Die Nachrichtenlage ist derzeit oft deprimierend. Die globale Pandemie hält uns in Atem, ebenso Wirtschaftskrise und der aufflammende Populismus. In dieser Zeit suchen viele Menschen nach Ablenkung – am liebsten vor dem Bildschirm. Doch was schaut man sich an? Eine Dokumentation über relevante Gesellschaftsfragen oder doch eher eine Superhelden-Serie?

Beim Filmfestival „NaturVision“ ist man sich sicher: In Zeiten des Wandels wollen Menschen informative Dokumentarfilme sehen. Jetzt, da so viele sicher geglaubte Wahrheiten ins Wanken geraten, seien viele Menschen offen für Lösungsansätze und Perspektivwechsel, meint Festivalleiter Ralph Thoms. Und Filme dafür ein wirkungsvolles Medium. „Ein sehr großer Teil der Filme, die wir in diesem Jahr zeigen, beschäftigt sich mit dem Wandel. Damit, wie wir Menschen und wie die Natur mit Veränderungen umgehen und wie wir die Zukunft gestalten“, sagt Thoms. In diesem Sinne sei das Festival auch über den Naturschutz hinaus sehr aktuell: „Ich glaube, es drängt sich derzeit besonders vielen Menschen auf, über unseren Umgang mit der Welt nachzudenken.“ Und dazu, so hofft Thoms, laden die Filme des Festivals ein.

© The Man Who Planted A Forest / NaturVisionJeden Morgen pflanzte ein Junge im indischen Assam einen Baum – "The Man Who Planted A Forest" zeigt, was vierzig Jahre später daraus wurde
© The Man Who Planted A Forest / NaturVision

Jeden Morgen pflanzte ein Junge im indischen Assam einen Baum – "The Man Who Planted A Forest" zeigt, was vierzig Jahre später daraus wurde

© The Man Who Planted A Forest / NaturVision

Hält das Elektroauto den Klimawandel auf? Kann ein einzelner Mensch eine Wüste begrünen? Wie viel Plastikmüll steckt in unseren Körpern? Die ausgewählten Dokumentarfilme gehen diesen Fragen in der Atacama-Wüste Chiles nach, sie begleiten Protagonisten in Indien und zeigen Menschen, die der Umweltverschmutzung in ihren eigenen Zellen auf der Spur waren. Lang- und Kurzfilme wie Kann das Elektroauto die Umwelt retten?“ von Valentin Thurn und Florian Schneider, „The Man Who Planted a Forest“ von Jaidev Singh und „Das Jenke Experiment“ von Jenke von Wilmsdorff und seinem Team regen dazu an, die Debatten um Klimawandel, Umweltzerstörung und die Verantwortung des Einzelnen zu hinterfragen. Das mag nicht immer leichte Kost sein. Aber anders als jeder Unterhaltungsfilm schaffen es viele der Festivalfilme, Hoffnung zu verbreiten. Wenn Jadav Payeng entgegen aller Widerstände im westindischen Bundesstaat Assam einen vitalen, 550 Hektar großen Wald pflanzt und damit weltweit Menschen inspiriert, es ihm nachzumachen – vielleicht kann auch ich etwas verändern?

Um das Festival in diesem Pandemie-Jahr überhaupt zu ermöglichen, musste das Organisationsteam improvisieren: Vom 16. bis zum 23. Juli wird das Festival in diesem Jahr nicht wie bisher in Spielstätten in Ludwigsburg, sondern im Internet stattfinden. Während andere Filmfestivals abgesagt wurden, geht das „NaturVision“-Festival damit neue Wege. „Unsere Filme sind Teil des gesellschaftlichen Diskurses – wir können sie nicht einfach ein Jahr lang in der Schublade liegen lassen. Dafür sind die Themen zu wichtig“, sagt Thoms.
 

© Das Jenke Experiment / NaturVision<p>Jenke von Wilmsdorf möchte in "Das Jenke Experiment" per Selbstversuch herausfinden, was Plastik im Körper verursacht</p>
© Das Jenke Experiment / NaturVision

Jenke von Wilmsdorf möchte in "Das Jenke Experiment" per Selbstversuch herausfinden, was Plastik im Körper verursacht

Tatsächlich befassen sich viele der Filme mit aktuell heiß diskutierten Fragen und möglichen Lösungsansätzen: Was braucht es, damit die Verkehrswende wirklich gelingt? Wie retten wir kommende Generationen vor der Plastikflut? Wer muss zu Wort kommen, wenn es um die Abschaltung von Kohlekraftwerken in Deutschland geht? Letztere Frage wird eindrücklich in dem Film „Zwischen Kohle und Klima“ von Johanna Jaurich beleuchtet, in dem eine Klimaaktivistin, ein RWE-Ingenieur und eine Lausitzer Anwohnerin porträtiert werden. Der Film beschreibt, welche gegensätzliche Perspektiven in der Debatte um den Kohleausstieg aufeinanderprallen, begleitet Tagebau-Erstürmungen, RWE-Mitarbeiter bei Diskussionen in der Kantine, Tagebau-Nachbarn beim Besuch der Grube. Wer hat Recht, wessen Sorgen mehr Gewicht? Der Film rückt das Ringen im Hambacher Wald, am Rand des Tagebaus im Rheinland oder in der Lausitz unmittelbar an die Zuschauer heran.

Wer sich für acht Euro einen Festival-Pass kauft, kann online alle 130 nominierten Filme ansehen – und darüber hinaus auch an einem kostenfreien, digitalen Rahmenprogramm teilnehmen, das Vorträge, Online-Seminare, Videointerviews und Science-Slams umfasst. Es gibt außerdem ein besonderes Programm für Schulklassen, dass es LehrerInnen ermöglicht, die Dokumentarfilme ins Homeschooling zu integrieren und die Filminhalte mit Arbeitsmaterialien aufzugreifen. Schon jetzt zeige sich für das Festivalteam, dass neue Wege wie das Online-Festival große Vorteile mit sich bringen, sagt Leiter Thoms. „Wir sind überzeugt, dass sich das Umdenken lohnt“, sagt er. Bei der Organisation von Filmfestivals ebenso wie in der großen, weiten Welt.