Bilder von Menschenmassen wird es an diesem Freitag wohl nicht geben. Als Fridays for Future (FFF) vor einem Jahr zum „größten globalen Klimastreik aller Zeiten“ aufrief, folgten dem Ruf Millionen Menschen auf der ganzen Welt. Demonstrationszüge wälzten sich durch die Innenstädte, allein in Berlin gingen nach Angaben der AktivistInnen 270.000 Menschen auf die Straße. Ihren diesjährigen Aufruf zum Streik am Freitag haben FFF optimistisch mit dem Hashtag #allefürsklima versehen – es wäre allerdings auch in ihrem eigenen Interesse, wenn nicht alle kämen.

Denn Massenveranstaltungen sind für die Verbreitung des Corona-Virus der ideale Nährboden. Die jüngsten Demonstrationen gegen die Corona-Auflagen in Deutschland gerieten nicht nur wegen ihrer inhaltlichen Ausrichtung und der Begleitung von Rechtsextremen in die Kritik, sondern auch wegen der Missachtung der Hygienevorschriften. Selbst wenn die FFF-AktivistInnen verantwortungsvoller protestieren wollen, können sie die Einhaltung der Auflagen für tausende DemonstrantInnen nicht garantieren. Die Frage bleibt: Sind Massenveranstaltungen jetzt, da die Corona-Zahlen weltweit wieder steigen, überhaupt zu verantworten?

„Wir sind uns unserer Verantwortung im Klaren und verhindern Infektionen auf unseren Demos“, sagt Annika Rittmann von FFF Hamburg. Schon seit dem Beginn der Pandemie hätten die AktivistInnen in Abstimmung mit VirologInnen auf die jeweiligen Städte abgestimmte „seitenlange Infektionsschutzkonzepte“ ausgearbeitet. „Wir können zeigen, dass auch jetzt Protest möglich ist“, sagt sie. Die Teilnehmerzahlen werden vielerorts auch von Seiten der Städte begrenzt, so schrieb die Stadt Hamburg den AktivistInnen erst heute eine Beschränkung auf 2000 TeilnehmerInnen vor. Das will sich FFF nicht gefallen lassen: „Da wir eine Corona-konforme Demo garantieren können, werden wir gegen die Beschränkung gerichtlich vorgehen“, kündigt Rittmann an.

Im Corona-Hotspot München hingegen sagten die AktivistInnen die für dort geplante Demonstration ab. Dort waren die Werte zuletzt über die kritische Grenze von 50 Neuinfektionen pro 100.000 EinwohnerInnen binnen einer Woche gestiegen. „Trotzdem werden wir auch dort den Streik auf die Straße tragen“, sagt Annika Rittmann. Geplant sei, mit einer Menschenkette unter Berücksichtigung des Infektionsschutzes den Schriftzug „#KeinGradWeiter“ zu bilden, zugelassen seien dafür maximal 500 Menschen.

Für die anderen Städte gilt: Alle Teilnehmenden müssen eine Maske tragen und anderthalb Meter Abstand zueinander einhalten. Den Abstand will FFF mit kreativen Protestformen gewährleisten: „So veranstalten wir in Teilen Sitzstreiks mit aufgemalten Punkten sowie Fahrraddemos und Laufdemos in kleinen Blöcken“, erklärt Rittmann. Demonstrationszüge würden dieses Jahr in mehrere kleinere Zubringerdemos aufgespalten, in mehreren Städten werde es statt einer zentralen Kundgebung zehn kleine Kundgebungen geben.

Greenpeace hat zehn Tipps zusammengetragen, wie auch in Zeiten der Pandemie sicher demonstriert werden kann. Darin rät die Umweltorganisation unter anderem dazu, mit dem Fahrrad statt mit öffentlichen Verkehrsmitteln zur Demo anzureisen, um Menschenansammlungen zu vermeiden. Und sie rät zur Stille. „Am besten verbreiten sich Aerosole, wenn man ruft oder schreit. Deswegen solltest du dies auf Demos vermeiden“, schreibt Greenpeace. Stattdessen sollten die DemonstrantInnen visuell mit Plakaten laut werden.

Die Klimastreiks in deutschen Städten werden also befremdlich aussehen – in von der Pandemie härter getroffenen Ländern wird es hingegen gar keine Demonstrationen geben. Ein Blick auf die Aktionskarte von FFF zeigt, dass die meisten Streiks – rund 350 – in Deutschland stattfinden werden. In Spanien hingegen, dem europäischen Land mit den meisten Infektionen, wird es keine Demos geben.

Der Klimastreik fällt in eine wichtige Zeit politischer Weichenstellung: Vergangene Woche erst hatte EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen in ihrer ersten Rede zur Lage der EU das Klimaziel für 2030 verschärft. Nach ihrem Willen solle der Ausstoß von Treibhausgasen bis dahin um 55 Prozent im Vergleich zu 1990 reduziert werden. Aktuell sind nur 40 Prozent vorgesehen. Das neue Ziel muss sowohl vom Europaparlament als auch vom Ministerrat angenommen werden. Das Parlament will sich im Oktober auf eine Zahl festlegen – als möglich gilt, dass es sich sogar für 65 Prozent aussprechen wird. Das fordern auch die Grünen und Umweltverbände. Gestützt werden sie von einer Studie des Brüsseler Beratungsunternehmens Climact, die zeigte: Sowohl 55 als auch 65 Prozent Reduktion bis 2030 sind realistisch. Für Letzteres seien eine massive Förderung von neuen Technologien und tiefergehende Veränderungen des Lebensstils nötig.

Während die EU noch mit ihren Zielen ringt, überraschte diese Woche China den Rest der Welt mit dem Vorhaben, den Höhepunkt seiner CO2-Emissionen vor 2030 zu erreichen und CO2-Neutralität vor 2060. Das wäre zwar immer noch zehn Jahre nach der EU, die 2050 klimaneutral sein will – wird aber dennoch als Erfolg der klimapolitischen Verhandlungen gewertet.

Auf der Weltkarte, auf der FFF die Klimastreiks einträgt, herrscht in China gähnende Leere. Nur eine Markierung kündigt eine Demonstration an: Und zwar in Hongkong, wo gerade erst der Demokratieaktivist Joshua Wong festgenommen und kurze Zeit später wieder freigelassen wurde. Der Klimastreik hat dort auf Facebook bislang drei Zusagen.

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