Als der EU-Gesundheitskommissar Vytenis Andriukaitis im Frühjahr sagte: „Die Gesundheit der Bienen bleibt für mich von größter Bedeutung“, da wollte man ihm nicht widersprechen. Denn die EU-Staaten hatten gerade ein Freilandverbot für drei Neonicotinoide verabschiedet. Die auch „Bienenkiller“ genannten Pestizide lösen bei Insekten schon in geringen Dosen Störungen des zentralen Nervensystems aus.

2008 hatte eine Saatmaschine im Oberrheingraben versehentlich Stäube mit dem Neonicotinoid Clothianidin aufgewirbelt, in der Folge starben mehr als 11.000 Bienenvölker. Erst zehn Jahre später bestätigte die europäische Behörde für Lebensmittelsicherheit EFSA die Risiken für Bienen durch die Pestizidgruppe. Das Verbot von Imidacloprid, Thiamethoxam und Clothianidin im April dieses Jahres feierte dann auch Bundeslandwirtschaftsministerin Julia Klöckner (CDU): „Heute ist ein guter Tag für den Schutz der Bienen in Deutschland und in Europa.“

Ersatzstoffe für verbotene Pestizide sind auf EU-Ebene längst zugelassen

Was Klöckner und EU-Kommissar Andriukaitis verschwiegen hatten: Ersatzstoffe für die verbotenen Substanzen waren zu diesem Zeitpunkt auf EU-Ebene längst zugelassen. Ob sie die Pestizide auf ihrem eigenen Grund und Boden zulassen, entscheiden die Mitgliedstaaten im Anschluss selbst. Deutschland tut das gerade. Sie könnten noch in diesem Sommer auf den Markt kommen.

Cyantraniliprol, Sulfoxaflor und Flupyradifuron heißen die neuen Pflanzenschutzmittel. Laut dem Naturschutzverein Umweltinstitut München bergen sie „eine erhebliche Gefahr nicht nur für Honigbienen, sondern auch für wildlebende Insekten wie Schmetterlinge und Hummeln“. Sie wirken systemisch: Einmal in der Pflanze, verteilen sie sich überall vom Stängel bis zur Blüte und vergiften auch das Wasser, das die Pflanzen über ihre Blätter abgeben. Beim Wirkstoff Sulfoxaflor stellte die EFSA fest, dass bei bestimmten Anwendungen ein hohes Risiko für Honigbienen und Langzeitrisiken für kleine pflanzenfressende Säugetiere entstehe.

Die Wirkung des von Bayer entwickelten Flupyradifurons untersuchten zwei Forscherinnen der Universität Würzburg und kamen zu folgendem Ergebnis: „Unsere Daten zeigen, dass nicht tödliche Dosen von Flupyradifuron nach einmaliger Verabreichung an sammelnden Honigbienen deren Geschmackswahrnehmung sowie das Lernen und Gedächtnis negativ beeinflussen.“ Der Wirkmechanismus der beiden Stoffe ist mit dem der im April 2018 verbotenen Neonicotinoide identisch, befand das Umweltinstitut München.

Durch Schlupflöcher gelangen manche der bienenschädlichen Mittel auf die Felder

Bei dem dritten Wirkstoff, Cyantraniliprol, ist die Lage noch bedenklicher. Das Pflanzenschutzmittel bringen Bauern in Deutschland schon jetzt auf ihre Felder aus, ohne dass es offiziell zugelassen ist. Möglich machen das zwei Schlupflöcher: Zum einen darf Deutschland mit dem Wirkstoff behandeltes Saatgut aus anderen EU-Ländern importieren, in denen er bereits zugelassen ist. Zum anderen kann das Bundesamt für Verbraucherschutz (BVL) eigenständig Notfallzulassungen erteilen, ohne sich mit anderen Behörden absprechen zu müssen. Für einen Zeitraum von 120 Tagen darf das Mittel beim Anbau von Zwiebeln, Radieschen, Wirsing, Brokkoli, Wein, Kirschen, Pflaumen, Zwetschgen, Mirabellen, Renekloden, Johannis-, Stachel- und Heidelbeeren zur Schädlingsbekämpfung eingesetzt werden. Das BVL schreibt in diesen Notfallzulassungen aber auch: „Das Mittel wird als bienengefährlich eingestuft.“ Ein Hinderungsgrund scheint das nicht zu sein.

Um neue Pflanzenschutzmittel dauerhaft zuzulassen, muss das BVL sich mit dem Bundesinstitut für Risikobewertung, dem Bundesforschungsinstitut für Kulturpflanzen und dem Umweltbundesamt einigen. Informationen über gestellte Anträge und laufende Verfahren sowie deren Antragsteller sieht das BVL als Betriebs- und Geschäftsgeheimnisse an – und verweigert die Auskunft. Das Umweltinstitut München klagte sie daraufhin ein und bekam Recht.

Da die Information nun „nicht mehr vertraulich“ sei, teilt das BVL auf Anfrage des Greenpeace Magazins mit: Für Sulfoxaflor liegen drei Zulassungsanträge vor, für Flupyradifuron fünf und für Cyantraniliprol sieben. Wann und von wem sie beantragt wurden, verrät das BVL nicht, genauso wenig, wann mit einer Entscheidung zu rechnen ist. Nur im Falle des Wirkstoffs Cyantraniliprol sei bei einem Antrag „von einer Zulassungsentscheidung in naher Zukunft auszugehen“. Was nahe Zukunft konkret bedeutet, bleibt offen. Das Umweltinstitut München und Campact warnen, dass der Wirkstoff Flupyradifuron schon diesen August zugelassen werden könnte. Dazu äußern will sich das BVL nicht.

Landwirtschaftsministerin Julia Klöckner lässt sich gerne mit dem markigen Satz „Was der Biene schadet, muss vom Markt“ zitieren. Das klingt erst einmal gut. Allerdings hinterfragt Christine Vogt, Referentin für Landwirtschaft beim Umweltinstitut München, wie konsequent Klöckner ihr Motto umsetzt. „Es nützt wenig, wenn für jeden verbotenen Wirkstoff ein anderes Gift zugelassen wird, das bekanntermaßen ähnlich gefährlich ist“, so Vogt. Und was macht die Umweltministerin Svenja Schulze (SPD)? Die stellte unterdessen ungerührt ihr „Aktionsprogramm Insektenschutz“ vor. Mit dem will sie den Einsatz von Pflanzenschutzmitteln verringern und „wo möglich verbieten“. Ihre Argumentation: „Pestizide können, auch wenn sie zugelassen sind, negative Auswirkungen auf Insekten haben.“ Nun, einzig und allein dafür sind Pestizide da. Sie schaden nur dann keinem Insekt, wenn sie gar nicht zugelassen werden – auch nicht im „Notfall“.