Liebe Leserinnen und Leser,

wann hat es bei Ihnen zuletzt geregnet? Ich meine: mehr als ein paar Tropfen? So ein richtiger Landregen, der die Felder wässert, die Wiesen und Parks? Sanft und ausdauernd? Die Allermeisten von Ihnen dürften bei der Antwort ins Grübeln kommen – wann war das gleich noch? Verstehen Sie mich jetzt bitte nicht falsch! Ich möchte nicht die Eitel-Sonnenschein-Stimmung kaputt machen, die Deutschland seit Wochen in leuchtende Frühsommerfarben taucht. Schon gar nicht so kurz vor dem Wochenende. Ich selbst gehe campen und habe auf einer persönlichen Ebene nichts dagegen, dabei trocken zu bleiben. Aber auf einer allgemeinen Ebene mache ich mir Sorgen.

Unsere Redaktion sitzt in Hamburg, wo kein Regen ja normalerweise Sonne genug ist. Wir sind Schietwetter gewohnt. Dass es bei uns am Dienstag geregnet hat, wäre also nicht der Rede wert. Allerdings war es das erste Mal in vier Wochen. Und der Regen währte nur kurz, kaum lange genug, um den Großstadtstaub aus der Luft zu waschen. Und erst recht nicht lange genug, um staubige Äcker in saftige Krumen zu verwandeln. Eben: ein paar Tropfen nur. Selbst im vermeintlich wasserverwöhnten Norden ist „Beregnungstechnik“ – nicht nur für Gemüse, nein, längst auch für Getreide in der Landwirtschaft ein gründlich diskutiertes Thema.

Rot, tiefrot

Bis vor nicht allzu langer Zeit lebten wir in Deutschland in dem Bewusstsein, ein wasserreiches Land zu sein. Wasserwerke fanden ihre Kundschaft zu sparsam und rieten den Menschen, ruhig öfter mal den Hahn aufzudrehen. In den Leitungen stehe sonst das Wasser, Keime und Korrosion könnten sich breit machen. Richtig verfangen haben solche Appelle zwar offenbar nie. Private Haushalte verbrauchen hierzulande 128 Liter pro Kopf und Tag – gut zwanzig Liter weniger als noch 1990. Allerdings zögerte zugleich kaum jemand den Rasen zu sprengen, wenn er welkte, oder den Pool neu zu befüllen, wenn das Wasser sich trübte. Diese Unbeschwertheit ist spätestens mit den Dürrejahren 2018 und 2019 verdunstet. Als Atom- und Kohlekraftwerke die Leistung drosseln mussten, weil Kühlwasser fehlte und ein großes Chemiewerk seinen Betrieb einschränkte, weil der Rhein nicht schiffbar war.

Nun könnte auch der Sommer 2022 wieder sehr trocken werden. Der tagesaktuelle Dürremonitor des Helmholtzzentrums für Umweltforschung in Leipzig verzeichnet bereits etliche rote und tiefrote Flächen („extreme“ und „außergewöhnliche“ Dürre) – nicht in Hamburg – aber in Berlin, großen Teilen Brandenburgs, Sachsen-Anhalts, vereinzelt auch im Nordosten und Süden. „Deutschland ist seit 2018 in einer Extremsituation, die es so im letzten Vierteljahrtausend nicht gegeben hat“, sagte der Klimaforscher Andreas Marx, der den Dürremonitor betreut, diese Woche dem Spiegel. Die „Defizite in der Bodenfeuchte“ hätten sich in manchen Landesteilen nie ganz aufgelöst. 

Der Wasserverlust ist real. Man kann ihn vom Weltraum aus sehen. Im Auftrag der Nasa und des Deutschen Zentrums für Luft- und Raumfahrt werten Hydrologinnen und Hydrologen Daten der Grace-Satelliten aus. Im März vermeldete Jay Famiglietti vom Global Institute for Water Security in Kanada einige Ergebnisse: „Deutschland hat in zwanzig Jahren Wasser im Umfang des Bodensees verloren“, sagte er. „Das ist unvorstellbar viel.“ Der Rückgang betrage etwa 2,5 Gigatonnen oder Kubikkilometer im Jahr. „Damit gehört es zu den Regionen mit dem höchsten Wasserverlust weltweit.“ Das sei auch für die Forschenden eine „schockierende Überraschung“ gewesen. Die Daten zeigten zudem „einen klaren Hinweis auf Dürrebedingungen, die vor etwa einem Jahrzehnt, begannen – im Jahr 2011“.

Auch die Aussichten sind leider zu trocken einerseits und zu nass andererseits: Der infolge der Klimakrise ebenfalls zunehmende Starkregen wird vor allem in Flüsse abfließen, prognostizieren die Hydrologen, und wenig Gelegenheit haben, in ausgedörrte Böden einzusickern und Grundwasserreservoirs aufzufüllen. 

Wasserstrategie marsch!

Vor einigen Tagen veröffentlichte die Weltorganisation für Meteorologie neue Daten zum Temperaturanstieg. Demnach könnte die globale Durchschnittstemperatur schon in den kommenden fünf Jahren zeitweise um mehr als 1,5 Grad über dem vorindustriellen Niveau liegen und damit das Ziel von Paris reißen. Die Wahrscheinlichkeit, dass dies bis 2026 mindestens einmal vorkommt, liege bei fast fünfzig Prozent. 

Und für den Fall, dass die Klimakrise nicht gebremst wird, rechnen Fachleute wenig überraschend mit noch mehr Trockenheit. „Eine globale Erwärmung um weitere drei Grad Celsius würde zum Beispiel für Teile Südwestdeutschlands gegenüber dem Zeitraum 1971 bis 2000 eine Verdoppelung der Zeiten unter Dürre bedeuten“, bemerkt die Helmholtz-Klimainitiative.

All das klingt wenig ermutigend. Aber den Menschen sind nicht die Hände gebunden. Die Sorge um knappe Wasserressourcen ist in öffentliche Wahrnehmung eingesickert und sorgt für Schlagzeilen. Nur zwei Beispiele: Im Landkreis Lüneburg verteidigte eine Bürgerinitiative das Grundwasser offenbar erfolgreich gegen Pläne des Coca-Cola-Konzerns, dort einen dritten Mineralwasserbrunnen zu bohren. Und in Grünheide bei Berlin, wo Teslas „Gigafactory“ aus unerfindlichen Gründen in ein Wasserschutzgebiet gebaut wird, klagen der Nabu und der Umweltverband Grüne Liga dagegen dagegen, dass Elon Musks Autowerk dieses Jahr zwei Millionen Kubikmeter mehr Wasser verschlingen soll, als vertraglich vereinbart. Streit ums Wasser hatte es in Grünheide ja schon zur Genüge gegeben.

Auch die Politik beginnt zu handeln. Seit dem vergangenen Jahr hat Deutschland eine nationale Wasserstrategie. Und in Brandenburg, Sachsen-Anhalt und Berlin wird über strengere Regeln für die Entnahme von Grundwasser diskutiert.

Fachleute fordern zum Beispiel auch, Moore wiederzuvernässen, um das Klima zu schützen oder den Fleischkonsum zu reduzieren, weil eine pflanzliche Ernährung erhebliche Mengen Wasser spart.

Klar ist jedenfalls: Mit traditionell deutschem Krämergeist am Wasserhahn allein werden wir das Problem nicht lösen. Deshalb werde ich jetzt noch die Balkonpflanzen gießen, bevor ich ins Wochenende fahre. Aber ich tue es mit Bedacht.

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