Was hat die SPD für Umwelt und Klimaschutz in den Verhandlungen mit der Union herausgeholt? Wie weit bleiben die Ergebnisse hinter dem zurück, was die Grünen für Jamaika ausgehandelt hatten? Wie ist die Stimmung bei den Sozialdemokraten? Was diskutieren die SPD-Mitglieder gerade hinsichtlich einer erneuten Regierungsbeteiligung ihrer Partei – und wie? Matthias Miersch zieht im Gespräch mit dem Greenpeace Magazin Bilanz.

Wie beurteilen Sie das Ergebnis der Koalitionsverhandlungen aus umweltpolitischer Sicht?

Wir haben für den Umwelt- und Naturschutz viel herausgeholt: Beim nationalen Naturerbe, dem Wildnisfond, der Moorschutzstrategie, aber auch beim Insektenschutz. Auch im Bereich der Landwirtschaft haben wir eigene Akzente gesetzt. Wir konnten uns bei grüner Gentechnik mit der Union darauf verständigen, eine bundeseinheitliche Verbotsregelung zu erarbeiten. Darüber hinaus haben wir grundsätzlich den Glyphosat-Ausstieg beschlossen. Das sind erste Ansätze zu einem Paradigmenwechsel in der Landwirtschaft. Jetzt geht es um die Umsetzung.

Und wie sieht das beim Klima aus? Da gab es ja schon während der Sondierungsgespräche viel Protest, weil SPD und Union die Klimaziele 2020 als unrealistisch bezeichnet hatten.

Beim Thema Klimaschutz – wenn auch hoch umstritten – war es richtig, sich ehrlich zu machen. Mit den bisherigen Maßnahmen hätten wir das Klimaziel 2020 nicht mehr erreichen können. Umso wichtiger ist mir, dass wir das Klimaschutzgesetz vereinbart haben, um damit das völkerrechtlich verbindliche Ziel 2030 sicher zu erreichen. Damit schaffen wir eine national verbindliche Regelung, einschließlich eines Kohleausstiegspfads und des Ausbaus von erneuerbaren Energien auf 65 Prozent. Das sind Schritte, mit denen wir in den nächsten Jahren sehr viel bewirken können.  

War es überhaupt entscheidend für die SPD, bei Umwelt und Klima das Beste herauszuholen? Haben für Ihre Partei soziale Themen wie Pflege, Arbeitsbedingungen und Gesundheit nicht Vorrang vor der Umwelt?

Ich werbe immer dafür, dass ökologische Themen von sozialen Fragen nie getrennt werden. Willy Brandt hat schon im Bundeswahlkampf 1961 vom blauen Himmel über der Ruhr gesprochen und damit die Luftverschmutzung im Ruhrgebiet angeprangert. Insofern glaube ich: Das, was die SPD auszeichnet und was ein Markenkern sein muss, ist, dass wir Ökologie, Ökonomie und soziale Gerechtigkeit zusammen denken.

Und wie steht die SPD zu den gerade von Ihnen angesprochenen Klimazielen 2020? Die haben SPD und Unionsparteien jetzt geknickt?

Wir haben an keiner Stelle die Klimaschutzziele aufgegeben, auch das 2020-Ziel nicht. Wir haben im Koalitionsvertrag festgehalten, dass wir die bereits beschlossenen Maßnahmen ergänzen werden, um die Handlungslücke zur Erreichung der 2020-Ziele schnellstmöglich zu schließen. Es ist natürlich interpretationsfähig, was „so schnell wie möglich“ heißt. Aber wir haben gesagt, dass die Ziele mit den bisher beschlossenen Maßnahmen nicht mehr zu erreichen sind. Übrigens auch nicht mit den Maßnahmen, die Grüne, FDP und Union in ihren Jamaika-Verhandlungen diskutiert hatten. Auch der Kompromissvorschlag, die Kohleverstromung um sieben Gigawatt zu reduzieren, hätte nicht zum Erreichen der Klimaziele 2020 geführt.

Was sagen Sie zu dem Vorwurf, die Politik schiebe die Verantwortung in Kommissionen ab, anstatt selbst ein Datum für den Kohleausstieg zu setzen?

Ein Diskurs, der alle gesellschaftlichen Gruppen in die Entscheidung miteinbezieht, dauert vielleicht länger, ist dafür aber am Ende nachhaltiger. Hätten wir ein Ausstiegsdatum ohne Diskussion von oben benannt, wäre dieses Datum von allen möglichen Akteuren immer wieder in Frage gestellt worden und am Ende womöglich nicht durchsetzbar gewesen.

Sie waren ja bei den Koalitionsgesprächen dabei. Wie hat die SPD die ganzen prestigeträchtigen Ministerposten ergattert? Durch Abstriche bei Inhalten wie Umwelt- und Klimaschutz?

Ich habe zusammen mit Bundesumweltministerin Barbara Hendricks im Bereich Energie, Umwelt und Klima verhandelt. Wie die SPD an die drei begehrten Ministerposten für Arbeit und Soziales, Finanzen und Außenpolitik gekommen ist, habe ich nur am Rand mitbekommen. Aber das geschah in der letzten Nacht. Da waren die Inhalte bereits fixiert. Wir haben auf den letzten Metern einfach besser verhandelt und CDU und CSU haben erkannt, dass sie uns etwas anbieten mussten. Mit einem SPD-geführten Finanzministerium können wir endlich auch solche Ziele durchsetzen, die an Schäuble als Finanzminister bisher gescheitert sind. Ich denke da an mehr Solidarität in der europäischen Union und mehr Investitionen beispielsweise in die Bekämpfung von Fluchtursachen.

Und was sagen Sie zu dem Vorwurf von Umweltverbänden, Deutschland gebe seine Vorreiterrolle im Klimawandel nun ganz bewusst auf?

Der Atomausstieg und der Ausbau der Erneuerbaren auf 65 Prozent, der Kohleausstiegsplan und das geplante, rechtsverbindliche Klimaschutzgesetz – das sind Elemente, die in dieser Form in anderen Staaten mit einer vergleichbaren Industriestruktur nicht vorkommen. Ich stimme der Forderung der Umweltverbände aber zu, dass das, was wir jetzt beschlossen haben, auch umgesetzt werden muss. Bisher steht das alles noch als Absichtserklärung im Koalitionsvertrag. Nur wenn wir das auch wirklich umsetzen, können wir unserer Vorbildfunktion im internationalen Bereich gerecht werden. 

Was halten Sie von den aktuellen Entwicklungen bei Diesel-Fahrverboten? Die Bundesregierung will nun doch eine Rechtsgrundlage für Fahrverbote schaffen und das Bundesverwaltungsgericht hat den Weg für Fahrverbote von Kommunen freigemacht.

Die Luftreinhaltung und der Gesundheitsschutz haben oberste Priorität. Die technische Nachrüstung von Euro 5- und Euro 6-Fahrzeugen kann hierzu einen substanziellen Beitrag leisten. Politik und Hersteller sind gemeinsam aufgerufen, zu handeln. Wir dürfen die Automobilindustrie hier nicht aus der Verantwortung lassen. Es muss jetzt schnell das Gespräch mit den Kommunen gesucht werden, um diese von Bundesebene aus bei der Umsetzung effizienter Maßnahmen, wie sie das Gericht skizziert hat, zu unterstützen.

Wie realistisch ist der aktuelle Vorstoß der Bundesregierung, kostenlosen Nahverkehr einzuführen? Das wurde ja vielfach als nicht bezahlbar kritisiert.

Ich finde generell, dass man mal in großen Entwürfen denken sollte, das ist in der Politik notwendig. Aber ein kostenloser ÖPNV ist für mich auch nur ein Mosaikstein. Das Gleiche wünsche ich mir für den Personenfernverkehr insgesamt. Das alles müssen wir nun in den nächsten Jahre angehen, und das wird wahrscheinlich eine ganz spannende Debatte auslösen – denn gerade der Verkehrssektor hat bis jetzt für die Stickoxid-Minderung und den Klimaschutz fast nichts geliefert.

Wie ist die Stimmung in der SPD bezüglich des Mitgliederentscheids? Was ist ihre Prognose für das Ergebnis?

In der SPD wird gerade sachlich, aber auch leidenschaftlich diskutiert. Und viele Mitglieder sehen die Alternativen realistisch. Die Bürgerinnen und Bürger mit Neuwahlen zu konfrontieren, nur weil sich im Parlament keine Mehrheit zusammenraufen kann, das finden wir nicht richtig. Es gibt auch Bedenken vor einer Minderheitsregierung: Wir haben eine konservative Mehrheit in diesem Parlament. Gerade was den Klimaschutz und Umweltfragen angeht, würde ich jedenfalls einer Merkel-geführten Minderheitsregierung nicht viel zutrauen. Ich denke, dass die SPD-Mitglieder das genau abwägen werden und es zu einer Großen Koalition kommt.

Können Sie Kritiker einer Neuauflage der Großen Koalition wie den Juso-Vorsitzenden Kevin Kühnert verstehen?

Ich selbst habe ja eine Kooperation als Alternative vorgeschlagen – konnte mich damit aber nicht durchsetzen. Ich habe Kevin Kühnert und andere Jusos bei Diskussionen als sehr sachlich erlebt. Und ich finde, dieser innerparteiliche Diskurs belebt die Demokratie. Wir diskutieren ja gerade nicht nur, ob es Sinn macht, sich an einer Regierung zu beteiligen, sondern auch, wie die SPD sich personell, organisatorisch und vor allem inhaltlich erneuern kann. Das ist wichtig und darf mit dem Mitgliederentscheid nicht einfach zu Ende sein. Die SPD ist gerade der lebendigste Ort für ganz grundsätzliche politische Debatten.

Sollte die neue Groko kommen, was werden die zentralen Themen und Ziele des Bundesumweltministeriums sein?

Eine der Herkulesaufgaben wird es sein, die Erreichung des Klimaschutzziel 2030 zu gewährleisten. Hierzu muss schnell die Kommission „Wachstum, Strukturwandel und Beschäftigung“ eingesetzt und das Klimaschutzgesetz erarbeitet werden. Ein weniger bekannter, aber sehr wichtiger Punkt wird auch sein, dass wir uns gegen alle Beteiligungen staatlicher Fonds an AKWs im Ausland ausgesprochen haben, auch auf EU-Ebene. Und es gibt den Gesetzentwurf gegen Grüne Gentechnik, der möglichst schnell mit dem Landwirtschaftsministerium umgesetzt werden muss. Andere Aufgaben sind der Wildnisfond und der Ausbau des Blauen Bandes – das kann nicht mehr warten. Ich bin dafür, dass wir diese Maßnahmen in den nächsten eineinhalb Jahren schnell abarbeiten.

Presseberichten zufolge werden Sie ja für den Posten des Bundesumweltministers gehandelt. Wie konkret ist das?

Das ist überhaupt nicht konkret, das ist ein Gerücht. Und ich finde, Barbara Hendricks macht sehr gute Arbeit.