Übernächtigt aber glücklich – so präsentierten sich die geschäftsführende Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU), der SPD-Vorsitzende Martin Schulz und CSU-Vorsitzender Horst Seehofer auf der Pressekonferenz am Freitagvormittag. Bis in die Morgenstunden hatten die Sondierungsspitzen um eine Einigung gerungen und legten diese nun als 28-seitiges Papier vor, das sie als „Durchbruch und Erfolg“ feierten. Aber längst nicht alle sehen das so. An der SPD-Basis sei die Stimmung laut Juso-Chef Kevin Kühnert „verheerend“. „Das riecht für mich leider sehr stark nach einer Fortsetzung des Regierungsstils, den wir schon von der letzten Großen Koalition kennen, und der hat nichts Gutes bedeutet – weder für die Gesellschaft, noch für die SPD,“ so Kühnert.

Auch bei Umwelt- und Klimaschützern hält sich die Euphorie über die erzielte Einigung in Grenzen. „Dass SPD und die Union die Sondierungsergebnisse so schwammig gehalten haben, ist Strategie“, sagt Pieter de Pous dem Greenpeace Magazin. Beim Naturschutzbund Nabu ist er für umweltpolitische Fragen zuständig. „Und das Erreichen der Klimaziele 2020 bleibt damit hochgefährdet“, so de Pous weiter. Für ihn haben sich die Befürchtungen zu Beginn der Sondierungen bestätigt, dass die Klima- und Umweltthemen als Verlierer aus den Verhandlungen gehen. „Fokus des Ergebnispapiers liegt auf Europa, Forschung, Innovation – kein konkretes Wort zu Nachhaltigkeit oder Umweltwirtschaft.“

Die Parteien bekennen sich zwar zu den ursprünglichen Klimazielen, im Folgenden lassen sie aber viel Raum für Interpretationen: „Die Handlungslücke zur Erreichung des Klimaziels 2020 wollen wir so schnell wie möglich schließen“, heißt es da. Dennoch sieht de Pous das allgemeine Bekenntnis schon als Fortschritt. Noch zu Beginn der Woche war ein Zwischenstand der Verhandlungen durchgesickert, in dem die Umwelt-Arbeitsgruppe das Klimaziel 2020 ganz kippen wollte.

Allerdings sei entscheidend, mit welchen konkreten Maßnahmen die möglichen Regierungspartner den CO2-Ausstoß reduzieren wollen, so de Pous. Auch darüber erfährt man wenig. Bis Ende 2018 soll eine Kommission ein Aktionsprogramm erarbeiten, das unter anderem ein Enddatum für die Kohleverstromung und einen Plan für die Finanzierung enthält. 2019 wollen die Parteien dann ein Klimaschutzgesetz verabschieden, das wenigstens das Klimaziel 2030 garantieren kann. Außerdem streben sie einen Anteil von 65 Prozent erneuerbarer Energien am Stromverbrauch bis 2030 an. Das ist ein Fortschritt – bislang waren 50 Prozent vorgesehen. Olaf Brandt, Geschäftsführer vom Bund für Umwelt und Naturschutz (BUND) sieht selbst das kritisch: „Beim Ausbau der Erneuerbaren Energien darf es keinen Deckel geben – aber genau das sind die 65 Prozent. Das führt nur dazu, dass verlangsamt ausgebaut wird.“

Politik entzieht sich der Verantwortung

Für Pieter de Pous ist es unverständlich, dass eine Kommission aus Politik, Wirtschaft, Gewerkschaften, Umweltverbänden, Ländern und Kommunen über das Enddatum der Kohleverstromung entscheiden soll. Er fordert, dass die Parteien die Verantwortung übernehmen und einen Kohleausstieg bis spätestens 2030 festlegen: „Je länger sich das verzögert, umso schwieriger wird es, die Klimaziele noch zu erreichen.“ Die Parteien sollten in möglichen Koalitionsverhandlungen nachliefern, was sie in den Sondierungen versäumt hätten, so de Pous.

Auch in anderen Bereichen bleibt das Sondierungspapier kryptisch: So sollen „Fahrverbote vermieden“ und gleichzeitig „die Luftreinhaltung verbessert werden“. Die widersprüchliche Forderung interpretiert de Pous wieder als politisches Kalkül. „Die Fahrverbote kommen sowieso, denn die Luftwerte müssen eingehalten werden“, sagt er. Hier hätte die Politik einfach den Gerichten die Verantwortung zugeschoben, die jetzt auf kommunaler Ebene entscheiden, welche Fahrzeuge in Innenstädten fahren dürfen. „Hier war Jamaika deutlich weiter.“

Parteien erkennen Insektensterben als Problem an

Einen Lichtblick sieht der Nabu-Experte in der Argarpolitik. „Insektenschutz steht da immerhin drin“, sagt er. Das bedeute, dass die Parteien das Problem als solches anerkennen. Aber auch hier bleiben die konkreten Maßnahmen vage. Den „Einsatz glyphosathaltiger Pflanzenschutzmittel“ wollen die Verhandler „deutlich einschränken mit dem Ziel, die Anwendung so schnell wie möglich grundsätzlich zu beenden“. Glyphosat hatte schon vor den Sondierungen für Streit zwischen Bundesumweltministerin Barbara Hendricks und Bundeslandwirtschaftsminister Christian Schmidt gesorgt. Schmidt hatte bei einem EU-Beschluss für eine fünfjährige Verlängerung gestimmt, obwohl Hendricks sich dagegen ausgesprochen hatte.

Im Gespräch mit dem Greenpeace Magazin hatte Olaf Lies, Umweltminister von Niedersachsen, schon zu Beginn der Sondierungen ein klares Signal aus Berlin gefordert. „Was von Christian Schmidt vollkommen falsch und gegen die Koalition entschieden wurde, muss bei Fortsetzung einer Großen Koalition dringend korrigiert werden. Das Signal, das wir jetzt von den Sondierungsgesprächen brauchen, ist eine nationale Regelung, die den Einsatz von Glyphosat zügig reduziert und gleichzeitig Alternativen schafft“, hatte Lies gesagt.

Umweltthemen haben für SPD, CDU und CSU keine Priorität

Olaf Brandt (BUND) vermisst bei den Aussagen zu Zulassungen von Pflanzenschutzmitteln genauso die klaren Termine und Zahlen wie beim Kohleausstieg. „Beim Abbau des Solidaritätszuschlags gibt es ein klares Programm, da sieht man, wo die Prioritäten der Parteien liegen“, so Brandt gegenüber dem Greenpeace Magazin. Mit den unkonkreten Zusagen im Klima- und Umweltbereich wollten die Sondierungsparteien verschleiern, dass sie eigentlich kaum etwas beschlossen hätten.

Positiv sei es allerdings, dass es konkrete Geldzusagen für den Strukturwandel beim Kohleausstieg gebe. 1,5 Milliarden stehen hier laut Sondierungspapier für Länder und Kommunen bereit. „Damit kann man viel machen, aber hier lässt sich auch gleich die Handschrift der SPD erkennen, für die Arbeitsverhältnisse und sozialen Folgen eine Priorität haben“, sagte Brandt.

Die Ergebnisse in dem 28-seitigen Papier, auf das sich SPD, CDU und CSU am Freitagmorgen geeinigt hatten, sind nur vorläufig. Erst am 21. Januar entscheidet ein SPD-Parteitag, ob die Sozialdemokraten in konkrete Koalitionsgespräche einsteigen. Bis dahin sind die Sondierungsergebnisse erst einmal ein Stück Papier – das nach dem Stichtag Ende nächster Woche im Papierkorb landen könnte.