Wie bewegt man Gesellschaft und Politik dazu, Klimaschutz ernst zu nehmen? Man wählt Abgeordnete und Parteien, die sich für das Klima stark machen. Oder man geht auf Demonstrationen, übt zivilen Ungehorsam und blockiert Kohlekraftwerke. Oder: Man bringt die Volksvertreter vor Gericht.

So wie Silke Backsen. „Niemand steht morgens auf und sagt: Ich verklage die Bundesregierung“, sagt die Landwirtin vom Bio­hof „Edenswarf“ auf der Nordseeinsel Pellworm. „Aber wenn wir jetzt nichts tun, dann geht alles kaputt. Deshalb nehmen wir jetzt die in den Blick, die an den Stellschrauben sitzen.“ Seit vielen Jahren erschweren Wetterextreme die Rinderhaltung und den Getreideanbau. Vergangenes Jahr ließ der Starkregen die Insel wie eine Suppenschüssel volllaufen. „Unserer Felder soffen ab und das Grünland war danach nicht mehr zu gebrauchen“, sagt Backsen. „Und danach kam der Dürresommer.“

Wie verbindlich sind Klimaschutzziele?

Nun klagte sie gemeinsam mit ihrer Familie, zwei weiteren Landwirten und Greenpeace dagegen, dass die Regierung nicht genug gegen den Klimawandel unternimmt. Die Bundesregierung hat seit 2007 eine Reduktion der Treibhausgase bis 2020 um 40 Prozent im Vergleich zu 1990 angekündigt. Doch passiert ist zu wenig: Deutschland ist vom Anderthalb-Grad-Ziel noch immer weit entfernt, im Klimaschutz-Index ist die Bundesrepublik auf Rang 27 abgerutscht: Nach einer neuen Studie des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung im Auftrag von Greenpeace wird das Klimaziel von 2020 mit den bisherigen Maßnahmen erst rund fünf Jahre später erreicht werden. Die Regierung hat das Ziel kurzerhand auf 2030 verschoben, das im Koalitionsvertrag vereinbarte Klimaschutzgesetz lässt weiter auf sich warten.

Letzteres machte die Klage von Silke Backsen und ihren Mitstreitern besonders schwierig: Statt gegen einen Gesetzesverstoß klagen sie auf die Einhaltung einer Norm. Die Bundesregierung habe das Klimaschutzziel zu einem verbindlichen Rechtsakt gemacht, indem sie es immer wieder in Kabinettsbeschlüssen bekräftigt habe, so der Anwalt Séverin Pabsch von der Kanzlei Günther, die den Fall vor Gericht vertreten. Die Frage ist also, ob es sich beim Klimaschutzziel 2020 um einen justiziablen Rechtsakt handelt.

Gescheitert, doch die Grundsatzfrage bleibt unbeantwortet

Nun wurde deutlich: Die Richter sehen das nicht so. Sie wiesen die Klage ab: Der Vorsitzende Richter Hans-Ulrich Marticke erklärte, dass die Maßnahmen der Regierung nicht als völlig unzureichend zu bewerten seien – 33 Prozent Emissionsminderung würden voraussichtlich bis 2020 erreicht, die angepeilten 40 Prozent mit einigen Jahren Verspätung auch. Zudem habe der Kabinettsbeschluss zum Klimapaket vom September die alten Beschlüsse überholt – man könne sich also nicht auf die alten Ziele der Bundesregierung als rechtlich bindend beziehen, wenn neue gesetzt wurden. „Wir müssen die Handlungsspielräume der Exekutive respektieren“, sagte Marticke.

Sind Backsen und ihre Mitkläger damit gescheitert? Die regionalen Auswirkungen des Klimawandels seien mittlerweile klar nachweisbar, erklärt Alexander Nauels von der Organisation Climate Analytics, der die Klage wissenschaftlich begleitete. Jede der drei Familien wurde als Fallbeispiel ausführlich untersucht, um die negativen Auswirkungen des Klimawandels auf ihre Betriebe und ihr Leben vor Gericht darlegen zu können. Ihre Betroffenheit ist klar bewiesen, so Nauels – doch was folgt daraus für die politische Umsetzung der Klimaschutzziele? „Wir sind nicht naiv – wir wissen, dass unsere Insel, die durchschnittlich einen Meter unter dem Meeresspiegel liegt, besonders anfällig für den Anstieg der Ozeane ist“, sagt Backsen. „Und viele Menschen im globalen Süden sind schon jetzt viel schlimmer betroffen.“ Sie klagte nicht auf Schadensersatz, sondern auf die Einhaltung der Ziele, die die Bundesregierung vor zwölf Jahren ausgab. Die Grundsatzfrage bleibt also: Lässt sich Klimaschutz einklagen? Allein die Aufmerksamkeit für ihren Fall, gescheitert hin oder her, stärkt Backsens Argumentation – und die vieler anderer weltweit.

Bislang 900 Klimaprozesse, manche davon mit Erfolg

Denn die Klima-Klage ist nur eine von vielen, die in den letzten Jahren Aufmerksamkeit erregt hat: Laut UNEP, dem Umweltprogramm der UNO, liegen in 24 Ländern fast 900 Klagen vor, bei denen es um das Klima geht. Für Schlagzeilen sorgte etwa 2018 das Urteil eines Zivilgerichts in den Niederlanden, mit dem die Regierung in Den Haag verpflichtet wurde, den Ausstoß von Treibhausgasen bis 2020 um 25 Prozent zu reduzieren.

Im Mai letzten Jahres hatten zehn Familien aus fünf EU-Ländern, Kenia und Fidschi gegen die EU Klage eingereicht: Ihre Klimaziele seien nicht ambitioniert genug und verletzten ihre Grundrechte. Die Klage wurde im Mai 2019 als unzulässig abgewiesen.

In Deutschland hatten Umweltverbände wie der BUND mit der Unterstützung von Prominenten im November 2018 eine Verfassungsklage gegen die deutsche Klimapolitik erhoben. Das Gericht hat im August 2019 Bundesregierung, Bundestag und Bundesrat aufgefordert, bis Mitte November Stellung zu nehmen.

Es geht um die Glaubwürdigkeit der Klimapolitik

Die Anwältin Roda Verheyen, die schon die Klage beim Gericht der Europäischen Union in Straßburg eingereicht hat und einen peruanischen Bauern gegen RWE vertritt, ist ebenfalls Mitglied der Kanzlei Günther, die mit den Bauernfamilien von Pellworm vor Gericht zieht. Gegenüber Greenpeace sagte Verheyen: „Die Klägerfamilien fordern das Versprechen der Bundesregierung ein, das Klimaschutzziel 2020 umzusetzen.“ Eine simple Forderung, die die Glaubwürdigkeit der Klimapolitik auf die Probe stellt.

Auch wenn die Klage abgewiesen wurde – den juristischen Weg gegen die Klima-Ignoranz der Politik werden wohl noch viele einschlagen. Mehr Klimaschutz lässt sich nur mit mehr Aufmerksamkeit für die Sache erzielen. Der Prozess vor dem Verwaltungsgericht in Berlin wurde von rund hundert Demonstranten begleitet. Der Richter eröffnete die Verhandlung mit der Bemerkung, einen solchen Andrang habe es in der 25-jährigen Geschichte des seines Gerichts noch nicht gegeben.