Liebe Leserinnen und Leser,

wer hätte das gedacht: Anno 2022 antichambriert ein grüner Wirtschaftsminister bei Scheichs und Emiren, nicht eben lupenreinen Demokraten, um drohende Versorgungslücken bei den Energieträgern zu stopfen. Gas und Öl einkaufen, Gasspeichergesetze schreiben, LNG-Terminals bauen – unter „Transformation“ hatte sich Robert Habeck sicher etwas anderes vorgestellt. Immerhin, er spricht zu uns. Auf Instagram erklärt er, was er da tut und gelobt, dass die Bundesregierung beim Umbau der Energieversorgung auf das, pardon, Gaspedal treten wird. Mit Kohle aus Russland soll, gab er heute bekannt, im Herbst, mit Öl bis Jahresende und mit Gas Mitte 2024 Schluss sein statt wie bisher angepeilt 2027.

Deutschland, der Gas-, Kohle- und Öljunkie, hat sich sehenden Auges in eine fatale Klemme manövriert. Wir dürfen uns dafür vor allem bei den diversen Koalitionen unter der „Klimakanzlerin“ Angela Merkel (CDU) bedanken, die wirklich allerhand unternommen haben, um die Energiewende auszubremsen. Unausgegorene Fördermodelle, ausufernde Bürokratie, Verknappung von Flächen, seltsame Abstandsregelungen – zwischen 2017 und 2019 sank allein der Zubau von Windrädern um 80 Prozent, und bis dahin waren in dem Sektor schon rund 40.000 Arbeitsplätze verlorengegangen. Diese Verschleppung kommt uns jetzt teuer zu stehen, und es könnte noch teurer werden, nicht nur an der Tankstelle. Mal abgesehen davon, dass die Erderwärmung voranschreitet, vor allem in der Arktis und der Antarktis.

Über einen kalten Entzug, ein sofortiges Embargo für Energieimporte aus Russland, wird weiter hitzig debattiert, aber es wird auch kühl gerechnet. Wenn alle europäischen Haushalte die Raumtemperatur um ein Grad senken, lassen sich schon sechs Prozent der russischen Gasimporte einsparen, so die Internationale Energieagentur IEA. Sie nennt auch ein paar Sofortmaßnahmen, die 430 Millionen Liter Öl pro Tag sparen würden, unter anderem Home Office, autofreie Sonntage, billigerer ÖPNV, Bahnfahren statt fliegen, Zufußgehen, Radfahren und Carsharing attraktiver machen. Und natürlich: Geschwindigkeitsbegrenzungen im Straßenverkehr, hier also runter vom Gaspedal. Das gerade präsentierte Entlastungspaket der Bundesregierung sieht allerdings eine Senkung der Kraftstoffsteuer vor, Tempolimit geht anders. Wenigstens hat sich FDP-Chef Christian Lindner mit seiner Forderung nach Tankrabatten nicht durchgesetzt.

Bevor Sie nun am Wochenende schon mal die dicken Pullover für den nächsten Winter vorsortieren, Ihre Fahrradkette ölen und eine Bahnfahrt planen, habe ich noch eine kleine wahre Geschichte für Sie, die sich schon vor ein paar Wochen zugetragen hat. Vielleicht lässt sich damit ein bisschen positive Grundstimmung erzeugen.

Im niederländischen Eemshaven liegt ein Schiff, das einen Rohrleger zum Verschrotten in die Türkei schleppen soll. Rohrleger sind gigantische Arbeitsschiffe, die zum Beispiel in der Offshore-Industrie Bauteile installieren oder demontieren. Die Abfahrt aus Eemshaven verzögert sich wegen der Wetterbedingungen. An Bord des Schleppers: ein niederländischer Kapitän, der früher auch mal für Greenpeace über die sieben Meere gefahren ist, und fünfzehn ukrainische Seeleute, in heller Aufregung und großer Sorge wegen des Krieges in ihrer Heimat. Sie wissen: Wenn sie zurückkehren in die Ukraine, werden sie sofort eingezogen.

Könnte man aber nicht irgendetwas tun? Kapitän und Crew haben eine Idee. An Bord des Rohrlegers befinden sich allerhand Gegenstände, die in gutem Zustand sind und auf die niemand mehr Anspruch erhebt. Matratzen, Decken, Bettzeug, Küchengeräte, Geschirr, alles, was der Mensch so braucht. Zum Beispiel in der Ukraine. Der Kapitän ruft den Schiffseigner in Urk an. Jetzt kriege ich was zu hören, denkt er. Dazu muss man wissen, dass die Bevölkerung des besagten Ortes zu nahezu hundert Prozent einer der niederländisch-reformierten Kirchen angehört und als äußerst streng, konservativ und gottesfürchtig gilt. Aber statt der erwarteten Strafpredigt gibt es vom Schiffseigner grünes Licht. Er fängt sofort an, den Transport zu organisieren, und so kann die Schiffscrew mehrere Lkws mit Hilfsgütern aus dem Rohrleger beladen und in die Ukraine schicken.

Ich sollte vielleicht noch erwähnen, dass einer der letzten Einsatzorte genau dieses Rohrlegers die Pipeline Nord Stream 2 war, die mittlerweile Geschichte ist.

Nächste Woche legen wir hier eine kleine Pause ein, weil wir die nächste Ausgabe des Greenpeace Magazins produzieren.

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Unterschrift

Kerstin Eitner
Redakteurin