Stimmengewirr und Lautsprecheransagen dringen aus dem Telefonhörer, dann die Stimme von Mohamed Amjahid. Wir erwischen den Buchautor und Redakteur der „Zeit“ telefonisch für ein Interview am Hamburger Hauptbahnhof, kurz bevor er in seinen Zug nach Leipzig springen muss. Amjahid ist zur Zeit viel unterwegs. Auf der Leipziger Buchmesse ist er für die Moderation der Veranstaltung „Europa 21“ zuständig, bei der eigene Privilegien in Europa hinterfragt werden sollen. Und zum Auftakt der Internationalen Wochen gegen Rassismus, die vom 12. bis 25. März stattfindet, ging es nach Bielefeld. Dort hat Mohamed Amjahid aus seinem Buch „Unter Weißen“ gelesen. Mit dem Greenpeace Magazin spricht der Autor darüber, wie er alltäglichen Rassismus in Deutschland erlebt.

Herr Amjahid, es ist etwa ein Jahr her, dass Ihr Buch „Unter Weißen“ erschienen ist. Darin schreiben Sie über Alltagsrassismus in Deutschland. Was hat sich seitdem für Sie geändert?

Seitdem erkennen mich Leute im öffentlichen Raum als Autoren und sprechen mich an. Das war am Anfang etwas komisch. Aber eigentlich freue ich mich, denn Lob ist Balsam für die Autorenseele. Und auch das beständige Interesse freut mich: Ich bekomme auch jetzt noch zwei bis drei Zuschriften pro Tag und mehr als die Hälfte ist positiv. Aber natürlich sind auch Hassbotschaften dabei. Aber ich sehe das als Teil meiner Arbeit.

Würden Sie das Buch heute noch genauso schreiben?

Ja, meine Kernthese ist heute noch genauso relevant. Rassismus in Deutschland hat sich ja nicht durch mein Buch innerhalb eines Jahres aufgelöst oder gravierend geändert. Das Grundproblem besteht fort, dass es in Diskursen um nicht-weiße Menschen immer um „die Anderen“ geht. Aber immer mehr dieser vermeintlich „Anderen“ werden sprechfähig und ändern dadurch die Perspektive. Also fragen Sie mich in zehn Jahren noch einmal.

Ihre Eltern sind aus Marokko nach Deutschland gezogen, Sie haben einen Teil Ihrer Jugend in Marokko verbracht. Inwiefern beeinflusst das Ihre Arbeit?

Ich arbeite hauptberuflich als Redakteur und Reporter für das Ressort Politik der Wochenzeitung „Die Zeit“ und bin viel im Ausland unterwegs. Und gerade in arabischen Ländern nutzen mir natürlich meine Sprachkenntnisse aber auch meine interkulturelle Kompetenz. Zumindest spüre ich dort eine größere Vertrauensbasis, die Leute öffnen sich schneller und erzählen ihre Geschichten. Bei meinen Recherchen möchte ich auch immer auf die Perspektive der Menschen vor Ort eingehen: Also was macht unser westlicher Lebensstil mit Menschen in anderen Lebenskontexten? Welche Folgen hat es, wenn unsere alten Diesel nicht in Deutschland verschrottet werden, sondern exportiert werden? Dann haben nämlich die Menschen vor Ort das Problem. Beispielsweise ist in Marokko jedes zweite Taxi ein altes Dieselfahrzeug aus Deutschland. In den Städten dort kann man bald nicht mehr atmen.

Und wie sehen die Nachteile aus, die sich aus dem Migrationshintergrund für Sie in Deutschland ergeben?

Einschränkungen ergeben sich beispielsweise auch dadurch, dass ich keine deutsche Staatsbürgerschaft habe. Und das wirkt sich erheblich auf die Mobilität aus, also auf meine Reisen. Da gibt es Grenzen, die von Menschen mit deutschem Pass gar nicht wahrgenommen werden. Und das zeigt, dass nicht nur die Hautfarbe, sondern auch die Passfarbe zählt. Beim Rassismus will ich zunächst gar nicht über Organisationen, neue Parteien oder die alten Gedanken, die immer noch präsent sind, sprechen. Sondern über die Mikro-Aggression im Alltag, die allen Menschen begegnet, die nicht der vermeintlichen Norm entsprechen. Erst einmal macht ein nicht-weißes Aussehen praktische Aspekte des Lebens wie die Arbeits- und Wohnungssuche sehr viel schwieriger. Aber anstrengend sind auch diese Blicke und Sprüche, die einen ständig begleiten – das ist mir und meinem Umfeld einfach schon zu oft passiert. So hat zum Beispiel in der S-Bahn, als ich auf dem Weg zum Bahnhof war, eine ältere Frau gegen meinen Koffer gekickt und gesagt, ich solle mich nach Anatolien verpissen. Das sind natürlich Szenen, die nicht schön sind, wenn sie einen ständig begleiten. Ich habe die Frau nicht zur Rede gestellt, damit ich meinen Zug nicht verpasse und die Erfahrung getwittert. Und bekomme nun viele solidarische Zuschriften, aber auch genauso viele Nachrichten, warum ich verschwinden solle.

Wie sind Ihre Erfahrungen mit Antidiskriminierungsstellen? Hat Deutschland hier eine ausreichende Infrastruktur?

Sowohl die Infrastruktur, als auch die Informationslage in Deutschland ist ausbaufähig. Häufig wissen Menschen, die Rassismus-Erfahrungen gemacht haben, gar nicht, an wen sie sich wenden können. Außerdem fehlt in Deutschland eine Sprache dafür, auch das ist Teil des Problems. Es wird zwar die ganze Zeit gesprochen – über Ausländer, Lesben, Juden oder andere Gruppen, die nicht die vermeintliche Norm eines weißen, heterosexuellen und männlichen Mitglieds der deutschen Gesellschaft erfüllen. Aber die definierte Norm, die weiße Mehrheitsgesellschaft, wird nicht benannt. Weiße Menschen in Deutschland sehen sich nicht als „weiß“, sondern als „normal“. Hier sind die USA um einiges weiter. Selbst der als rechts-konservativ geltende TV-Sender „Fox News“ spricht selbstverständlich von „white people“. Und das ist wichtig, denn man muss Strukturen und Privilegien benennen, um sie zu verändern. Und in Deutschland wird gar nicht über Privilegien gesprochen.

Ist das auch die Motivation hinter ihrer Arbeit, Diskurse und Perspektiven zu verändern? Funktioniert das?

Als ich im Zeitmagazin den Artikel „Ga Ga Land“ über die antideutsche Szene in Deutschland geschrieben habe, hat das einige Wellen geschlagen. Das war ja eine Reportage über eine bestimmte Gruppe innerhalb der linken Bewegung, für die ich einige Monate in ganz Deutschland recherchiert hatte. Ich wollte verdeutlichen, dass die Welt nicht mehr so einfach in links und rechts aufzuteilen ist und ein differenzierteres Bild zeichnen. Und da habe ich sehr viele positive Rückmeldungen bekommen. So schrieben mir zum Beispiel viele Leser und Leserinnen, dass sie sich sehr lange gefragt haben, was in der linken Szene so abgeht und sie nun etwas mehr verstanden haben, wo die Konfliktlinien verlaufen. Aber es gab auch teils recht plump rassistische Reaktionen. Da haben mir Leute geschrieben, ich solle „auf meinen Teppich steigen und zurück nach Mekka fliegen“. Die waren ein interessantes Beispiel dafür, wie Menschen mit Privilegien darauf reagieren, wenn sie mit diesen konfrontiert werden: nämlich beleidigt. Aber im Prinzip sind viele Reaktionen von Leserinnen und Lesern ja ein Zeichen für Erfolg – zumindest als Journalist. Denn Reaktionen und Aufmerksamkeit zeigen, dass man etwas richtiggemacht hat, etwas mit seiner Arbeit auslöst oder bewirkt. So leiste ich einen kleinen Beitrag für die große Diskussion.

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