Obwohl die Schokolade im Supermarkt so viel kostet wie immer: Die Schoko-Konzerne kaufen die Kakaobohnen derzeit deutlich günstiger ein. Der Kakaopreis ist derzeit auf einem Zehn-Jahres-Tief, eine Tonne Bohnen kostete derzeit rund 1800 Euro. Seit September 2016 ist der Preis um mehr als ein Drittel gefallen. Zum Problem wird das nun für die Produzenten des Rohstoffes, vor allem den Kakaobauern in Westafrika: Die Elfenbeinküste, Ghana, Kamerun und Nigeria sind wichtige Kakaobohnenlieferanten. Ein Drittel der globalen Kakaoernte kommt aus der Elfenbeinküste, das Land ist der weltgrößte Produzent. Etwa 60 Prozent der in Deutschland verarbeiteten Kakaobohnen stammen von dort. Die rund 800.000 Kleinbauern in der Elfenbeinküste verdienen je zirka 0,50 US-Dollar am Tag und leben trotz harter körperlicher Arbeit in extremer Armut. Bislang hatte die Regierung der Elfenbeinküste die Preisschwankungen abgepuffert, indem sie den Kakaobauern einen Mindestpreis pro Kilo gezahlt hat. Doch zum 1. April hat sie diesen Preis um 30 Prozent gesenkt – der Preissturz belastete die Staatskassen zu stark.
Um über die Runde zu kommen, sparen die Bauern häufig bei der Pflege der Plantagen – obwohl gerade das für die Kakaopflanze und zukünftige Ernten wichtig ist. Und weil die Bauern vom Kakaoverkauf kaum leben können, beschäftigen sie in der Erntezeit weniger Plantagenarbeiter. Oft genug bedeutet das: Noch mehr Kinderarbeit. „Noch 2015 arbeiteten mehr als 2 Millionen Kinder weltweit auf Kakaoplantagen, die Mehrheit davon unter missbräuchlichen Bedingungen“, sagt Evelyn Bahn, die für die entwicklungspolitische Nichtregierungsorganisation Inkota die Kampagne „Make Chocolate Fair“ leitet. „Seit über 15 Jahren versprechen Schokoladenunternehmen, dass missbräuchliche Kinderarbeit im Kakaosektor bekämpft wird. Doch dafür muss den Kakaobauern ein Preis gezahlt werden, der sowohl die Grundbedürfnisse der Familien absichert als auch ermöglicht in die Plantagen zu investieren.“
Die Frage lautet: Was tun Schoko-Konzerne wie Nestlé, um ihre Lieferanten und Produzenten in diesen Zeiten zu unterstützen? „Unsere Projekte sind langfristig ausgelegt, und bislang waren vor Ort in der Elfenbeinküste noch keine konkreten Auswirkungen des reduzierten Mindestpreises festzustellen“, sagt Achim Drewes, Sprecher von Nestlé Deutschland. „Unser klares Ziel ist, den Bauern und ihren Familien auch im Kakaoanbau eine angemessene Lebensgrundlage zu bieten.“ Das Unternehmen verfolgt schon seit längerem einen „Cocoa Plan“, der zur Umsetzung dieses Zieles beitragen soll. Das Motto: Besserer Anbau, besseres Leben, besserer Kakao. „2016 wurden 2,2 Mio. leistungsfähige Pflanzensetzlinge an die Bauern ausgegeben, und 57.000 Bauern in besseren Anbaumethoden geschult“, sagt Drewes. Darüber hinaus wurde in allen 69 Partnerkooperativen Ende 2016 das „Child Labor Monitoring“ eingeführt, um Kinderarbeit aufzudecken. Außerdem sollen rund 230.000 Menschen vom Wasser- und Sanitärprogramm mit dem Roten Kreuz profitiert haben, das Nestlé eingeführt hat.
Viele dieser Ansätze zur Verbesserung der Lebensgrundlage der Kakaobauern findet auch Evelyn Bahn vom Netzwerk Inkota grundsätzlich gut. Doch sie kritisiert, dass die grundsätzlichen Probleme zu wenig adressiert würden. Viele Maßnahmen des „Nestlé Cocoa Plan“ zielten nur auf höhere Ernteerträge ab, so Bahn. Die aktuelle Preisentwicklung zeige aber, dass höhere Ernteerträge den Unternehmen zwar billigen Rohstoff sicherten, die Kakaobauern jedoch weiterhin in Armut lebten. Darüber hinaus stellt Bahn die Wirksamkeit der Maßnahmen in Fragen. „Eine Schule verhindert noch nicht, dass Kinder auf Grund der Armut ihrer Eltern arbeiten müssen. Und eine Schulung sagt nichts darüber, wie viele Bauern das Gelernte auch anwenden. Nestlé präsentiert uns viele Zahlen, aber keine darüber, was sich für die Bauernfamilien tatsächlich verändert“, sagt Bahn. Solange der Konzern keine Daten über die Einkommenssituation der Bauern veröffentliche, müsse weiter davon ausgegangen werden, dass die Familien weiterhin unterhalb der Armutsgrenze leben. „Wenn es messbare Erfolge gäbe, dann würde Nestlé uns das sicher nicht vorenthalten“, sagt Bahn.
Nestlé Deutschland bezieht schon jetzt den kompletten Kakao aus dem „Nestlé Cocoa Plan“, weltweit macht der Anteil aus dem besonderen Förderprogramm 34 Prozent des vom Unternehmen verarbeiteten Kakao aus. Die Herstellung ist mit dem Nachhaltigkeitssiegel UTZ ausgezeichnet. „Das Programm wird kontinuierlich weiter ausgebaut, um die notwendige Transparenz in der Lieferkette herzustellen und Probleme gezielt angehen zu können“, sagt Achim Drewes. Auch hier stimmt Evelyn Bahn grundsätzlich zu: Diese Zertifizierungssysteme tragen maßgeblich dazu bei, dass die Lieferketten transparenter sind und die Bauern in Kooperativen gestärkt werden. „So können sie perspektivisch mehr Marktmacht erhalten und ihre Rechte einfordern“, sagt Bahn. Doch Zertifizierungen wie Fairtrade, UTZ und Rainforest Alliance seien kein Garant dafür, dass die Menschen faire Preise erhalten und es keine Kinderarbeit auf den Plantagen gibt. „Wer sicher gehen möchte, dass keine Kinderarbeit in der Schokolade steckt, sollte Schokolade mit Kakao aus Lateinamerika kaufen“, sagt Bahn. Dort sei die Einkommenssituation der Kakaobauern besser und darum die Wahrscheinlichkeit für missbräuchliche Kinderarbeit sehr gering. Weil damit aber den Kakaobauern in Westafrika nicht geholfen sei, rät Evelyn Bahn Verbrauchern dazu, selbst tätig zu werden und bei den Schokoladenhersteller immer wieder die faire Bezahlung der Lieferanten einzufordern – zum Beispiel über ein Formular auf der Seite der „Make Chocolate Fair“- Kampagne.
Es gibt also viel zu diskutieren zwischen Vertretern von Nestlé und Menschenrechts-Aktivistinnen. Am kommenden Donnerstag, den 3. August, findet deshalb auf dem Weltacker der Internationalen Gartenausstellung in Berlin ein Podiumsgespräch statt, bei dem Achim Drewes und Evelyn Bahn über die Frage „Wie wird Schokolade fair?“ sprechen. Um 17 Uhr beginnt die Veranstaltung, wer sich mit einer Mail an die Adresse carla@2000m2.eu anmeldet, bekommt kostenlosen Zugang zum Gelände der Internationalen Gartenschau. Ein spannendes Gespräch über die Umsetzung fairer Handelsketten in einer globalisierten Welt ist garantiert.