Am Donnerstag hat die rot-rot-grüne Koalition in Berlin das bundesweit erste Radverkehrs- und Mobilitätsgesetz beschlossen. Die Richtung ist deutlich: Bessere Bedingungen für Radfahrer, mehr Elektrobusse, weniger CO2. In zehn Jahren soll der letzte Dieselbus der Berliner Verkehrsbetriebe fahren. Die Auslaufmodelle sollen nach und nach durch Busse ersetzt werden, die mit Strom aus Wind und Sonne betrieben werden. Und auch für den Radverkehr müssen Fahrzeuge mit Verbrennungsmotoren künftig Platz machen. Mit dem neuen Gesetz ist Berlin Vorreiter beim klimafreundlichen Umbau der Innenstädte in Deutschland. Wir haben mit Heinrich Strößenreuther darüber gesprochen, was dieses Gesetz für die Verkehrswende bedeutet. Der Verkehrsexperte und Sprecher der Initiative „Clevere Städte“ hatte 2015 den Volksentscheid „Fahrrad in Berlin“ mit angestoßen, der schließlich zum neuen Mobilitätsgesetz geführt hat.

Herr Strößenreuther, was ist aus Ihrer Sicht das Wichtigste am neuen Berliner Mobilitätsgesetz?

Wir müssen die internationale Klimaschutzverpflichtung einhalten. Und deshalb zeigt sich das 1,5-Grad-Ziel in allen Aspekten des neuen Verkehrskonzepts. So sollen attraktive Radwege die Berliner auf das Rad locken. Geplant sind zwei Meter breite, sichere Radwege an allen Straßen Berlins. Sicher bedeutet, dass es genügend Platz zum Überholen gibt, ohne dass Fahrradfahrer auf die Fahrbahn wechseln müssen. Außerdem sollen Maßnahmen verhindern, dass die Wege mit Autos zugeparkt werden – beispielsweise durch Längspoller oder indem die Radwege geschützt zwischen Fußweg und Parkstreifen gebaut werden. Ansonsten sind noch Parkmöglichkeiten für Räder an U- und S-Bahn-Stationen geplant, sowie eine Fahrradstaffel der Polizei in allen Bezirken und grüne Wellen für Fahrradfahrer. Mit dem Radverkehrs- und Mobilitätsgesetz wird Berlin in zehn Jahren eine Fahrradstruktur à la Kopenhagen oder Amsterdam haben.

Neben dem Radfahren ging es bei den Verhandlungen aber auch um den Pkw-Verkehr. Hier hatten einige Vorschläge der SPD zu Streit zwischen den Koalitionsparteien geführt und den Beschluss verzögert. Inwieweit muss man Autos bei neuen Verkehrskonzepten mitdenken?

Die Grenzen des Pkw-Wachstums sind seit langem überschritten. Intelligente Verkehrskonzepte für den Pkw-Verkehr erfordern Parkraumverknappung, höhere Bußgelder oder eine City-Tax – also Maßnahmen, die seit dreißig Jahren diskutiert werden. Das ist allerdings nicht das, was die SPD im Fokus hat. Die kümmert sich da eher um die Interessen der Autofahrer in ihrer Wählerschaft. Aber ohne, dass es den Autofahrern auch ein kleines Stückchen weh tut, wird es nicht gehen. Tatsächlich ist das Radverkehrs- und Mobilitätsgesetz Deutschlands bestes Anti-Stau-Programm: Mit sicheren Radwegen motiviert es Autofahrerinnen, die sich bislang nicht trauen, auf das Rad umzusteigen.

Die Verkehrs- und Umweltsenatorin für die Grünen, Regine Günther, hatte im Vorfeld gesagt, sie wolle keinen „Kulturkampf gegen das Auto anzetteln“. Wollen Sie das denn?

Wir zetteln einen Kulturkampf für die gute, lebenswerte Stadt an, für eine gerechte Verteilung des Stadtraumes. Jeder muss das Recht haben, entspannt von A nach B zu kommen. Fahrradfahrer können das bisher nicht. Den Autofahrern nun drei Prozent der Verkehrsfläche wegzunehmen, ist kein Kulturkampf, sondern eine Anpassung an neue Verhältnisse und klimapolitische Erfordernisse. Ein Kulturkampf wäre es, die Autos komplett aus der Stadt rauszuschmeißen, aber das war nie unsere Forderung.

Nun gibt es sie ja: die Einigung zwischen SPD, Grünen und Linken und das Berliner Mobilitätsgesetz ist beschlossen. Was wird jetzt besser?

Wir freuen uns alle darauf, sicher und entspannter fahrradzufahren: Der Berliner Senat wird dafür jetzt sorgen. De facto ist dieses Radverkehrsgesetz eine der wichtigsten klimapolitischen Maßnahmen im Verkehrsbereich, denn der Radverkehr ist systemrelevant. Ohne den massiven Ausbau sicherer Radwege werden wir Autofahrer nicht aufs Rad locken, nicht den Pkw-Verkehr reduzieren können und nicht den Platz in den Innenstädten schaffen, um den öffentlichen Nahverkehr massiv und attraktiv auszuweiten.

Wenn das alles klappt, welche langfristige Wirkung versprechen Sie sich vom neuen Gesetz?

Genau die Klimaschutzwirkung, die wir dringend brauchen. Wenn wir in den nächsten zehn Jahren Bedingungen wie in Kopenhagen erreichen, ist eine Reduktion der CO2-Emissionen im städtischen Raum um zwanzig bis dreißig Prozent drin. 

Aber das kann Berlin nicht allein. Wird es denn Vorbild für andere Städte?

Das ist es schon längst. Inzwischen sind in zehn anderen deutschen Städten Bürgerentscheide für den Ausbau des Radverkehrs angestoßen und in zwei Bundesländern, Bayern und Nordrhein-Westfalen, gibt es Landesinitiativen für neue Verkehrsgesetze. Da hat Berlin eine richtige Lawine ausgelöst mit seinem bundesweit ersten Radverkehrs- und Mobilitätsgesetz und dessen ambitionierten Vorgaben. Wie zum Beispiel dem vollständigen Ausstieg aus dem Verbrennungsmotor beim öffentlichen Nahverkehr: So soll an Silvester 2029 der letzte Dieselbus in Berlin fahren. Das ist ein Meilenstein für Deutschland und der Einstieg in die Verkehrswende.