Die Idee von Rafael Correa war einfach, aber revolutionär: Westliche Industrieländer sollten in einen Fond zahlen, der Gewinne kompensiert, die sein Land durch den Verkauf von Erdöl hätte machen können. Dafür wollte Ecuadors ehemaliger Präsident das Öl im Boden und ein bestimmtes Regenwald-Gebiet unberührt lassen. Doch das geforderte Geld, die Hälfte der potentiellen Gewinne, kam nicht zusammen. „Rafael Correa warf der Welt vor, nicht genug gezahlt zu haben. Und die Welt warf Correa Erpressung vor“, sagt Kevin Koenig von der US-amerikanischen NGO Amazon Watch. 2013 gab Correa dann offiziell das Scheitern der sechs Jahre zuvor von ihm gestarteten Yasuní-ITT-Initiative bekannt und die staatliche Ölfirma Ecuadors, Petroamazonas, bekam grünes Licht zum Bohren im Herzen des Yasuní-Regenwalds.

So ergibt es sich nun, dass Petroamazonas im ecuadorianischen Regenwald nach Öl bohrt, während in Kolumbien der Weltbiodiversitätsrat tagt und vor dem Verlust der weltweiten Artenvielfalt warnt. Dass die Bohrungen erst in diesem Jahr begonnen haben, habe derweil keine politischen Gründe gehabt, weiß Kevin Koenig, der in Regenwald-Gebiete reist und die indigene Bevölkerung im Kampf um den Erhalt ihrer natürlichen Lebensräume unterstützt: „Es hat einfach so lange gedauert, weil die staatliche Ölfirma keine ausreichende Infrastruktur hatte.“

Die staatliche Ölfirma bohrt im Herz des geschützten Yasuní-Nationalparks

Spät, aber dadurch nicht weniger heftig stechen die Bohrungen damit ins Herz von Correas einstiger Yasuní-ITT-Initiative. Das Kürzel stand für drei Regionen mit Ölvorkommen mitten im geschützten Gebiet des Yasuní-Nationalparks: Ishpingo, Tambococha und Tiputini. Die erste Ölquelle wurde zu Beginn dieses Jahres im Tambococha-Gebiet erschlossen, 96 weitere sollen folgen. Zwar kam es schon früher zu Öl-Bohrungen an den Rändern des geschützten Regenwaldgebiets, aber mitten im Herzstück des Nationalparks Bäume zu fällen, Schneisen für Fahrzeuge zu schlagen, Straßen und Bohrinseln zu bauen – das erreicht eine neue Qualität. „Öl-Bohrungen, Abbau von Rohstoffen und industrielle Landwirtschaft richten den größten Schaden für die dortigen Ökosysteme an“, sagt Kevin Koenig. „Und es ist die Ölindustrie, welche den Regenwald zugänglich macht, die anderen folgen dann.“

© ANDES / CC BY-SA2.0 / FlickrUm im ecuadorianischen Regenwald nach Öl zu bohren, baut das Staatsunternehmen Petroamazonas Straßen durch den geschützten Nationalpark Yasuní und errichtet Ölplattformen
© ANDES / CC BY-SA2.0 / Flickr

Um im ecuadorianischen Regenwald nach Öl zu bohren, baut das Staatsunternehmen Petroamazonas Straßen durch den geschützten Nationalpark Yasuní und errichtet Ölplattformen

Laut der Einschätzung des deutschen Entwicklungsministeriums (BMZ) kontaminiere die Erdölproduktion bereits jetzt die lokale Umwelt. Das gefährde Baumbestand und Biodiversität, verschmutze Boden- und Wasserressourcen und kurbele den Klimawandel an. Allerdings akzeptiere die Bundesregierung diese Entscheidung Ecuadors als souveränem Staat, so eine BMZ-Sprecherin weiter.

Bereits 1989 erklärte die Unesco Yasuní zum Weltbiospärereservat, weil es zu den artenreichsten Gebieten der Welt gehört. Allerdings hilft der Status eines Unesco-Reservats nicht, um den Nationalpark zu schützen. „Denn die Unesco hält sich bei politischen Fragen raus“, so Kevin Koenig. Aber auch die Regenwald-Aktivisten wie Kevin Koenig sind hier ambivalent. Auf der einen Seite verurteilen sie die Bohrungen und die damit einhergehende Zerstörung von Umwelt und Lebensraum. Auf der anderen Seite äußern sie Verständnis für die Situation des südamerikanischen Landes.

"Wenn ein Land wie Frankreich jetzt sagt, es werde alle neuen Ölbohrungen stoppen, dann ist das natürlich gut. Aber es gibt kein Land des globalen Südens, das so etwas sagt – weil die sich das einfach nicht leisten können“, sagt Koenig im Gespräch mit dem Greenpeace Magazin. So sorge der Ölexport für die Hälfte von Ecuadors Staatseinnahmen. Kevin Koenig weiter: „Die können nicht einfach aufhören zu bohren, die brauchen finanzielle Unterstützung.“ Und hier kommen die westlichen Industrienationen ins Spiel: Laut Koenig sind die nördlichen Länder für den Klimawandel hauptverantwortlich – also sollten sie auch dazu beitragen, nationale Ressourcen wie Regenwälder in den Ländern des globalen Südens zu schützen.

Auch eine Sprecherin des deutschen Entwicklungsministeriums räumt „eine Mitverantwortung der Industriestaaten für den Klimawandel“ ein. So seien die früheren Waldabholzungen in Deutschland und anderen Ländern grundsätzlich mit heutigen Waldverlusten in den Tropen vergleichbar. Dabei verweist die BMZ-Sprecherin auf das Pariser Klima-Abkommen von 2015, in welchem die „Berücksichtigung der speziellen Bedürfnisse und der besonderen Lage der am wenigsten entwickelten Länder hinsichtlich der Finanzierung“ betont werde.

„Deutschland nimmt seine Verantwortung wahr“

Außerdem spricht die BMZ-Sprecherin „die einzigartige biologische Vielfalt des Biosphärenreservats Yasuní“ an, welche durch die Erdölförderung stark gefährdet sei. Und auch dem Vorschlag der Amazon-Watch-Aktivisten, von wissenschaftlichen Studien und der Internationalen Agentur für Erneuerbare Energie, bis zu achtzig Prozent der fossilen Ressourcen weltweit im Boden zu lassen, pflichtet das Bundesentwicklungsministerium bei. Allerdings so weit, hierfür finanzielle Ausgleichszahlungen anzubieten, geht es nicht. Rafael Correas konkreten Vorschlag hatte das BMZ damals abgelehnt, weil es nicht „unterlassene Erdölförderung belohnen", sondern "positives Handeln honorieren" wolle.

© picture alliance/WILDLIFEUrwälder wie der ecuadorianische Nationalpark Yasuní sind als Ökosysteme einzigartig und gelten als wahre Schatzkammern der Artenvielfalt
© picture alliance/WILDLIFE

Urwälder wie der ecuadorianische Nationalpark Yasuní sind als Ökosysteme einzigartig und gelten als wahre Schatzkammern der Artenvielfalt

Aktuell verweist die BMZ-Sprecherin auf andere Programme, mit denen „Deutschland seine Verantwortung wahrnehme“. Auf der Klimakonferenz in Paris hatte Deutschland sich 2015 verpflichtet, bis 2020 knapp eine Milliarde Euro für Walderhalt bereitzustellen. Und zwar beispielsweise für das vom BMZ das „Herzstück“ des Pariser Klimmaabkommens 2015 genannten Programms, der NDC-Partnerschaft. Die Abkürzung steht für: Nationally Determined Contributions. Hierbei sollen Industrieländer wirtschaftlich schwächeren Ländern beim Wissensmanagement sowie Zugang zu Technik und Finanzierung helfen und so diesen Ländern eine „klimafreundliche Wirtschaftsentwicklung und Armutsbekämpfung“ ermöglichen.

Auch bei der sogenannten Bonn Challenge will die deutsche Bundesregierung die Wiederherstellung von Wäldern vorantreiben. Die „derzeit größte Initiative zur Renaturierung weltweit“ wurde 2011 bei einem Ministertreffen in Bonn ins Leben gerufen und soll bereits existierende internationale Zusagen zur Wiederaufforstung von Wäldern bündeln. Ziel ist es, bis 2030 mindestens 350 Millionen Hektar Wald wiederherzustellen.

Im Kern geht es bei all diesen Modellen, bei allen Geldzahlungen um eine moralische Frage: Unterstützen die Industriestaaten die südlichen Länder denkbar unverbindlich aus Wohltätigkeit oder wechselnden Eigeninteressen oder begleichen sie eine auch als solche empfundene Schuld? Dazu sagt die Sprecherin des deutschen Entwicklungsministeriums: „Die Weltgemeinschaft steht in der Verantwortung.“ Das ist ein Fortschritt, denn diese Einsicht bedeutet auch: mehr Verbindlichkeit. Und auch die vielen Stimmen aus Wissenschaft, NGOs und Politik, die fordern, fossile Ressourcen im Boden zu lassen, zeigen einen Sinneswandel zu 2007 an.

Aber: Für die „Nicht-Ölförderung“ die Weltgemeinschaft ganz konkret zur Kasse zu bitten, hat nach Correa niemand mehr gewagt. „Und genau das brauchen wir“, sagt Kevin Koenig. Die Idee war gut, aber die Welt noch nicht bereit. Vielleicht ist sie es bald.

Lesen Sie mehr zu globalen Themen in der Ausgabe des Greenpeace Magazins 2.18 „Globalisierung“. Das Greenpeace Magazin erhalten Sie als Einzelheft in unserem Warenhaus oder im Bahnhofsbuchhandel, alles über unsere vielfältigen Abonnements inklusive Prämienangeboten erfahren Sie in unserem Abo-Shop. Sie können alle Inhalte auch in digitaler Form lesen, optimiert für Tablet und Smartphone. Viel Inspiration beim Schmökern, Schauen und Teilen!