Im Himmel herrscht Hochbetrieb. Noch nie durchkreuzten ihn so viele Flugzeuge wie heutzutage. Im Vergleich zu 1997 steigen heute jedes Jahr fast doppelt so viele Menschen in Deutschland in ein Flugzeug: 119 Millionen Passagiere. Das sind mehr Menschen, als in Deutschland wohnen. An dieser Entwicklung scheint die von allen Seiten bekundete Flugscham wenig zu ändern. Das zeigt auch eine Prognose des Flugzeugherstellers Boeing, der zufolge sich das Luftfahrtvolumen in den nächsten zwei Jahrzehnten verdoppeln wird. Die Europäische Agentur für Flugsicherheit, die Europäische Umweltagentur und die Europäische Organisation zur Sicherung der Luftfahrt rechnen etwas konservativer: Sie gehen in einem gemeinsamen Bericht davon aus, dass der Luftverkehr bis 2040 um 42 Prozent gegenüber 2017 ansteigen wird.

Videokonferenzen? Nein, Danke

Die Flugzeuge transportieren längst nicht nur Urlauber auf Ferieninseln. In Deutschland sind laut dem Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt 15 Prozent der Flugzeugpassagiere Geschäftsreisende. In vielen Branchen gehören internationale Meetings zum Alltag – morgens von Berlin nach London, abends wieder zurück. Selbst in näher gelegene Städte lassen viele Unternehmen ihre Angestellten per Flugzeug reisen, weil es Zeit und in den meisten Fällen auch Geld spart. Auch der Politikbetrieb hat einen hohen Anteil am Flugverkehr, und damit sind nicht einmal die Fernreisen der Spitzenpolitiker in Privatjets gemeint: Allein letztes Jahr verzeichneten alle Ministerien 230.000 dienstliche Inlandsflüge, das sind 630 am Tag. Ein Grund dafür ist, dass alle Ministerien noch immer einen zweiten Standort in der ehemaligen Hauptstadt Bonn unterhalten. Flüge zwischen Köln/Bonn und Berlin machten fast die Hälfte aller Flüge von Mitarbeitern der Bundesministerien und ihren nachgeordneten Behörden aus. Dem gegenüber standen nur 26.661 Bahnfahrten, Fahrten mit einer Bahncard 100 nicht eingerechnet.

Dass die Geschäftsreisenden auf kurzen Strecken auf Züge umsteigen könnten, ist der eine Punkt, dass einige Dienstreisen gar nicht nötig sind, der andere. Denn so leicht es mittlerweile geworden ist, die Welt per Flugzeug zu bereisen, so leicht ist es auch geworden, international per Telefon- oder Videokonferenz zu kommunizieren. Doch offensichtlich scheint die bessere Vernetzung nicht dazu beizutragen, dass die Zahl der Geschäftsreisen sinkt. Ganz im Gegenteil: Laut einem Geschäftsreise-Barometer von American Express Global Business Travel, einem Dienstleister für die Organisation von Geschäftsreisen, werden von Jahr zu Jahr mehr Dienstreisen unternommen. Das Barometer listet auch auf, nach welchen Kriterien die Unternehmen ihre Reisen planen: Umweltverträglichkeit taucht dabei nicht auf.

Stufenprogramm zum Flug-Entzug

Stephanie Keilholz und Philipp Stakenborg wollen das ändern: Mit ihrer sozialökologischen Kreativagentur „Das Gute Ruft“ traten sie diesen Sommer in einen einmonatigen Klimastreik, um in der Auszeit eine Kampagne für ökologische Geschäftsreisen ohne Flugzeuge zu entwickeln. Wer Teil der Kampagne „Loving the Atmosphere“ sein möchte, muss sich dazu verpflichten, seine beruflichen Flugreisen zu reduzieren: Stufe eins bedeutet keine Inlandsflüge mehr, Stufe zwei schließt auch Nachbarländer mit ein und Stufe drei schließt Flugzeuge für Geschäftsreisen komplett aus. Wer sich zu einem der drei Schritte verpflichtet, darf mit einem dafür entworfenen Logo auf seiner Homepage werben. „Wir wollten die Möglichkeit schaffen, dass Unternehmen sichtbar machen können, wenn sie auf Flüge verzichten“, sagt Stephanie Keilholz dem Greenpeace Magazin. 

Inzwischen hat eine Reihe von Unternehmen die Selbstverpflichtung unterschrieben, darunter etwa das Kölner Musiklabel „Feines Tier“. „Mit denen haben wir von Anfang an zusammengearbeitet, um möglichst viele DJs an Bord zu bekommen“, so Philipp Stakenborg. Geschäftsreisende tragen nämlich keineswegs immer Anzug und Aktentasche – DJs und Bands sind für Konzerte auch viel unterwegs. „Es sind schon einige DJs dabei“, sagt Stakenborg. „Von denen wählen viele nun den Zug statt des Flugs.“ 

Faustformel: Eine Stunde Aufenthalt pro zehn Kilometer Anreise

Die Kampagne ist mehr als Impulsgeber denn als große Zeitenwende zu sehen: Noch haben keine großen Unternehmen die Selbstverpflichtung unterschrieben. Und ob die Unterschreiber diese dann auch einhalten, können Keilholz und Stakenborg letztlich nicht kontrollieren.

Die beiden Kampagnengründer haben sich für ihre eigenen Berufsreisen eine Formel entwickelt: Pro zehn Kilometer Anreise rechnen sie eine Stunde Aufenthalt ein. Das macht für eine Fahrt von 600 Kilometern sechzig Stunden Aufenthalt, also knapp drei Tage. Die versuchen sie mit weiteren beruflichen Terminen zu verplanen, damit sich die lange Anfahrt lohnt. Wenn sie also eine Konferenz in Berlin besuchen, verabreden sie sich an den anderen Tagen mit ihren Kunden vor Ort oder lassen ihr Netzwerk über Social Media wissen, dass sie in der Stadt und für Treffen verfügbar sind. Positiver Nebeneffekt: weniger Reisestress.