Wo andere ein Heimatmuseum haben, hat das schwäbische Städtchen Oberndorf ein Waffenmuseum. Zwischen Schwarzwald und schwäbischer Alb am oberen Neckartal gelegen, hat der Ort 13.900 Einwohner, einen parteilosen Bürgermeister, eine lebhafte Narrenzunft  – und zwei der größten Waffenhersteller der Republik, die einen wesentlichen Anteil daran haben, dass Deutschland viertgrößter Waffenexporteur der Welt ist: Rheinmetall und Heckler & Koch.

Im Stadtteil Lindenhof befindet sich hinter einem gut zwei Meter hohen Zaun und einer sauber gemähten Rasenfläche eine Firma, die auf der ganzen Welt mit Kleinwaffen den Tod bringt. Von der Ruhe, mit der sonst bei Heckler & Koch Waffen produziert werden, ist an diesem Pfingstmontag allerdings nichts zu spüren: Rund 400 Menschen haben sich zu einer Kundgebung vor dem Firmengelände getroffen, denn von hier startet ein 13-tägiger Protest-Staffellauf quer durch die Republik.

Das Motto der groß angelegten Anti-Rüstungs-Aktion: Frieden geht. Die Veranstalter, ein Bündnis aus pazifistischen Organisationen, kirchlichen Vereinen, Sportclubs und politischen NGOs, wollen laufend und auf einer Route durch ganz Deutschland gegen Waffenexporte demonstrieren. Deutschland ist nach den neuesten Untersuchungen des schwedischen Friedensforschungsinstituts Sipri der viertgrößte Rüstungs- und Waffenexporteur der Welt. Die Top drei Abnehmer sind derzeit nach Angaben des Bundeswirtschaftsministeriums Algerien, Ägypten und Litauen. Die Kritik an diesen und anderen Waffen-Exporten nahm in den letzten Jahren zu: Weil von hier verschickte Waffen immer wieder in Konflikt- und Kriegsregionen auftauchen und mit deutschen Waffen Konflikte anderswo angeheizt und nichtdemokratische Herrschaftsstrukturen verteidigt werden. Für die Lieferung von Waffen in Konfliktregionen in Mexiko stehen derzeit ehemalige Angstellte des Kleinwaffenherstellers Heckler & Koch vor Gericht.

Rund um den Staffellauf gibt es Podiumsdiskussionen, Filmvorführungen und Konzerte

Nach Informationen von „taz“ und „Report Mainz“ steht nun zusätzlich der Vorwurf im Raum, dass das Unternehmen gezielt Parteispenden an CDU und FDP getätigt hat, um damit Einfluß auf die Exportgenehmigung zu bekommen. Der Rüstungsdeal könnte sich damit zu einem politischen Skandal ausweiten. „Sollten die Berichte stimmen, wäre dies nicht nur eine Straftat sondern auch ein handfester Skandal“, sagte Marco Bülow, Lobbyismus-Experte der SPD-Bundestagsfraktion. „Ich fordere die Bundestagsfraktionen von Union und FDP auf, sich zu dieser Sache zu erklären. Sollten Bundestagsabgeordnete aus ihren Reihen tatsächlich Geld angenommen haben, um Rüstungsexporte zu beschleunigen, muss dies Konsequenzen haben.“ Auch Abgeordnete anderer Parteien äußerten sich zu den Vorwürfen. 

All das schwang mit, als gestern vor dem Start des Staffellaufs die versammelten Rüstungsgegner eine Schweigeminute abhielten: In Gedenken an die Menschen, die durch deutsche Rüstungsexporte zu Tode gekommen sind. Dann ging es los: die ersten 35 Etappenläufer starteten Richtung Südwesten, flankiert von hunderten aufsteigenden Luftballons in weiß und blau. „Wir wollen mit dieser Aktionsform Menschen mit unterschiedlichen Hintergründen zusammenbringen, Rüstungskritiker aus Kirchen, Sportvereinen und der Friedensbewegung“, sagt Max Weber, Co-Koordinator der Aktion. „Aus dem so geknüpften Netzwerk soll eine neue, starke Bewegung entstehen.“

Bisher haben sich 1000 Menschen für einzelne Etappen angemeldet, pro Wegstrecke gibt es mindestens einen Abschnitt, der gehend zurückgelegt wird. So soll der Staffellauf nicht nur Langstreckenläufer anziehen, sondern auch weniger sportliche oder fitte Waffen-Gegner. Noch mehr Menschen werden zu den Veranstaltungen erwartet, die rund um den den Staffellauf stattfinden: Podiumsdiskussionen, Filmvorführungen, Konzerte und Friedensgebete.

Vor acht Jahren stellte Rüstungskritiker Jürgen Grässlin Anzeige, jetzt beginnt der Protest

Der Protest der Friedensallianz richtet sich generell gegen den Export von deutschen Kriegswaffen und Rüstungsgütern, aber insbesondere gegen den Export in Kriegs- und Konfliktregionen. Zuletzt wurde das Problem bei der türkischen Offensive in Syrien sichtbar, als in Deutschland produzierte Panzer des Modells „Leopard 2 A4“ in Nordsyrien einrollten. Darüber hinaus fordern die Veranstalter aber auch ein Exportverbot von Kleinwaffen und Munition sowie einen Stopp der staatlichen Absicherung von Rüstungsexporten. Sie kritisieren das Waffengeschäft in Deutschland allgemein: „Es geht nicht, dass Deutschland vor dem Hintergrund seiner kriegerischen Geschichte Waffen in Länder exportiert, die Menschenrechte verletzen oder Kriege führen oder beides zusammen“, sagt Max Weber. Die Forderungen des Aktionsbündnisses sind nicht nur symbolisch, sondern auch physisch Teil des Staffellaufes: Der Stab enthält ein Papier, auf dem die Allianz ihr Anliegen niedergeschrieben hat.

Einer, der den Staffellauf mitinitiiert hat, ist der Rüstungskritiker Jürgen Grässlin, Sprecher der Deutsche Friedensgesellschaft und Mitarbeiter des Rüstungsinformationsbüros in Freiburg. Acht Jahre ist es her, dass er Strafanzeige gegen Heckler & Koch einreichte, weil das Unternehmen 2006 illegal Sturmgewehre des Typs HK G36 in die von Konflikten gezeichneten Provinzen Chiapas, Chihuahua, Guerrero und Jalisco geliefert haben soll. Die Staatsanwaltschaft Stuttgart startete ein Ermittlungsverfahren und durchsuchte im Dezember 2010 die Geschäftsräume des Unternehmens: Verdacht auf Verstöße gegen das Kriegswaffenkontrollgesetz und gegen das Außenwirtschaftsgesetz. 2015 wurde die Klage erhoben, den sechs angeklagten ehemaligen Heckler & Koch-Angestellten wird vorgeworfen, von 2006 bis 2009 an 16 illegalen Lieferungen von insgesamt etwa 4700 Gewehren und Zubehörteilen beteiligt gewesen zu sein, teilte die Staatsanwaltschaft mit. Am 15. Mai hat der Prozess begonnen, bis Ende Oktober sind 25 Verhandlungstage geplant. Für den Friedensaktivisten, der die Klage ins Rollen gebracht hat, geht der Prozess aber nicht weit genug: „Meiner Meinung nach müssten viel mehr Verantwortliche der Kontrollbehörden vor Gericht stehen“, sagte Grässlin gegenüber der Süddeutschen Zeitung. Die Behörden hätten den illegalen Waffenhandel „geduldet, wenn nicht sogar ermöglicht.“ Er prophezeit schon jetzt Freisprüche und milde Urteile.

Die Exporte in Staaten außerhalb der EU sind seit 2015 um 47 Prozent gestiegen

Und auch die weitere Entwicklung der deutschen Waffenexporte lässt nichts gutes erahnen: Die große Koalition aus CDU und SPD hat in den vergangenen vier Jahren 21 Prozent mehr Rüstungsexporte genehmigt als die schwarz-gelbe Vorgängerregierung. Der Gesamtwert der Lieferungen lag von 2014 bis 2017 bei 25,1 Milliarden Euro, wie im Januar aus vorläufigen Zahlen des Wirtschaftsministeriums auf Anfrage der Linksfraktion hervorging. Die Exporte in Staaten außerhalb von Europäischer Union und Nato stiegen unter der Großen Koalition ab 2015 sogar um 47 Prozent. „Nachdem die Rüstungsexporte unter der letzten Bundesregierung, entgegen ihrer Ankündigung, ein Rekordhoch erreicht haben, braucht es jetzt eine Antwort der Zivilgesellschaft“, sagt Jürgen Grässlin. Ein erster Schritt in diese Richtung ist der Staffellauf gegen Rüstungsexporte.

Bis zum 2. Juni wird die Anti-Waffen-Demonstration quer durch die Republik fortgesetzt. Am 22. Mai geht es von Furtwangen nach Lahr, über Karlsruhe nach Heidelberg und Mannheim. Ab dem 25. Mai zieht der Staffellauf von Mannheim nach Frankfurt, dann über Fulda nach Kassel, Eisenach, Jena, Wittenberge, Potsdam, bis die Aktion nach 13 Tagen, über 1100 Kilometern und mehr als 80 Etappen in einer Abschlussdemonstration am Potsdamer Platz in Berlin mündet. „Das mit deutschen Waffen schwere Menschenrechtsverletzungen verübt und Millionen von Menschen in die Flucht getrieben oder getötet werden, das ist für mich und die anderen Aktivisten einfach unerträglich", sagt Koordinator Max Weber. „Das können wir nicht auf uns sitzen lassen. Deshalb setzten wir uns in Bewegung und laufen los.“

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