„Es ist bitter für mich, Ihnen sagen zu müssen, dass wir unsere selbst gesteckten Ziele für 2020 verfehlen werden", sagte die Bundesumweltministerin Svenja Schulze (SPD) vergangene Woche vor Gästen aus China, Frankreich, Russland, den USA und rund dreißig anderen Ländern, die zu den Petersberger Klimadialogen angereist waren. Bei der jährlichen internationalen Konferenz auf Ministerebene, die Impulse für die UN-Klimakonferenz im Dezember geben soll, hat das wohl kaum jemanden überrascht. Denn dass es der deutschen Bundesregierung nicht gelingen wird, die Treibhausgasemissionen bis 2020 um vierzig Prozent im Vergleich zu 1990 zu senken, war schon lange bekannt. Laut dem neuen, dritten Klimaschutzbericht 2017, den das Bundeskabinett am Mittwoch in Berlin beschlossen hat, verfehlt der ehemalige Klimavorreiter die Emissionssenkung um acht Prozent.

Zwei Hindernisse scheinen sich zwischen Deutschland und sein bislang grünes Image geschoben zu haben: Das Festhalten an der Kohleenergie und die Liebe zu Brennstoff-Autos. Zwar werden heute schon 36 Prozent Strom in Deutschland aus erneuerbaren Energien wie Wind und Sonne gewonnen, bis 2030 sollen es 65 Prozent werden. Doch um die Abkehr von der Kohleenergie habe man sich „nicht im gleichen Maße“ gekümmert, sagte Umweltministerin Svenja Schulze. „Weil es eben häufig schwieriger ist, sich vom Alten zu trennen als Neues aufzubauen“, so die Ministerin.

Und dann ist da noch die Sache mit dem Verkehr: Sieben bis zehn Millionen Tonnen CO2 sollte im Bereich Mobilität bis 2020 eingespart werden, unter anderem mit der Verlagerung von Güter- und Personenverkehr auf die Schiene und durch mehr Elektroautos. Doch der Klimaschutzbericht spricht auch hier eine deutliche Sprache: Die Emissionen im Bereich Verkehr sind im Vergleich zum Vorjahr um 2,5 Prozent gestiegen. Seit dem Jahr 2010 nähmen laut dem Bericht die Emissionen wieder kontinuierlich zu und hätten im Jahr 2016 mit 166 Millionen Tonnen CO2-Äquivalente das Niveau des Jahres 1990 wieder leicht überschritten.

CO2-Emissionen im Verkehr steigen wieder

Experten sind von diesen Zahlen nicht überrascht: „Im Aktionsplan wurden optimistische Annahmen getroffen", sagt der Verkehrsexperte Andreas Knie vom Innovationszentrum für Mobilität und gesellschaftlichen Wandel in Berlin. „Aber man hat es versäumt, die entsprechenden Rahmenbedingungen zu schaffen.“ Umweltverbände sind sich indes sicher, dass die Ziele zur Emissionssenkung nicht um acht, sondern sogar um zehn Prozent verfehlt werden. „Die Berechnungen im neuen Klimaschutzbericht basieren auf veralteten Zahlen und sind deshalb keine ehrliche Bestandsaufnahme", sagt etwa Hubert Weiger, Vorsitzender des Bundes für Umwelt und Naturschutz Deutschland.

An diesem Montag berät der EU-Umweltrat in Luxemburg über die CO2-Grenzen für Autoflotten. Und das ist dringend notwendig, denn nicht nur Deutschland, die ganze EU hinkt beim Klimaschutz hinterher: Laut einer aktuellen Analyse der Nichtergierungsorganisation Climat Action Network (CAN) könnte ein Großteil der EU-Länder ihre im Pariser Klimaabkommen versprochenen Ziele verfehlen. Anhand der Entwicklung der Pro-Kopf-Emissionen in den Ländern, dem Fortschritt beim Ausbau der Erneuerbaren und dem politischen Einsatz für mehr Klimaschutz hat die NGO untersucht, welche Länder auf einem gutem Weg sind, um die Erderwärmung einzudämmen.

Die Ergebnisse waren ernüchternd: Schweden führte die Liste an, das skandinavische Land hätte noch gute Chancen, seine nationalen Klimaschutzziele bis 2020 zu erreichen. Auf Schweden folgt in der Rangliste Portugal, Frankreich, die Niederlande, Luxemburg, Dänemark. Dann erst kommt Deutschland auf Rang sieben (Rang eins wurde von der NGO nicht vergeben). Statt etwas dagegen zu unternehmen, dass die 2020 Klimaziele verfehlt werden, würde Deutschland drängende Veränderungen im Energie- und Verkehrssektor vertagen und striktere Zielsetzungen auf EU-Ebene verzögern, so die Organisation CAN.

Kohlekommission tritt am Dienstag erstmals zusammen

Ein positiver Schritt in diese Richtung war sicherlich die Einsetzung der sogenannten Kohlekommission Anfang Juni mit dem klingenden Titel „Wachstum, Strukturwandel und Beschäftigung“, welche diesen Dienstag das erste Mal in ihrer konstituierenden Sitzung zusammentreten wird: 31 Menschen aus Wirtschaft, Wissenschaft, Zivilgesellschaft und Politik. Bis Dezember 2018 sollen sie ein Enddatum für die Kohlenutzung festlegen und klären, wie die Versorgungssicherheit gewährleistet wird und was für einen gelungenen Strukturwandel in den Braunkohle-Revieren notwendig ist. Eine umfangreiche Aufgabe mit großer Strahlkraft.

Ganz einig ist man sich über die Ziele der Kommission intern allerdings nicht. Michael Vassiliadis, Chef der Industriegewerkschaft IGBCE und Kommissionmitglied, sagt dazu: „Wer die Aufgaben auf einen radikalen Kohleausstieg reduziert, handelt unseriös und schadet dem Klimaschutz.“ Die Gegenseite, vertreten durch Abgesandte von Umweltverbänden wie Greenpeace, dem BUND und der Klima-Allianz Deutschland, sieht das anders. „Die Kommission wäre dann erfolgreich, wenn sie einen klaren Endpunkt für die Kohleverbrennung benennt“, so Martin Kaiser, Geschäftsführer von Greenpeace Deutschland.

Allerdings bewegt sich in der Politik derzeit nicht genug in Richtung Klimaschutz. Und der Mulitlateralismus, der für eine internationale Klimaschutzpolitik nötig wäre, bröckelt. Ein Lichtblick ist die strategische Klimakooperation von Deutschland und Frankreich, zu der sich Angela Merkel und Emmanuel Macron Anfang vergangener Woche in Meseberg bekannt hatten. Die drei wichtigsten Eckpunkte: Das Bekenntnis zur EU-Treibhausgasneutralität bis 2050, die Einsetzung eines deutsch-französischen Ministerrates und die Anhebung der EU-Klimaziele bis 2030.

Proteste können helfen

Damit Klimaschutz nicht nur auf Gipfeltreffen und Konferenzen verhandelt wird, fordern auch Experten mehr Druck aus der Zivilgesellschaft. Manuela Mattheß, Referentin für internationale Energie- und Klimapolitik der Friedrich-Ebert-Stiftung, bringt das auf den Punkt: „Zivilgesellschaftliche Akteure sind extrem wichtig. Sie weisen auf Missstände hin, unterbreiten konkrete Verbesserungsvorschläge und erzeugen so politischen Handlungsdruck.“

Getreu dieser Aussage lautet das Motto der europäischen Kimaschutzaktivisten: „Klimaschutz ist Handarbeit“. Gemeint sind damit Aktionen, die Öffentlichkeit schaffen – für die Probleme des Kimawandels und der Nutzung fossiler Energien: Demonstrationen, Infoveranstaltungen, Podiumsdiskussionen sowie Blockaden von klimaschädlicher Infrastruktur wie Kohletagebauten. Trotz oder gerade wegen der Rückschläge für den Klimaschutz auf institutioneller Ebene stehen in den kommenden Wochen und Monaten viele Proteste an, die sich für den Aussteig aus fossilen Energien und eine umfassende Umgestaltung der europäischen Klimaschutzpolitik stark machen.

 

Ein kurzer Überblick, welche Proteste im Sommer geplant sind:

27. Juni bi 1. Juli: Tschechien
„Limity jsme my“ – „Die Grenzen sind wir“, unter diesem Motto protestieren in Tschechien Ende Juni Klimaschützer gegen den Kohleabbau und die damit verbundenen Umweltschäden. Inspiriert von direkten Aktionen der Klimagerechtigkeitbewegung wie etwa dem Aktionsbündnis „Ende Gelände" wollen Aktivisten den Betrieb im Kohletagebau Bílina in der Mostregion blockieren. Das Klimacamp, von dem die Aktionen ausgehen, soll in der Nähe einer der vielen Tagebaue oder Kraftwerke stattfinden. Dort finden auch Podiumsdiskussionen, Workshops und Kulturveranstaltungen statt. Mehr Informationen finden Sie hier.

28. Juli bis 5. August: Leipziger Land / Deutschland
Seit 2011 gibt es das Klimacamp in der Lausitz, 2016 sorgten in Porschim 4.000 Klimaaktivisten mit ihren Protesten dafür, dass das Kraftwerk Schwarze Pumpe gedrosselt werden musste. In diesem Sommer findet das erste Klimacamp im Mitteldeutschen Braunkohle Revier bei Leipzig statt. Ende Juli bis Anfang August treffen sich Engagierte aus ganz Deutschland und Europa in Pödelwitz, einem Dorf, das für den Tagebau Vereinigtes Schleenhain abgebaggert werden soll. Neben Aktionen findet hier auch die Degrowth Sommerschule statt, bei der sich in Kursen und Podien mit Visionen und Utopien für eine soziale, ökologische und demokratische Gesellschaft auseinandergesetzt wird. Mehr Informationen finden Sie hier und hier.

24. bis 31. August: Niederlande
„Code Rood“ ist eine Initiative von niederländischen Aktivisten die erstmals im Jahr 2017 in Erscheinung traten, als sie den Hafen von Amsterdam mit etwa 300 Teilnehmern kurzzeitig blockierten, um so gegen Kohleimporte zu demonstrieren. Ihre nächste Aktion findet im August in der Provinz Groningen statt: Hier liegt das größte Gasfeld Europas. „Code Rood“ will gegen die Gas-Förderung und die Nutzung von fossilen Energien allgemein demonstrieren und hat dafür ebenfalls ein Klimacamp ausgerufen, das Ende August stattfinden wird. Mehr Informationen finden Sie hier.

5. bis 9. September : München / Deutschland
Das Klimacamp München liegt nicht in der Nähe eines Tagebaus oder eines Gasfeldes – statt Aktionen des zivilen Ungehorsams geht es hier eher um Vernetzung und um die Mobilisierung der Klimagerechtigkeitsbewegung in der Region. Die Veranstalter wollen zunächst Alternativen des solidarischen Zusammenlebens und der Selbstorganisation erproben und darauf aufbauend direkte Aktionen und Proteste gestalten. Mehr Informationen finden Sie hier.

25. bis 29. Oktober: Rheinland / Deutschland
Das Aktionsbündnis „Ende Gelände“ ruft im Oktober dazu auf, den Hambacher Forst vor dem Kohleabbau zu bewahren. Der Wald, der nach erfolgreichen Rodungs-Verhinderung 2017 für viele Menschen zum Symbol des Widerstandes gegen den Kohleabbau in Deutschland geworden ist, soll mit einer Massenaktion zivilen Ungehorsams vor der weiteren Abholzung bewahrt werden. Mehr Informationen finden Sie hier.