Liebe Leserinnen und Leser,

zu den wohl traurigsten Anblicken während der ersten Phase der Corona-Kontaktbeschränkungen im Frühjahr zählten die verwaisten, mit rotweißem Flatterband abgesperrten Spielplätze, und die knallbunte, aufgeregt schnatternde Wolke von Kita-Kindern, die hier normalerweise in Begleitung ihrer Erzieherinnen regelmäßig die Straße entlang Richtung Spielplatz zieht, hat mir ebenso gefehlt wie der Laternenumzug am Martinstag, der in diesem Jahr natürlich ausgefallen ist.

Auch wenn ich selbst nicht betroffen bin, verfolge ich die Diskussion rund um Schulen und Kitas. Offen oder zu, Präsenz- oder Fernunterricht, Masken ja oder nein, ganze Klassen oder halbe – hoffentlich hat irgendwer noch den Überblick. Die Positionen sind für eine neutrale Beobachterin im Prinzip nachvollziehbar. Die der Lehrkräfte, die zum einen Angst vor Ansteckung haben und zum anderen gegen die Windmühlenflügel der Kultusbürokratie kämpfen. Die der Eltern, denen teilweise auch mulmig ist, die andererseits aber auch möchten, dass ihre Kinder zur Schule oder in die Kita gehen. Und die der Kinder, die sich sicher freuen, wenn sie mal schulfrei oder Ferien haben, aber wohl eher weniger, wenn das monatelang andauert.

Geht man nach verbalen Bekundungen, herrscht Einigkeit, dass – Bildung ist ja ein kostbares Gut – die Schulen weiter geöffnet sein und die Fenster regelmäßig weit geöffnet werden sollen. Das nennt man Lüftungskonzept. Prüfungsfrage: Wovon wurden Behörden und Politik mehr überrascht, a) vom Hereinbrechen des Herbstes oder b) von den baulichen Gegebenheiten in etwa 100.000 Klassenräumen, deren Fenster sich gar nicht oder nur einen schmalen Spalt breit öffnen lassen?

In der Kreidezeit war keineswegs alles besser, aber manches war ganz ordentlich. Wenn ich mich recht entsinne, ließen sich während meiner gesamten Schulzeit in jedem Klassenzimmer die Fenster öffnen. Klar, weder Grundschule noch Gymnasium hätten Architekturpreise eingeheimst, Gebäude und Ausstattung waren weder schön noch luxuriös und augenscheinlich nach dem Motto „quadratisch, praktisch, was soll‘s“ errichtet. Aber es gab benutzbare Klos, Waschbecken, Seife und Handtuchspender. Das soll, hört man immer wieder voller Staunen, heute nicht an jeder Schule selbstverständlich sein, auch von Schimmel oder bröckelndem Putz ist öfter mal die Rede.

Aber leben wir denn nicht in einem der reichsten Länder der Welt? Hat nicht unser Finanzminister schon vor Monaten seine Bazooka in Stellung gebracht und versichert seither in Endlosschleife, es sei genügend Geld für so ziemlich alles da? Die notleidende Luftfahrtbranche, die darbende Autoindustrie und viele andere Unternehmen und Wirtschaftszweige bekommen Zuschüsse, Überbrückungshilfen, günstige Kredite, aber 1000 bis 3000 Euro für Luftfilter in Klassenräumen sind den dafür zuständigen Ländern zu teuer, oder ihr Nutzen wird bezweifelt – obwohl das Umweltbundesamt diesen bescheinigt. So kostbar ist die Bildung offenbar auch wieder nicht.

Doch auch auf diesem Sektor setzt die Pandemie Kreativität frei: Ein Team um Dr. Frank Helleis vom Max-Planck-Institut für Chemie in Mainz präsentiert eine Low-Tech-Lüftungsanlage, die 90 Prozent der fiesen Aerosole aus der Luft filtert. Kann von geübten Hobbybastlerinnen und -bastlern mit etwas Zeit, Teilen aus dem Baumarkt und Material aus dem Internet in Eigenregie gebaut werden, Tutorial folgt demnächst. Kostenpunkt: ungefähr 200 Euro. An einer Mainzer Grundschule wurde so eine Anlage bereits installiert. Die Kinder seien begeistert, sagt die Schulleiterin.

Das wird nun nicht alle Probleme lösen, ist aber ein schönes Beispiel dafür, was Eigeninitiative vermag, wenn der Staat seine Prioritäten falsch sortiert hat. Hoffen wir, dass Schule bald wieder was ganz Alltägliches wird mit blöden Mathelehrern, nervigen Englischvokabeln und Klimastreiks am Freitag. Und dass Kinder so reagieren wie Elliott, der junge Hauptdarsteller in dem Film E.T. Als dessen Bruder sagt, er möge seinem außerirdischen Freund klarmachen, dass sie jetzt in die Schule müssten, gibt Elliott zurück: „Wie willst du einer höheren Intelligenz erklären, was Schule ist?“

Unterschrift

Kerstin Eitner
Redakteurin