Fleisch ist so billig, weil viele Herstellungskosten im Ladenpreis gar nicht auftauchen. Sie werden ausgelagert – auf Umwelt, Mensch und Tier. Greenpeace veröffentlicht an diesem Montag eine Studie zu den wahren Preisen von Rind- und Schweinfleisch aus konventionellen und Bio-Betrieben. Martin Hofstetter, Landwirtschaftsexperte von Greenpeace, erzählt im Interview, warum er das überraschendste Ergebnis der Studie erwartet hatte und wieso Bio nicht alle Probleme lösen kann

Herr Hofstetter, was war die Motivation von Greenpeace, die sogenannten wahren Preise von Fleisch herauszufinden?

Weil Fleisch viel zu billig ist. Das hat mit verschiedenen Faktoren zu tun: Futtermittel kommen ohne Zölle rein, die Haltungsbedingungen sind extrem schlecht, wir haben eine industrialisierte Form von Fleischerzeugung und Tierhaltung und es gibt staatliche Subventionen. Das alles ergibt ein System der Billigfleisch-Erzeugung und da haben wir gesagt, okay, das müssen wir uns mal genauer angucken.

Also, es gibt günstiges Fleisch für die Konsumierenden nur auf Kosten der Arbeitsbedingungen, des Tierwohls und der Umwelt?

Genau, dadurch, dass die Anforderungen so gering sind, können die Kosten so niedrig gehalten werden. Und da haben wir uns gefragt: Was wären denn eigentlich die realen Kosten. Also, wenn man diese verborgenen Kosten miteinrechnen würde, wie teuer würde Fleisch denn dann eigentlich werden?

Und was kam dabei heraus?

Wir haben festgestellt, dass die Kosten des in Deutschland konsumierten Rind- und Schweinefleisches*, die nicht eingerechnet werden, also die externen Kosten, insgesamt 5,9 Milliarden Euro betragen. Und das ist ja wirklich viel Geld. Wenn wir uns jetzt alle ökologisch ernähren würden, also genauso viel Fleisch essen würden wie bisher – aber Bio –, dann würden diese externen Kosten deutlich sinken, und zwar um 2 Milliarden Euro. Dann haben wir zwar immer noch externe Kosten, aber die lägen dann bei 3,8 Milliarden Euro. Das heißt, im Moment haben wir im Durchschnitt im konventionellen Bereich höhere externe Kosten.

Aus welchen verborgenen Kosten ergeben sich diese knapp 6 Milliarden Euro?

Eingerechnet haben wir externe Kosten aus den Bereichen Klima, Wasser, Boden und Biodiversität. Allerdings konnten wir wegen fehlender Daten nicht alle Faktoren berücksichtigen. Also Tierwohl, einige Faktoren bei der Biodiversität, Arbeitsbedingungen und Gesundheitsfolgen sind in den Berechnungen noch gar nicht drin.

Aber wie kommt man denn von so allgemeinen Bereichen wie Klima und Wasser zu so konkreten Zahlen wie 6 Milliarden?

Zunächst haben wir uns ökologische und konventionelle Rinder- oder Schweinebetriebe angesehen, in denen diese Tiere in einer bestimmten Art und Weise gehalten und gefüttert werden. Und dann haben wir untersucht, was da zum Beispiel an Klimagasen entsteht. Also, wenn ich in der Futtermittelration eines konventionellen Schweins 25 Prozent Sojaschrot drin habe und das kommt zur Hälfte aus den USA und zur Hälfte aus Brasilien, dann ist die Frage: Wie viel CO2 ist dabei in den USA und wie viel in Brasilien entstanden, und was kommt durch den Transport mit dem Schiff noch dazu? Außerdem sind da bei uns noch Trecker mit Diesel für die Futtererzeugung gefahren, durch die Mineraldünger ist Lachgas entstanden und beim Getreidemahlen wurde Energie verbraucht. So haben wir das berechnet, Punkt für Punkt. Dabei kam heraus, wie viel CO2, Methan und Lachgas in dieser Kette entstanden ist. Das rechnet man dann auf die Produkte um, also auf ein Kilogramm Fleisch, und gibt dem Ganzen einen Preis. Derzeit erhält beispielsweise ein Landwirt pro Kilogramm Schwein vom Schlachter aus konventioneller Haltung etwa 1,50 Euro für seine Aufwendungen. Die zusätzlichen externen Kosten, die in der Landwirtschaft entstehen, belaufen sich nach unserer Berechnung ebenfalls auf 1,50 Euro. Also wäre der „wahre“ Preis doppelt so hoch wie der ursprüngliche, statt 1,50 müsste der Schlachter über 3 Euro zahlen, und der Verbraucher dann natürlich auch entsprechend mehr.  

Und woher weiß ich, wieviel so eine Tonne CO2 das Klima in Euro „kostet"?

Da haben wir uns an den internationalen Kostensätzen orientiert, die von Wissenschaft und Wirtschaft genutzt werden und wiederum bei der FAO, der Ernährungs- und Landwirtschaftsorganisation der Vereinten Nationen, hinterlegt sind. Beispielsweise rechnet man pro Tonne CO2-Äquivalente mit 105 Euro. Und auch beim Wasserverbrauch gibt es feste Datensätze: Demnach kostet der Kubikmeter Wasser, den Tiere weltweit verbrauchen, 2 Euro. Es ist natürlich praktisch, mit diesen globalen Durchschnittswerten zu kalkulieren, aber auch kritisch, weil Wasserverbrauch in Deutschland anders zu bewerten ist als in der Sahelzone. Oder die geringen Kosten für Biodiversität, die hinterlegt sind, müssten – auf Deutschland bezogen – viel höher ausfallen. Aber das geht an dieser Stelle nicht anders, weil es solche differenzierten regionalen Kostensätze noch nicht gibt, deshalb haben wir das mit den festen Sätzen so gemacht.

© Daniel Müller/ Greenpeace<p>Martin Hofstetter, Agrar-Experte von Greenpeace, erzählt im Interview, was am Konzept der wahren Kosten dran ist</p>
© Daniel Müller/ Greenpeace

Martin Hofstetter, Agrar-Experte von Greenpeace, erzählt im Interview, was am Konzept der wahren Kosten dran ist

Was war an den Ergebnissen überraschend?

Bei Rindfleisch schneidet die ökologische Erzeugung tatsächlich etwas schlechter ab als die konventionelle. Also hier fallen die externen Kosten bei Bio-Rindfleisch höher aus. Ich wusste, dass konventionell erzeugtes Rindfleisch einen etwas besseren CO2-Fußabdruck hat, allein dadurch, dass die Tiere schneller zunehmen und kürzer leben. Bei Biofleisch dauert die Aufzucht der Rinder viel länger und deshalb werden hier im Vergleich auch mehr Klimagase ausgestoßen. Deswegen war ich schon vor Studienstart davon ausgegangen, dass es da einen gewissen Unterschied zugunsten der Intensivmast geben wird. Menschen, die sich damit noch nicht beschäftigt haben, dürften dieses Ergebnis im ersten Moment erstaunlich finden. Aber es ist eben kein Automatismus, dass Bio in allen Punkten besser wäre als konventionell.

Und wie sieht es beim Schweinefleisch aus?

Ganz anders. Tatsächlich sind die externen Kosten bei den Bioschweinen nur etwa halb so hoch sind wie bei den konventionellen. Das hatte ich in dieser Deutlichkeit nicht erwartet und finde es sehr erfreulich. Gerade auch, weil Schweinefleisch mit über siebzig Prozent in die Gesamtrechnung spielt und daher den Ausschlag gibt, dass ökologische Produktion insgesamt besser abschneidet. Und das spricht ja dafür, dass zumindest viele Anforderungen im ökologischen Anbau sinnvoll sind und die Kosten schon längst miteinfließen, die konventionell noch ausgelagert werden.

Welche Konsequenzen oder Forderungen ziehen Sie aus den neuen Erkenntnissen?

Dieses billige Fleisch ist weder gut für unsere Gesundheit, noch für die Umwelt und schon gar nicht für die Tiere. Deshalb muss man sagen, dass eine große Dringlichkeit besteht, diese bisher verborgenen Mehrkosten in den Ladenpreis einzurechnen. Denn Preise haben für Verbraucherinnen und Verbraucher eine ganz wichtige Signalfunktion. Wenn wir funktionierende Märkte hätten, wo die Preise auch die knappen und wertvollen Ressourcen abbilden würden, dann würden sich Angebot und Nachfrage verändern. Sprich, dann würden viele Leute darauf reagieren und weniger Fleisch kaufen und konsumieren.

Und wie wollen Sie Unternehmen dazu bringen, mit solchen „wahren“ Preisen zu operieren?

Da ist als erstes die Politik gefragt. Sie muss dafür sorgen, dass die bei der Produktion entstehende Schäden, zum Beispiel Bodenerosion oder der Ausstoß von Klimagasen, in der Preiskalkulation verpflichtend berücksichtigt werden. Und im nächsten Schritt muss sie die externen Kosten durch entsprechende Vorgaben minimieren. Das ist die Aufgabe des Staates, das kann nicht der Wirtschaft überlassen werden.

Wenn man das Problem durch einen höheren Preis löst, dann wird das schnell eine soziale Frage: Wer kann es sich leisten, Fleisch zu essen. Finden Sie das vertretbar?

Im Moment haben wir ja eine Situation, in der alle zahlen, auch diejenigen, die gar kein oder wenig Fleisch konsumieren. Oder auch die zukünftigen Generationen, die dann mit Nitrat verseuchtes Grundwasser nicht mehr nutzen können oder weniger Ackerböden aufgrund von Erosion und Klimawandel vorfinden. Das ist ja noch weniger gerecht. Fleisch sollte kein Grundnahrungsmittel, sondern ein Luxusartikel. Selbst wenn man diese Mehrkosten, die wir berechnet haben, auf den Kilopreis draufschlägt, ist Fleisch immer noch erschwinglich. Eigentlich immer noch erschreckend günstig, würde ich sagen. Von daher finde ich das Argument nicht nachvollziehbar, dass sich Menschen in Deutschland dann nicht mehr ausreichend Wurst leisten können. In Ländern mit großer Armut, Mangelernährung und einem stärkeren Ungleichgewicht zwischen Arm und Reich hätte ich ein Problem damit, Fleisch für Arme teurer zu machen. Bezogen auf Mitteleuropa sehe ich da überhaupt kein Problem. Wir wissen ja, dass wir hier im Durchschnitt eher zu viel Fleisch essen.

*Hinweis: Bei der Zahl 5,9 Milliarden Euro geht es um die externen Kosten, die bei der Erzeugung des Rind- und Schweinefleisches anfallen, welches in Deutschland konsumiert wird. Die Formulierung dazu haben wir am 3.12.2020 korrigiert.

Die detaillierten Ergebnisse der Studie können Sie hier nachlesen. Weitere Informationen zum Thema finden Sie auch in der Ausgabe des Greenpeace Magazins 1.21 „Konsum“. Wir zeigen Menschen, die lieber das Klima verbessern als das Konsumklima und sich der Logik des Immermehr entziehen. 
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