehrere Umwelt-Vertreter die Kommission verlassen, falls RWE rodet. Ein breiter gesellschaftlicher Konsens wäre dann gefährdet.