Zu Beginn der Woche hat Amnesty International in Deutschland zum neunten Mal seinen Menschenrechtspreis verliehen. Der Preisträger ist das Nadeem-Zentrum in Kairo. Mit der Preisverleihung will Amnesty die Arbeit der Mitarbeiter des Zentrums würdigen, die Überlebende von Folter, Gewalt und Vergewaltigungen medizinisch und psychologisch versorgen sowie die schweren Menschenrechtsverletzungen in Ägypten öffentlich kritisieren. Laut Amnesty befindet sich die Menschenrechtslage in Ägypten auf einem Tiefpunkt. So soll seit der Absetzung von Präsident Mohammed Mursi 2013 die Regierung seines Nachfolgers Abdel Fattah al Sisi systematisch gegen politische Gegner, kritische Journalisten und zivilgesellschaftliche Aktivisten vorgehen.

Amnesty fordert die deutsche Bundesregierung auf, die 2017 geschlossenen Kooperationsabkommen zwischen Deutschland und Ägypten hinsichtlich Menschenrechtsverletzungen zu überprüfen. Bei der Preisverleihung in der Berliner Volksbühne führte die Schauspielerin Katja Riemann durch den Abend. Der ägyptische Arzt Taher Mokhtar nahm den Preis stellvertretend für die vier Direktorinnen des Nadeem-Zentrums entgegen. Im Interview berichtet Mokhtar von der derzeitigen Lage in Ägypten.

Herr Mokhtar, können Sie uns erzählen, wie sich die aktuelle politische Situation in Ägypten auf Ihr Leben auswirkt?

Im Januar 2016 wurde ich festgenommen und beschuldigt, im Besitz von Faltblättern zu sein, die den Sturz des Regimes fordern. In Wahrheit handelte es sich dabei um Informationsmaterialien für die Verbesserung der Gesundheitsversorgung von Inhaftierten. Daraufhin saß ich sieben Monate in Haft, bis ich auf Kaution entlassen wurde und meine Arbeit im Nadeem-Zentrum wieder aufnehmen konnte. Allerdings sah es so aus, als ob ich erneut inhaftiert werden sollte. Gegen mich läuft ein Verfahren, das auf einmal die Strafverfolgungsstelle für nationale Sicherheit übernommen hat – und das ist immer ein schlechtes Zeichen. Ich musste nach Frankreich fliehen und bin nun einer von vielen ägyptischen Aktivisten, die wegen der Repression dieses Regimes im Exil leben müssen.

© Dana Smillie/Amnesty InternationalEine Pinnwand im Büro des Nadeem-Zentrums in Kairo im Januar 2018 zeigt Fotos von Menschen, für die sich die Organisation einsetzt
© Dana Smillie/Amnesty International

Eine Pinnwand im Büro des Nadeem-Zentrums in Kairo im Januar 2018 zeigt Fotos von Menschen, für die sich die Organisation einsetzt

Und wie ist die Lage des Nadeem-Zentrums, das nun mit dem Menschenrechtspreis ausgezeichnet wurde?

Seit 2016 gehen die Behörden massiv gegen uns vor. Die Klinik des Zentrums wurde im Februar 2017 geschlossen. Zwar haben unsere Anwälte noch im selben Monat Rechtsmittel gegen die Schließung eingelegt, aber die Verhandlung zieht sich, denn die Richter vertagen jede Sitzung. Die nächste Verhandlung soll nun im Juli stattfinden. Allerdings arbeiten die Mitarbeiter des Nadeem-Zentrums trotz der Repressionen weiter. Es vergeht kein Tag, an dem sie nicht Verfolgten helfen. Und auch weiterhin veröffentlicht das Zentrum regelmäßig Berichte, die Folter und Menschenrechtsverletzungen in Ägypten dokumentieren.

Was können Sie aus dem Exil zur Menschenrechtsarbeit beitragen?

Zusammen mit anderen Aktivisten, die auch aus dem Land fliehen mussten, arbeite ich an Kampagnen gegen die Menschenrechtsverletzungen in Ägypten – wie Folter, willkürliche Festnahmen, Verschleppungen und Hinrichtungen. Wir kritisieren den Grad an Repression und den Druck, den die Regierung auf die Zivilgesellschaft ausübt. Den Preis nehme ich im Namen der vier Direktorinnen des Nadeem-Zentrums an. Aida Seif al-Dawla, Suzan Fayad, Magda Adly and Mona Hamed konnten selbst – wegen Ausreiseverboten und anderen Restriktionen – nicht zur Preisverleihung nach Berlin kommen.

Wie schätzen Sie die derzeitige politische Situation in Ägypten ein?

Meiner Meinung nach ist Ägypten ein repressiver Staat, der kurz davorsteht, zu einem totalitären Regime zu werden. Die staatlichen Sicherheitskräfte wie Polizei und Militär begehen die Mehrheit an Menschenrechtsverletzungen, das Verschwindenlassen von unliebsamen Personen geschieht in großem Maßstab – genauso wie Folter. Gegen Überlebende werden Fälle vor Gericht konstruiert und manche von ihnen, wie Ashraf Shehata, Amr Ibrahim Metwally und Khaled Hafez, verschwinden einfach und wurden seitdem nicht mehr lebend gesehen.

Was würden Sie sagen, wie hat sich die Menschenrechtslage seit der Umstürze in Folge des Arabischen Frühlings verändert?

Meinungs- und Pressefreiheit existiert in Ägypten nicht mehr. Laut Reporter ohne Grenzen steht Ägypten bei Verhaftungen von Journalisten weltweit an dritter Stelle. Allein seit Dezember 2017 hat das ägyptische Regime mehr als 25 Zivilisten exekutiert – nach völlig intransparenten Militärprozessen. 28 Menschenrechtsverteidiger dürfen nicht mehr ausreisen. Und ein neues Gesetz, das die Rechte der Zivilgesellschaft stark einschränkt, widerspricht nicht nur der ägyptischen Verfassung von 2014, sondern auch internationalen Standards. Die Menschrechtslage in Ägypten ist heute schlimmer, als sie es vor der Revolution von 2011 war.