Anfang der Achtzigerjahre ist die Oberpfalz am Ende: Mit der Einstellung des Braunkohleabbaus verliert die Region ihren wirtschaftlichen Motor, Tausende Arbeitsplätze gehen verloren. Der SPD-Landrat Hans Schuierer, im Wackersdorf-Film gespielt von Johannes Zeiler, ist verzweifelt – bis ihm die bayerische CSU-Staatsregierung Pläne für die erste kommerzielle atomare Wiederaufarbeitungsanlage (WAA) in Deutschland vorlegt. Im kleinen Wackersdorf soll sie stehen und Arbeit und Wohlstand bringen. Eine Art Recyclingstelle für Atommüll, umweltfreundlich und sicher, so heißt es. Der Landrat ist zunächst begeistert. Doch als er erkennt, wie gefährlich die Atomfabrik werden kann, verweigert Schuierer der Staatsregierung die Gefolgschaft. Und wird wider Willen zum Helden der Widerstandsbewegung.

So zeichnet ihn jedenfalls der beeindruckende neue Spielfilm „Wackersdorf“ von Oliver Haffner. Mit Feingefühl und genauen Beobachtungen fängt er die beklemmende Stimmung ein, die damals über dem Land lag – auch wenn manches vereinfacht dargestellt wird und einige zentrale Figuren der Geschichte fehlen. Ein wütender Film, der überraschend leise daherkommt. Wir haben mit dem Regisseur Oliver Haffner darüber gesprochen, warum dieser Film so gut in die heutige Zeit passt.

Herr Haffner, Sie sind 1974 geboren und waren noch ein Kind, als die Proteste um die Wiederaufbereitungsanlage in Wackerdorf eskalierten. Wie haben Sie die Zeit selbst miterlebt?

Die Geschichte hat meine Kindheit und Jugend geprägt, sie war das bestimmende Thema. Ich bin in einem recht politisierten Münchner Elternhaus groß geworden, da wurde dauernd darüber geredet. Schon damals habe ich die Ereignisse als eine Art Wendepunkt erlebt. Heute würde ich sagen: Sie waren wie die Geburtsstunde der bayerischen Zivilgesellschaft in der Nachkriegszeit.

Haben Sie selbst mit demonstriert?

Ich war zu jung, aber meine ältere Schwester ist immer zum Demonstrieren nach Wackersdorf gefahren. Meine Eltern und ich haben uns natürlich extreme Sorgen gemacht. Was man aus den Medien vom Bauzaun mitbekommen hat, war ja Krieg: mit Wasserwerfern, Gasgranaten. Mein Jahrgang ist ohnehin stark von Angst geprägt, vor der Atombombe, dem Kalten Krieg, staatlichen Repressalien. Die Bilder aus Wackersdorf passten einfach in die allgemeine Endzeitstimmung.

Der Kern der Widerstandsbewegung um Wackersdorf entstammte einem sehr bodenständigen Milieu. Wie konnten die Proteste solche Ausmaße annehmen, gerade im konservativen Bayern?

Die Oberpfalz ist ja eine sehr industrieerfahrene Region. Sie entspricht nicht diesem Oberbayernbild mit Geranien und grünen Wiesen. Die bayerische Staatsregierung hat die Menschen dort unterschätzt. Es ging gar nicht so stark um Atomkraft, sondern um die Arroganz der Macht. Dass die Politiker aus der Großstadt dachten: „Diesen Deppen aus der Oberpfalz können wir so eine Anlage unterjubeln, da wehrt sich eh keiner.“ Diese Selbstherrlichkeit ist der Staatsregierung um Franz Josef Strauß zum Verhängnis geworden.

Regisseur Oliver Haffner (rechts) am Drehset für seinen Film „Wackersdorf“, der am 20. September in die Kinos kommt

Regisseur Oliver Haffner (rechts) am Drehset für seinen Film „Wackersdorf“, der am 20. September in die Kinos kommt

Ist „Wackersdorf" für Sie auch ein Heimatfilm?

Ich bin in München groß geworden und habe mich immer schon gefragt: Was ist das für ein Ort – meine Heimat? Ich habe mit dem Volkstümelnden nichts am Hut, aber Süddeutschland bleibt immer mein Sehnsuchtsort. Dieses Marketingkonzept, dass Bayern gleich CSU sei, das ist ja erschlagend – und es stimmt eben nicht. Nichts hat das so eindrucksvoll gezeigt wie der Widerstand gegen die WAA.

Es gibt schon viele Bücher und Filme über die Geschichte. Warum haben Sie jetzt noch einen Kinofilm daraus gemacht?

Es gab eben nie einen Spielfilm. Die Inititalzündung war der Atomunfall in Fukushima vor sieben Jahren. Auf einmal ging das so schnell mit dem Atomausstieg, worum wir vorher so lange und verbissen gekämpft hatten – ich habe gespürt, dass es da noch etwas zu erzählen gibt. Mein Produzent hat mich dann auf den Landrat Schuierer aufmerksam gemacht, und ich dachte: Hier haben wir unseren Helden.

Wieso taugt ein kleiner SPD-Lokalpolitiker wie Hans Schuierer für Sie zur Heldenfigur? Letztlich hat er einfach nur den Bauplänen seine Unterschrift verweigert.

Ja, und damit hat er alles aufs Spiel gesetzt. Er war Teil eines politischen Systems, gegen das er sich gewendet hat. Er ist nie Agitator oder Umweltaktivist gewesen, am Anfang hat er die WAA ja auch befürwortet. Noch Anfang der Achtzigerjahre hat er eine Müllverbrennungsanlage in der Region genehmigt, die bis heute riesige Mengen an Schadstoffen ausstößt. Er konnte aber nicht glauben, dass die Staatsregierung anfängt, den Rechtsstaat zu demontieren, um politische Ziele durchzusetzen. Das hat ihn wahnsinnig gemacht. Und er hatte die Größe zuzugeben, dass er sich geirrt hatte, als er sich anfangs noch für die WAA ausgesprochen hatte. Das ist eine Riesenleistung für einen Politiker.

Außer Schuierer und seinem Mitstreiter Claus Bößenecker taucht im Film niemand mit echtem Namen auf. Warum nicht?

Mit diesen zwei Figuren haben wir uns am meisten ausgetauscht, die beiden kommen in ihrer Komplexität den Originalen am nächsten. Die anderen sind eher Stellvertreter. Die Figur der Aktivistin Monika Gegenfurtner etwa: Die ist natürlich stark Irene Maria Sturm nachempfunden, der Gründerin der Bürgerinitiative – noch dazu weil sie von Sturms Tochter Anna Maria gespielt wird. In der Figur tauchen aber auch Aspekte anderer Charaktere auf, die sich über die Jahre engagiert haben. Deswegen haben wir uns hier zur Namensänderung entschlossen.

Warum werden aber Politiker wie der damalige bayerische Umweltminister Alfred Dick oder der Staatssekretär Peter Gauweiler im Film nicht mit Namen genannt?

Die Figur des Staatssekretärs orientiert sich schon stark an Gauweiler, auch ohne Namensnennung. Für mich ging es aber darum, den Blick zu erweitern, statt die damaligen Akteure genau abzubilden. Es ist wie in einer griechischen Tragödie: Man hat eine zentrale Figur und drumherum oszillieren die Mächte – der Minister, der Pfarrer, so etwas. Es geht nicht darum, wer die wirklich sind, sondern wie sich der Held zwischen all diesen Positionen bewegt.

Seit dem Ende der Pläne für die WAA in Wackersdorf haben nur wenige Bürgerproteste in Deutschland solche Ausmaße angenommen. Gibt es diesen Willen zum Widerstand nicht mehr?

Der Wille ist da. Was fehlt, ist die Bereitschaft, ihn zum gemeinschaftlichen Erlebnis zu machen. Das ist das Fatale an den sozialen Medien. Da können die Leute ihren Unmut mit einem einem Klick ausdrücken: gefällt mir, gefällt mir nicht. Manche unterschreiben vielleicht noch eine virtuelle Petition. Das hält uns aber davon ab, uns mit anderen Menschen zusammenzutun und gemeinsam vor Ort Stärke zu zeigen. Manchmal blitzt es noch auf. Erst im Mai sind zum Beispiel in München Zehntausende gegen das Polizeiaufgabengesetz auf die Straße gegangen. Wer dabei war, war extrem überrascht von dieser riesigen gemeinsamen Lebenserfahrung. Wenn wir den Leuten beweisen, dass der gemeinsame Kampf für eine Sache lohnt, dann ist die Kraft einer Bürgerbewegung wieder voll da. Sie ist im Moment nur verschüttet.

Der Autor Daniel Sander hat für seine Reportage in der Ausgabe des Greenpeace Magazins 5.18 „Bloß nicht hinwerfen!“ auch die realen Vorbilder der Filmfiguren, Hans Schuierer und Irene Maria Sturm besucht. Das Greenpeace Magazin erhalten Sie als Einzelheft in unserem Warenhaus oder im Bahnhofsbuchhandel, alles über unsere vielfältigen Abonnements inklusive Prämienangeboten erfahren Sie in unserem Abo-Shop. Sie können alle Inhalte auch in digitaler Form lesen, optimiert für Tablet und Smartphone. Viel Inspiration beim Schmökern, Schauen und Teilen!