„Welttoilettentag“? Das ist ein Scherz, so wie der Tag der Jogginghose, oder?

Ganz und gar nicht. Der „World Toilet Day“ am 19. November soll auf das Problem der teilweise noch immer katastrophalen Sanitärversorgung für Milliarden Menschen aufmerksam machen. Er wurde 2001 zum ersten Mal ausgerufen und ist seit dem Jahr 2013 ein offizieller Aktionstag der Vereinten Nationen. Und schon seit 2010 ist der Zugang zu sauberen Toiletten offiziell ein Menschenrecht. 

Eine Toilette „rettet Leben, ermöglicht Bildung, wirtschaftliche und soziale Entwicklung. Sie ist einer der wichtigsten Beiträge zur Wahrung der Menschenwürde“, heißt es auf der Website zum „World Toilet Day“. Vor vier Jahren haben die Vereinten Nationen in ihrer „Agenda 2030“ (Motto: „Leave No One Behind“) den Zugang zu Wasser- und Sanitärversorgung zu einem der 17 Nachhaltigkeitsziele ausgerufen. Zumindest auf dem Papier haben sich 193 Staaten dazu verpflichtet, diese Versorgung bis 2030 für alle sicherzustellen.

Wie sind die Zahlen?

Mehr als vier Milliarden Menschen haben laut UN keinen direkten Zugang zu sauberen und sicheren Toiletten. Noch immer verrichten 673 Millionen ihre Notdurft im Freien – hinter Büschen, in Gräben, am Dorfrand, die meisten von ihnen in Südasien und in Afrika südlich der Sahara. Und noch immer fließen achtzig Prozent der menschlichen Fäkalien ungefiltert in die Flüsse oder ins Meer. Diese hygienischen Mängel sind verantwortlich für den Großteil der Fälle von Ruhr, Typhus, Cholera oder Hepatitis A. Täglich sterben rund tausend Kinder an Erkrankungen, die sie sich durch den Kontakt mit fäkalienverseuchtem Wasser zugezogen haben. Allein in Indien gelten fünfzig Millionen Kinder als entwicklungsverzögert, weil sie ständig mit Infektionen zu kämpfen haben, die durch den Kontakt mit wurm- und virenverseuchten Exkrementen im Wasser und in ihrer Umwelt ausgelöst werden. Weltweit fehlt es in jeder dritten Schule an einer vernünftigen Toilette.

Hygiene und Krankheiten sind das eine, aber wieso ist die Versorgung mit Toiletten ein so wichtiges „Entwicklungsthema“?

Schätzungen zufolge kann die fehlende oder problematische Sanitärversorgung die entsprechenden Länder jährlich bis zu sechs Prozent ihres Bruttonationaleinkommens kosten. Im Weltmaßstab sind es ein bis zwei Prozent. Die Weltgesundheitsorganisation WHO beschreibt diesen Zusammenhang so: „Verbesserte sanitäre Einrichtungen führen zu einer geringeren Krankheitsbelastung, verbesserter Bildung, Ernährung und Lebensqualität, weniger Umweltverschmutzung, mehr Beschäftigungsmöglichkeiten, verbesserter Wettbewerbsfähigkeit der Städte sowie wirtschaftlichen und sozialen Vorteilen für die Gesellschaft im Allgemeinen.“ Eine Gesellschaft, die sich nicht Sanitärproblemen herumschlagen muss, kann sich auf das Potenzial ihrer Menschen konzentrieren. Vor allem Frauen und Mädchen werden durch die katastrophale Toilettensituation in vielen Ländern deutlich benachteiligt.

Warum gerade Frauen und Mädchen?

Für Frauen und Mädchen ist die Regelblutung ein Riesenproblem, wenn es keine vernünftigen Toiletten gibt. Dazu kommt vielerorts noch der mangelnde Zugang zu Hygieneprodukten und die Tabuisierung der Menstruation. In Indien werden einer Untersuchung zufolge 84 Prozent der Mädchen von ihrer ersten Regelblutung überrascht, weil niemand vorher mit ihnen über das Thema gesprochen hat. Dort haben sechzig Prozent der Schulen nicht mal separate Toiletten für sie – und wenn es eine gibt, lässt sie sich nur in den seltensten Fällen auch abschließen. Die meisten Mädchen bleiben daher während der Regelblutung zu Hause und verpassen im Durchschnitt fünfzig Schultage pro Jahr. 23 Prozent verlassen die Schule mit Eintritt der Menstruation sogar ganz – ein Phänomen, das auch in vielen anderen Regionen der Welt zu beobachten ist. Junge Frauen werden auf diese Weise von qualifizierten Arbeit(splätz)en (oder: von qualifizierten Berufen) ausgeschlossen, ihr kreatives und innovatives Potenzial geht der Wirtschaft und der Gesellschaft verloren.

Was tun die Länder gegen die schlechte Versorgung mit Toiletten?

Bleiben wir in Indien. Im Jahr 2015 lebten dort siebzehn Prozent der Weltbevölkerung, aber sechzig Prozent jener Menschen weltweit, die ihr Geschäft draußen erledigten. 2014 rief der politisch umstrittene Premierminister Narendra Modi die Swachh Bharat Mission aus („Sauberes Indien“). Bis zum 2. Oktober 2019, dem 150. Geburtstag des Staatsgründers Mahatma Gandhi, sollten mehr als 100 Millionen neue Klos und Latrinen gebaut und die offene Defäkation auf null gebracht werden. Tatsächlich hat das Programm einen großen Schub gebracht. 111 Millionen Toiletten und Latrinen wurden Regierungsangaben zufolge errichtet. Allerdings werden einige der neuen sanitären Anlagen nur unzureichend gepflegt oder es fehlt der Anschluss an eine Entsorgungsinfrastruktur. In einem Land wie Indien, in dem das Thema mit großen Tabus behaftet ist, war es aber auf jeden Fall ein gewaltiger Fortschritt, dass offen über die Sanitärprobleme gesprochen wurde – sogar in Filmen aus der indischen Kinofabrik Bollywood.

Moment – ein Bollywood-Film über Toiletten?

„Toilet: A Love Story“ war 2017 einer der großen Kassenerfolge des indischen Kinos. In der Geschichte geht es um eine Frischvermählte, die ihrem Angetrauten mit Scheidung droht, wenn er ihr keine Toilette baut. Sie hat keine Lust, mit den anderen Frauen des Dorfes im Morgengrauen auf die Felder zu gehen, so wie es seit Generationen üblich ist. Da es im ganzen Dorf aus Gründen der „Tradition“ keine Toiletten gibt und auch ihre Schwiegereltern meinen, man brauche keine, steht ihr schwer verliebter Ehemann vor einem Riesenproblem. Allerdings wird er von dem charmanten Bollywood-Superstar Akshay Kumar verkörpert, sodass auch diese Geschichte wie alle Kumar-Filme einem Happy End entgegenstrebt:  Zum Schluss bekommt nicht nur seine Frau, sondern gleich das ganze Dorf vernünftige Klos. Wem Bollywood zu kitschig ist – der Dokumentarfilm „Mr. Toilet“ begleitet Jack Sim, einen wunderbar exzentrischen Multimillionär aus Singapur, Gründer der „World Toilet Organization“, bei seinem nimmermüden Einsatz für die Sanitärversorgung der Ärmsten der Welt.

Also einfach überall Toiletten bauen, wo welche fehlen. Problem gelöst, oder?

Nicht ganz. Jede Region der Welt hat ihre eigenen spezifischen Herausforderungen. Mal gibt es Zugang zu einer Abwasserversorgung, mal nicht. Mal gibt es kulturelle Vorbehalte. Und es reicht auch nicht, einfach nur eine Latrine oder Toilettenanlage aufzustellen. Man muss komplette Sanitärsysteme schaffen, in denen Abwässer gereinigt und gefiltert werden, oder aber die regelmäßige Entsorgung stationärer Toiletten sicherstellen. Dazu braucht es Fachwissen und Geld, viel Geld. Die Weltbank schätzt, dass jährlich 103 Milliarden Euro aufgewendet werden müssten, um weltweit überhaupt erst einmal eine sanitäre Grundversorgung zu gewährleisten. 80 Prozent aller Länder mit mangelnder Versorgung verfügen laut einer UN-Studie derzeit nicht über die notwendigen finanziellen Mittel, um entsprechende Anlagen aufzubauen.

Allerdings sehen Experten etwa der Weltbank oder der Toilet Board Coalition, einer Initiative von Unternehmen und Hilfsorganisationen, auch ein gewaltiges wirtschaftliches Potenzial in einer ganzheitlich angelegten Sanitärversorgung.

Wirtschaftliches Potenzial? Also aus Sch… Gold machen?

Könnte man so sagen. Eine Studie besagt, dass man in einem Land wie Indien jährlich bis zu 30 Milliarden Dollar (27 Milliarden Euro) mit der Verarbeitung menschlicher Exkremente verdienen könnte. Würde man etwa aus dem Fäkalschlamm Nährstoffe wie Phosphat, Stickstoff und Kalium als Dünger zurückgewinnen und mit Biogasanlagen Elektrizität und Wärme produzieren, ließe sich „Tatti“, wie Kot auf Hindi heißt, beinahe buchstäblich in Gold verwandeln, neue Arbeitsplätze inklusive. Wissenschaftler des „Institute for Water, Environment and Health“ an der UN University im kanadischen Hamilton, Ontario, haben errechnet, dass man mit dem jährlich von allen Menschen ausgeschiedenen Kot als Ausgangsstoff für Biogas Strom für 138 Millionen Haushalte gewinnen könnte. 

In Ouagadougou, der Hauptstadt von Burkina Faso, steht seit 2016 die erste große Biogasanlage Westafrikas, in der Fäkalschlamm im industriellen Maßstab verarbeitet wird. Bis zu 400 Tonnen Fäkalien, Urin und organische Abfälle können pro Tag für die Energiegewinnung eingesetzt werden.

Die WHO schätzt, dass jeder in sanitäre Anlagen investierte Dollar das vier- bis fünffache an wirtschaftlichem Gewinn einbringen könnte. Schließlich kommen zu den wirtschaftlichen Möglichkeiten noch die sinkenden Folgekosten für Umweltschäden und die Versorgung der Kranken.

Wenigstens ein Problem, dass die reichen Länder hinter sich haben. Hier ist doch alles gut?

Aus zwei Gründen nicht: In einem so reichen Land wie Deutschland ist die sanitäre Situation für viele Menschen schwierig. 650.000 Menschen haben keine eigene Wohnung, und die Versorgung mit öffentlichen Gratistoiletten ist schlecht. Generell lässt der Zustand der Toiletten hierzulande – verglichen mit einem Land wie Japan – zu wünschen übrig. Vor allem Schultoiletten sind berüchtigt. Gravierender noch sind die Gefahren, die auch den reicheren Ländern durch die Klimakrise drohen. Eine Studie aus den USA ergab, dass in küstennahen Regionen Neuenglands sowie Floridas die teils uralten Klärgruben durch steigende Grundwasserpegel bedroht sind. In Deutschland belasten Überflutungen nach Starkregen die Abwassersysteme. Die Kapazitäten müssen dringend ausgebaut, die Versiegelung immer größerer, natürlicher Ablaufflächen gestoppt werden. Umgekehrt führen lange Trockenperioden wie etwa im Jahr 2018 zu möglicher Korrosion in den Abwasserrohren.

Das Thema beginnt mich zu interessieren. Wo erfahre ich mehr?
worldtoiletday.info

Ein guter Überblick mit Zahlen und Projekten.
susana.org

Die Website der global vernetzten SuSanA („Sustainable Sanitation Alliance“) enthält eine Art Bibliothek mit mehr als 3000 Studien und Artikeln zum Thema. Für Fachleute und solche, die es werden wollen.

© privatRebecca Jean Gilsdorf, 31, ausgebildete Umweltingenieurin, arbeitet derzeit als Weltbank-Expertin für Wasser- und Sanitärsysteme in der Demokratischen Republik Kongo. Dem Greenpeace Magazin hat sie erzählt, was sie an Toiletten so fasziniert
© privat

Rebecca Jean Gilsdorf, 31, ausgebildete Umweltingenieurin, arbeitet derzeit als Weltbank-Expertin für Wasser- und Sanitärsysteme in der Demokratischen Republik Kongo. Dem Greenpeace Magazin hat sie erzählt, was sie an Toiletten so fasziniert

„Exkremente sind Ressourcen“ – Rebecca Jean Gilsdorf

„Ich studierte an der Uni Stanford in den USA. Für ein Semesterpraktikum führte ich in Uganda und im Südsudan einige kleine Bauvorhaben durch. Ein Teil davon war der Bau von Latrinen und Regenwasseraufbereitungssystemen. Die Latrinen waren dabei für mich das Spannendste. Sanitärversorgung bringt zwei wichtige Dinge zusammen: den Schutz der menschlichen Gesundheit und den Schutz der Umwelt. Ich beschäftigte mich von da an mit verschiedenen Ideen zur Wiederverwendung menschlicher Ausscheidungen und wie man sie in produktive Endprodukte umwandeln kann. Dabei geht es um die Verwendung von Restwasser für die Landwirtschaft oder die Nutzung von Fäkalien als Dünger oder zur Energieerzeugung. Ich sehe das Thema nicht als etwas Unangenehmes oder eine Belästigung, sondern als eine große Ressource.

Wenn wir unterwegs Hausbesuche machen, frage ich natürlich immer: "Kann ich Ihre Toilette sehen?" Die Leute sind oft sehr überrascht, wenn ich so vor ihnen stehe. Ich würde genauso reagieren, wenn jemand in meinem Haus auftauchte und mich das fragte. Aber ich denke, es ist wichtig, den Menschen zu zeigen, dass es auf gesellschaftlicher Ebene wichtig ist, über all diese sehr privaten Dinge zu sprechen. Es hat etwas wirklich Mächtiges, sich auf ein so grundlegendes menschliches Bedürfnis zu beziehen: das Bedürfnis nach einem sicheren, sauberen Ort der Würde für diesen wichtigen Teil unseres Lebens.

Meiner Erfahrung nach nehmen Regierungen und Verwaltung in aller Welt die Sanitärversorgung oft sehr ernst. Aber manchmal ist ihnen weniger klar, was sie genau tun sollen. Das liegt zum Teil daran, dass sich der Sektor in der Vergangenheit auf eine einzige Lösung konzentriert hat: die Toilette, wie wir sie kennen, mit einem perfekten Abwassersystem. Wir versuchen klar zu machen, dass das nicht die einzige Lösung sein muss. In ländlichen Gebieten ohne Anschluss an Abwassersysteme kann es erst einmal auch reichen, eine saubere, professionell gebaute Latrine zu haben und die Entsorgung und Weiterverwendung zu organisieren. Sanitärversorgung ist nichts, was man aus hundert Jahre alten Ingenieurbüchern lernt. Das Thema bietet einem viel Raum, kreativ zu sein, und es gibt immer mehr Menschen, die mit neuen Ideen einsteigen, wie man Sanitärversorgung managen kann.

Die offene Defäkation ist in einigen Gebieten der Welt noch sehr verbreitet. An manchen Orten machen das die Menschen, weil sie keine andere Wahl haben. Aber ich kenne auch ein Beispiel aus Ghana, wo die Menschen morgens lieber an den Strand gehen als die Toiletten in der Nähe zu nutzen. Als ich die kleinen dunklen, schlecht belichteten Latrinen sah, konnte ich verstehen, warum viele Menschen nicht dorthin gehen wollen. Einfach nur eine Toilette oder Latrine zu bauen, reicht nicht.

Generell gilt: Wenn wir alle Sanitärprobleme auf der Welt lösen, würde das nicht sämtliche Entwicklungsprobleme lösen. Aber auch das Gegenteil ist der Fall: Man kann die Entwicklungsherausforderungen nicht meistern, wenn man sich nicht mit der Sanitärversorgung befasst.“

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