Barbara Hendricks ist nicht zu beneiden. Sie musste am Dienstag dieser Woche zum Rapport nach Brüssel, um die Versäumnisse der Bundesregierung als Erfolge zu verkaufen. EU-Umweltkommissar Karmenu Vella hatte neben der deutschen Umweltministerin noch acht weitere Minister von EU-Mitgliedsstaaten geladen, weil sie die Grenzwerte für Luftschadstoffe wie Stickoxid und Feinstaub auch Jahre nach Inkrafttreten der Gesetze nicht einhalten. Hendricks hatte die auf dem Dieselgipfel vereinbarten Maßnahmen im Gepäck: Die Bundesregierung stellt eine Milliarde Euro zur Verfügung, um Busflotten und den Lieferverkehr zu elektrifizieren, die Infrastruktur für E-Ladesäulen zu verbessern und Dieselbusse nachzurüsten.

Bis 2020, so die Ministerin, werde man soweit sein, dass statt siebzig deutschen Städten, die aktuell noch über den Grenzwerten liegen, nur noch die zwanzig am stärksten belasteten Städte die Grenzwerte überschreiten werden. Überzeugen konnte sie damit nicht. Nach der Gesprächsrunde mit allen geladenen Ministern sagte Umweltkommissar Vella, dass insgesamt die Maßnahmen aller neun Länder nicht substanziell genug seien, um das Gesamtbild zu verändern. Nun droht Deutschland eine Klage vor dem Europäischen Gerichtshof. So etwas kann teuer werden.

Etwa zeitgleich zu der Gesprächsrunde in Brüssel gab der VW-Konzern bekannt, dass er seinen Cheflobbyisten Thomas Steg von seinen Aufgaben entbunden habe. Der ehemalige Regierungssprecher übernahm die Verantwortung für den neuesten Skandal des Autoherstellers: die an Tieren durchgeführten Versuche in den USA. Mit diesen Experimenten, wie auch mit den an der Technischen Hochschule Aachen durchgeführten Versuchen mit Menschen, sollte die gesundheitliche Unbedenklichkeit der Abgase gezeigt werden. Eher eine PR-Maßnahme als eine wissenschaftliche Untersuchung, wie sich herausstellte – und nach dem Dieselskandal und dem im Raum stehenden Vorwurf der Kartellabsprachen sind die neuen Ereignisse das nächste Desaster für die deutsche Autoindustrie.

Technische Nachrüstung auf Kosten der Hersteller? Das ist nicht die Haltung der Bundesregierung

Trotz all der Skandale behandelt die Bundesregierung die Autohersteller bisher sehr fürsorglich. Zwar verurteilte die Umweltministerin wie auch zuvor schon Bundeskanzlerin Angela Merkel die Abgastest an Mensch und Tier als „unethisch" und „skandalös", diese Woche stellte sich jedoch auch heraus, dass zumindest die Abgastests an Tieren dem Untersuchungsausschuss zum VW-Abgasskandal seit etwa eineinhalb Jahren bekannt waren – und keiner der informierten Politiker Anstoß daran genommen hatte. Insgesamt darf sich die Autoindustrie der Unterstützung der Bundesregierung sicher sein.

So erklärte Hendricks zwar, dass die Autohersteller nun in der Pflicht seien und sprach sich neben den geplanten Software-Updates für Dieselfahrzeuge auch für die technische Nachrüstung der betroffenen Fahrzeuge auf Kosten der Hersteller aus. Das sei allerdings nicht die Haltung der Bundesregierung, sagte sie.

Die Passivität politischer Entscheider gegenüber der Autoindustrie verdeutlicht ein weiteres Beispiel aus München. Dort verweigert das CSU-geführte Umweltministerium seit einem Jahr die Umsetzung eines Beschlusses des obersten bayrischen Verwaltungsgerichts. Das hatte den Freistaat aufgefordert, einen Umsetzungsplan für Dieselfahrverbote in Münchens Innenstadt zu erstellen. Vorsorglich, um eine zügige Umsetzung möglich zu machen, falls es zu der Entscheidung kommen sollte, Fahrverbote zur Bekämpfung der Luftverschmutzung einzusetzen.

Fahrverbote für Dieselfahrzeuge würden die Stickoxidwerte deutlich senken, sind für die Bundesregierung aber keine Option

Der Freistaat hält Dieselfahrverbote allerdings nicht für das geeignete Mittel und tat: nichts. Die Deutsche Umwelthilfe bemängelte das fehlende Engagement des Umweltministeriums und forderte eine Haftstrafe für Ministerin Ulrike Scharf. Dazu kam es diese Woche vor dem Münchner Verwaltungsgericht nicht. 4000 Euro Strafe plus weitere 4000 Euro, wenn in den nächsten Monaten immer noch kein Umsetzungsplan vorliegt, sowie ein paar scharfe Worte der Vorsitzenden Richterin an das Umweltministerium, dürften dieses nicht allzu sehr schmerzen.

Allerdings ist auch die Bundesumweltministerin Hendricks gegen Fahrverbote für Dieselfahrzeuge. Das gehe vor allem zu Lasten der Autofahrer, die stets davon ausgegangen waren, dass sie ein sauberes Fahrzeug besitzen, sagte sie in Brüssel. Damit hat sie natürlich Recht. Andererseits sind Dieselmotoren für den Großteil des Ausstoßes von Stickoxid verantwortlich und ein Fahrverbot würde die Luftverschmutzung in Innenstädten deutlich mindern. Für EU-Umweltkommissar Karmenu Vella spielt nur das eine Rolle. „Die Fristen zur Erfüllung der gesetzlichen Verpflichtungen sind längst abgelaufen“, sagte er. „Wir können nicht länger warten. Und das habe ich den Ministern sehr deutlich gemacht.“ Das Verfahren gegen Deutschland läuft bereits seit 2010.  

Rebecca Harms, umweltpolitische Sprecherin der Grünen im Europäischen Parlament, kommentiert das Verfahren. „Die Europäische Kommission darf bei diesem wichtigen Thema nicht einknicken“, sagt sie und fordert die Mitgliedsstaaten auf, endlich Maßnahmen zu ergreifen, um die Luft- und damit auch die Lebensqualität in den Städten entscheidend zu verbessern. „Die deutsche Regierung darf nicht weiter zuschauen, während Automobilhersteller unzureichende Maßnahmen zur Nachrüstung ihrer schmutzigen Dieselfahrzeuge treffen“, so Harms.

Wenn es zur Klage vor dem Europäischen Gerichtshof kommen sollte, müsste Deutschland mit einer empfindlichen Geldstrafe rechnen, deren Höhe sich nach der Dauer und Schwere des Verstoßes sowie der Zahlungsfähigkeit des betreffenden Staates richtet. Gegen Deutschland sind Strafen in sechsstelliger Höhe pro Tag möglich. Und das betrifft nicht nur Fahrer von Dieselautos, sondern alle. Dann zahlen die Steuerzahler für die Machenschaften der Autoindustrie und das Versagen der Politik, wirksame Konsequenzen daraus zu ziehen.