Alexander Obst, 52 Jahre alt, Projektmanager in einer Unternehmensberatung, verheiratet, ein Sohn, wohnhaft in einem 103 Quadratmeter großen Reihenhaus in Berlin, ist ganz zufrieden mit der Bilanz seiner Familie. Angefangen mit einem Haushaltsaufkommen von 27 Tonnen CO2-Emissionen pro Jahr hat die Familie nach den ersten 150 Tagen bereits mehr als ein Drittel der Emissionen eingespart. „Wir sind im Durchschnitt ganz gut“, sagt Obst, „wir sehen aber auch, wo unsere Achillesferse liegt.“ Hochgerechnet auf das ganze Jahr liege der Verbrauch momentan bei 16,7 Tonnen – wenn es nicht diesen einen ungeplanten Ausrutscher gegeben hätte, der die gesamte Bilanz verhagelt hat.

Im Energiewendegesetz von 2016 hat der Berliner Senat festgelegt, dass das Land Berlin bis zum Jahr 2050 klimaneutral werden soll. Die energiebedingten Kohlendioxidemissionen sollen bis dahin um mindestens 85 Prozent im Vergleich zum Jahr 1990 reduziert werden. Wie kann das erreicht werden? Und wie kann die Bevölkerung ihren Beitrag leisten?

Letzteres herauszufinden ist das Anliegen einer Untersuchung des Potsdam-Instituts für Klimafolgenforschung (PIK). Die Wissenschaftler wollen zeigen, dass es unter heutigen Lebens- und Marktbedingungen möglich ist, deutlich klimafreundlicher zu leben als bisher. Die durchschnittliche Last eines jeden Deutschen liegt derzeit bei rund elf Tonnen Kohlendioxid pro Jahr. Ziel des Experimentes ist es, die CO2-Emissionen von hundert teilnehmenden Haushalten innerhalb eines Jahres um vierzig Prozent zu senken.

Im Elektrobereich spart die Familie etwa eine Tonne CO2 ein 

Obst, seine Frau und sein siebzehnjähriger Sohn sind Probanden in diesem Experiment. Ein Jahr lang geben sie jede Woche Daten in eine Online-Maske ein: Welche Fahrten haben sie mit welchem Fortbewegungsmittel unternommen? Welche Lebensmittel haben sie gekauft – bio, regional oder konventionell erzeugte? Wieviel Fleisch haben sie gegessen, wieviel Strom von welchem Anbieter verbraucht? Und so weiter. Eine Stunde dauert das jedes Mal. Dann werden alle Daten in CO2-Emissionen umgerechnet.

Während des ganzen Jahres werden die Probanden, die sich alle freiwillig gemeldet haben, von Wissenschaftlern des PIK begleitet, bekommen kostenlose Beratungen und Möglichkeiten aufgezeigt, wie sich die Bilanz verbessern ließe. Zu Beginn kam ein Energieeinsparberater des BUND zu den Obsts nach Hause. Sie besorgten daraufhin neue Leuchtmittel, stellten die Heizung besser ein und kauften sogar einen neuen Kühlschrank. Im Elektrobereich sparte die Familie durch all die Maßnahmen 25 Prozent oder etwa eine Tonne CO2 ein. Alexander isst seit Beginn des Jahres weniger Fleisch, seine Frau ist schon Vegetarierin, nur der Sohn will nicht auf Fleisch verzichten. Auch das Auto bleibt öfter stehen. „Durch die ständige Selbstüberprüfung wird einem schnell bewusst, was eigentlich den größten Einfluss hat“, sagt Obst – und ist wieder bei der Achillesferse der Familie: den Reisen.

Obsts Sohn hat an einem Schüleraustausch teilgenommen. Ziel: Neuseeland. „Da können wir machen, was wir wollen, die vierzig Prozent Reduktion sind damit nicht mehr möglich“, sagt Obst. Mit 11,6 Tonnen tauchen Hin- und Rückflug in der Bilanz auf, etwa so viel also wie der Durchschnittsdeutsche im Jahr an Treibhausgasen verursacht. Auch im Sommer will die Familie in den Urlaub fliegen. Obst lässt sich dennoch nicht entmutigen. Er nimmt viel mit aus dem Experiment, und so viel fliegt die Familie ja nicht in jedem Jahr. „Wir haben uns für den Rest des Jahres vorgenommen, möglichst wenig Sünden zu begehen“, sagt er. Im Frühjahr reiste die Familie deshalb mit dem Zug in Schweiz statt zu fliegen, obwohl es teurer war und länger dauerte.

Das Ziel, im Schnitt vierzig Prozent Emissionen einzusparen, wird wahrscheinlich verfehlt

„Die meisten der Probanden gehören schon zu den engagierteren Menschen, die sich bereits mit dem Klimawandel auseinandergesetzt haben“, sagt Fritz Reusswig, Projektkoordinator beim PIK. Deshalb lag der Emissionsdurchschnitt bei den Probanden schon zu Beginn deutlich unter dem Bundesdurchschnitt. „Je niedriger die Pro-Kopf-Emissionen sind, desto schwieriger wird es, nochmal vierzig Prozent einzusparen“, sagt Reusswig. Das Ziel werde wahrscheinlich verfehlt. Das sei aber kein Problem, schließlich sei das Projekt in Berlin nur der Auftakt. Es soll auf andere Städte und auch auf ländliche Regionen ausgeweitet und übertragen werden. Das wäre wichtig, um repräsentativere Ergebnisse zu bekommen und um mehr darüber zu erfahren, wie die Bürger mithelfen können die Klimaziele einzuhalten – und was sie bereit sind zu tun. „Es zeichnet sich ab, dass die Probanden durchaus ihre Gewohnheiten ändern“, sagt Reusswig. „Basierend auf unseren Erkenntnissen wollen wir schließlich Politikempfehlungen ableiten, wie unser aller Leben klimafreundlicher werden kann“, sagt Reusswig.

Die Obsts wären gerne weiter dabei, sollte das Projekt in Berlin verlängert werden. Im nächsten Jahr, das überlegen sie gerade, schaffen sie vielleicht ihr Auto ab. „Jeder Einzelne hat Verantwortung“, sagt Alexander Obst, „jeder kann in vielen Bereichen etwas tun. Aber allein die Maßnahmen von Einzelnen reichen nicht aus.“