Es ging Katja Kipping nicht um den Klimaschutz, als sie vor Kurzem forderte, flächendeckend die Viertagewoche einzuführen. Nein, es ging ihr um „glücklichere, gesündere und produktivere“ Menschen. Das wäre nämlich der Effekt, wenn sie einen Tag in der Woche weniger arbeiten würden, so die Vorsitzende der Linkspartei. Die Corona-Krise sei genau der richtige Zeitpunkt für so eine strukturelle Veränderung.

Vielleicht kann sie damit an die Begeisterung anknüpfen, die die finnische Ministerpräsidentin Sanna Marin Anfang des Jahres auslöste, als sie sich – vermeintlich – für vier Tage Arbeit pro Woche und sechs Stunden pro Tag aussprach. Die deutsche Presse überschlug sich förmlich, die Bild-Zeitung etwa vermeldete den „Job-Hammer im Norden“. Allerdings handelte es sich um eine Falschmeldung, wie die finnische Regierung wenig später irritiert klarstellte. Marin hatte die Viertagewoche lediglich erwähnt, und zwar einige Monate vorher, in ihrer damaligen Funktion als Verkehrsministerin. Eins hat die Falschmeldung aber gezeigt: Weniger Arbeit begeistert.

Katja Kipping ist es nun ernst mit ihrem Vorschlag. In einem Positionspapier erläutert sie gemeinsam mit dem Europaabgeordneten Martin Schirdewan und der Berliner Abgeordneten Katalin Gennburg ihre Beweggründe: Es sind die neuen digitalen Technologien, in denen sie eine Chance auf Arbeitserleichterung sehen. Sie sollten nicht „zur Verdichtung von Arbeit, zur Erhöhung des Stresses, zur verstärkten Kontrolle durch das Management, zur Verlagerung von Tätigkeiten auf tariflose Subunternehmen und zum Druck auf Tarifstandards, Löhne und Arbeitsbedingungen führen“. Stattdessen: dreißig Stunden arbeiten, aber weiterhin vierzig bezahlt bekommen. Finanziert werden solle das zunächst über den Staat, der nach Vorstellung der Linken ein Jahr lang ein neues Kurzarbeitergeld zahlen würde. Danach sollten die Unternehmen die Lohnkosten tragen.

Unterstützung bekommt die Linke von der IG Metall. Die Gewerkschaft sieht in der Viertagewoche ein wirksames Mittel gegen Arbeitslosigkeit. „Damit lassen sich Industriejobs halten, statt sie abzuschreiben“, so der Vorstandsvorsitzende Jörg Hofmann. Der feine Unterschied: Die Gewerkschaft kann sich diesen Schritt nur vorstellen, wenn den Angestellten dann auch entsprechend weniger Geld gezahlt wird – Lohnausgleich nennt sich das. Auch Bundesarbeitsminister Hubertus Heil (SPD) und der Präsident des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung, Marcel Fratzscher, zeigten sich jüngst offen für solch eine Lösung. Weniger arbeiten statt mehr Geld – laut einer Umfrage der Gewerkschaft Ver.di würden sich dafür mehr als die Hälfte der Beschäftigten im öffentlichen Dienst in Deutschland entscheiden.

Die Viertagewoche würde nicht nur die Kräfte der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer schonen, sondern auch das Klima. Einen Beleg dafür lieferte die amerikanische Soziologin Juliet Schor schon vor Jahren. Sie verglich die durchschnittlichen Arbeitsstunden und Emissionen verschiedener Länder und stellte fest: Wo mehr gearbeitet wird, wird auch das Klima stärker belastet. Das Political Economy Research Institute der Universität Massachusetts rechnete 2012 aus, dass eine um nur zehn Prozent reduzierte Arbeitszeit den CO2-Fußabdruck schon um 14,6 Prozent senken würde. In ihrer Studie erklären die Wissenschaftler auch, warum Menschen mit mehr Freizeit nicht etwa mehr klimaschädliche Dinge tun: „Haushalte mit weniger Zeit und mehr Geld werden sich für zeitsparende Aktivitäten und Produkte entscheiden, wie zum Beispiel schnelleren Transport“, schreiben sie. „Es scheint so zu sein, dass Aktivitäten mit geringen Auswirkungen typischerweise zeitaufwändiger sind.“ Es wäre zum Beispiel umweltfreundlicher etwas zu reparieren, anstatt es zu ersetzen. Menschen, die wenig Zeit aber mehr Geld haben, werden sich aber für die Neuanschaffung entscheiden – und Menschen mit mehr Zeit und weniger Geld für die Reparatur.

© picture-alliance / akg-imagesMit diesem Plakat warb der Deutsche Gewerkschaftsbund in den Fünzigerjahren für eine Fünftagewoche. Bis dahin war es etwa für Bergleute und Metallarbeiter normal, sechs Tage die Woche arbeiten zu müssen
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Mit diesem Plakat warb der Deutsche Gewerkschaftsbund in den Fünzigerjahren für eine Fünftagewoche. Bis dahin war es etwa für Bergleute und Metallarbeiter normal, sechs Tage die Woche arbeiten zu müssen

Einen Beweis für diese Theorie lieferte Frankreich, als es im Jahr 2000 die 35-Stunden-Woche einführte. Nach fünf Jahren gaben die meisten Franzosen an, dass sie ihre neue Freizeit weniger für energieintensive Tätigkeiten wie Reisen und Konsum nutzten, sondern mehr für Familie, Entspannung und Sport. Sie kümmerten sich außerdem mehr um ihre Häuser und Gärten.

Wie weit Deutschland seine Vollzeit-Arbeitsstunden reduzieren müsste, um allein damit das Zwei-Grad-Ziel des Pariser Klimaabkommens einzuhalten, rechnete Philipp Frey vom Zentrum Emanzipatorische Technikforschung zusammen mit dem britischen Thinktank Autonomy aus. Sein Ergebnis: Die deutsche Arbeitswoche dürfte nur sechs Stunden dauern. Im vergleichsweise klimafreundlicher wirtschaftenden Schweden müsste die Arbeitszeit auf zwölf Stunden pro Woche gesenkt werden, in Großbritannien auf neun. „Diese Ergebnisse implizieren, dass ohne enorme Fortschritte bei der Kohlenstoffeffizienz eine Verkürzung der Arbeitswoche um zum Beispiel nur einen Tag allein nicht ausreichen würde, um die Emissionen auf ein nachhaltiges Niveau zu senken“, schreibt Frey. Er stellt seine Arbeit in einen historischen Kontext und verweist auf den Franzosen Paul Lafargue, der schon in den 1880ern einen Drei-Stunden-Arbeitstag gefordert hatte, und damit einhergehend das „Recht auf Faulheit“. Die Klimakrise konfrontiere uns nun mit „der Notwendigkeit, faul zu sein“.

Natürlich ist es illusorisch, die Erderwärmung allein über weniger Arbeit in den Griff bekommen zu wollen. Aber eine reduzierte Arbeitszeit kann Teil der Lösung sein. In Großbritannien formierte sich mit diesem Ziel die „Four Day Week“-Kampagne, in Deutschland setzt sich die Arbeitsgruppe Alternative Wirtschaftspolitik des Netzwerks Attac dafür ein. Und es gibt Unternehmen, die es längst ausprobieren: Microsoft etwa gab Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern in Japan im Sommer vergangenen Jahres einen Monat lang jeden Freitag frei. Der Standort wurde dadurch nicht schwächer, sondern ganz im Gegenteil um vierzig Prozent produktiver im Vergleich zum gleichen Zeitraum im Vorjahr. Ein ähnlicher Test des neuseeländischen Finanzdienstleisters Perpetual lief so gut, dass das Unternehmen die kürzeren Arbeitszeiten bei voller Bezahlung zur Norm machte. Als Göteborg von 2015 an zwei Jahre lang eine reduzierte Arbeitszeit bei vollem Gehalt in kommunalen Krankenhäusern und Altenheimen testete, sei das Personal zwar gesünder, lebensfroher und produktiver gewesen – das Experiment wurde dennoch beendet, weil es zu teuer war.

Der goldene Weg muss also noch gefunden werden. Eine kürzere Arbeitszeit wäre im Übrigen aber gar nicht so revolutionär, sondern im Grunde ein Fortschreiben der Geschichte: Im 19. Jahrhundert waren Siebzig-Stunden-Wochen noch die Regel, und bis Mitte des letzten Jahrhunderts war nur der Sonntag ein freier Tag. Unter dem Slogan „Samstags gehört Vati mir“ hatte der Deutsche Gewerkschaftsbund 1955 für die Fünf-Tage-Woche geworben. Ab 1959 durften Bergleute samstags zu Hause bleiben, ab 1967 die Arbeiter der Metallindustrie. Den Slogan für einen freien Freitag gibt es im Grunde schon: „Fridays for Future“ – Freitage für eine Zukunft.

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