Liebe Leserinnen und Leser,

nun hat hier im Norden doch noch der Winter Einzug gehalten – meine Begeisterung hält sich in Grenzen, weil ich erstens längst aus dem Schlittenalter raus bin und zweitens das Radfahren bei Schnee, Eis und Matsch nicht besonders viel Spaß macht. Zum Glück taut es meist schnell, denn auf ordentlich geräumte Radwege legt die Stadt Hamburg keinen gesteigerten Wert.

Wer nun bibbernd fragt, wo denn der Klimawandel bleibt, könnte in der Studie eines Wissenschaftsteams um Thomas Slater von der Universität Leeds fündig werden. Demnach hat sich der globale Eisverlust zwischen 1994 und 2017 um 57 Prozent beschleunigt. 1,2 Billionen Tonnen Eis verliert die Erde mittlerweile jedes Jahr. Ein Eiswürfel mit einer Masse von einer Billion Tonnen hätte eine Kantenlänge von zehn Kilometern und wäre somit höher als der Mount Everest.

Nicht nur, aber vor allem beim arktischen Meer- und beim antarktischen Schelfeis gibt es große Verluste. Die Schmelzprozesse setzen eine Spirale von Veränderungen in Gang, unter anderem, weil das Meereis die Sonnenstrahlung nicht mehr in den Weltraum zurückreflektiert. Die Auswirkungen treffen nicht nur Menschen, Tier- und Pflanzenwelt in der Arktis, sondern letztlich uns alle.

Das ist nicht ganz neu, eher schon, dass inzwischen die Erkenntnis um sich greift, dass etwas passieren muss. Firmen, Städte, Regionen und Länder scheinen sich neuerdings einen Wettlauf zu liefern, wer zuerst klimaneutral ist – zumindest kündigen sie schon mal an, bis wann sie es geschafft haben wollen. Es passiert auch tatsächlich manches, nur müssen hier und dort unbedingt noch ein paar Bremsklötze weg.

Ein passendes Stichwort, denn wenn wir den Blick auf Deutschland richten, stellen wir fest: Vor allem der Verkehrssektor muss klimatechnisch definitiv noch nachlegen. Norwegen, wo im Oktober 2020 schon 60,8 Prozent aller Neuzulassungen Elektroautos waren, hat uns in der Hinsicht sauber abgehängt. Doch kaum redet hier mal jemand vom Ende des Verbrennungsmotors, erhebt sich großes Wehklagen, während man andernorts Ziele dafür definiert hat: Im Streberland Norwegen soll 2025 Schluss sein, in Großbritannien 2030 und in Kalifornien 2035.

Bitteschön, Kalifornien, könnt Ihr haben, sagte kürzlich General Motors. Der einst größte Automobilkonzern der Welt hat erklärt, ab 2035 keine benzingetriebenen Autos mehr verkaufen zu wollen – und auch keine SUVs wie den Chevrolet Suburban oder den Cadillac Escalade. Toyota, Fiat Chrysler und ein paar andere Hersteller zogen nach und versicherten, strengeren kalifornischen Vorschriften über Abgasemissionen und Spritverbrauch nicht länger im Weg stehen zu wollen. Wenn das kein U-turn ist, wie man in den USA eine 180-Grad-Wende nennt. Während der Amtszeit des abgewählten US-Präsidenten, dessen Name mir entfallen ist, sah das noch ganz anders aus.

Sogar die deutsche Autoindustrie scheint ganz allmählich in eine andere Richtung abbiegen zu wollen (das meistverkaufte Elektroauto in Norwegen war, nebenbei bemerkt, im letzten Jahr der VW ID.3). Und Wolf-Henning Scheider, Vorstandsvorsitzender des Autozulieferers ZF Friedrichshafen, erklärte diese Woche gelassen, seine Firma werde „keine neuen Produkte mehr entwickeln, die rein für Verbrennungsmotoren geeignet sind“.

Weiß das unser Verkehrsminister schon? Ich werde das Gefühl nicht los, dass die hartnäckigsten Ausbremser der Verkehrswende in der Politik zu finden sind. Noch im Dezember warnte die CDU/CSU-Bundestagsfraktion vor der Abschaffung des Verbrennungsmotors „durch die Hintertür“. Gemeint war die ab 2025 drohende EU-Abgasnorm Euro 7. Vielleicht ziehen es die Autobauer ja vor, würdevoll durchs Haupttor in den Sonnenuntergang zu rollen. Dann können ihnen die Volksvertreter und -vertreterinnen nur entgeistert hinterherschauen.

Sonnenuntergang, Erdaufgang – falls Sie sich bei Joe Bidens Amtseinführung auch von der jungen Dichterin Amanda Gorman haben bezaubern lassen und sich fragen, ob sie wohl auch mal was über den Klimawandel schreiben wird: Hat sie schon. Hier zum Wochenausklang ihr Gedicht „Earthrise“.

Unterschrift

Kerstin Eitner
Redakteurin