Liebe Leserinnen und Leser,

so oft man die Geschichte gehört hat, so unvorstellbar bleibt sie: Am 6. August 1945 um 8.16 Uhr morgens detonierte eine US-Uranbombe mit dem verniedlichenden Namen „Little Boy“ in 580 Meter Höhe über der japanischen Stadt Hiroshima und machte sie dem Erdboden gleich – kaum ein Gebäude hielt der enormen Sprengkraft stand. Von vielen Männern, Frauen und Kindern blieben nur Schatten, eingebrannt in Straßen, Treppenstufen und die wenigen erhaltenen Mauern. Die Menschen waren buchstäblich verdampft.

Drei Tage später folgte die Zerstörung der Stadt Nagasaki durch die Plutoniumbombe „Fat Man“. Innerhalb von vier Monaten hatten beide Städte zusammen rund 200.000 zivile Todesopfer zu beklagen. Wie viele in den Jahren und Jahrzehnten danach an Spätfolgen der Strahlung erkrankten oder starben, wird sich wohl nie genau beziffern lassen. Am 15. August 1945 verlas Kaiser Hirohito im Radio den „Kaiserlichen Erlass zur Beendigung des Großostasiatischen Krieges“. Viele Japanerinnen und Japaner hörten zum ersten Mal die Stimme des als gottähnlich geltenden Tennō und warfen sich erschrocken zu Boden. Am 2. September unterzeichnete Japan die Kapitulationsurkunde.

Bis heute hält sich in den USA der Mythos, die Atombombenabwürfe hätten den Zweiten Weltkrieg beendet, dabei war die Kapitulation Japans nur eine Frage der Zeit. Militärisch war das Land längst geschlagen, die wichtigsten Städte waren größtenteils zerstört, Okinawa und Iwojima verloren, die Bevölkerung litt an Hunger und Entbehrungen. Anfang Juli hatte Radio Tokio gemeldet, die Eignung von Kiefernwurzelöl als Flugbenzin werde getestet und im japanischen Waffenamt sei eine „Abteilung für die Produktion von Holzflugzeugen“ eingerichtet worden. Eine Woche vor der Rede des Kaisers hatte zudem die Sowjetunion Japan den Krieg erklärt.

„Es war nicht nötig, dieses furchtbare Ding auf sie abzuwerfen“, sagte der ehemalige US-Präsident Dwight D. Eisenhower 1963, zwei Jahre nach dem Ende seiner Amtszeit. Eisenhower, im Krieg Oberbefehlshaber der Alliierten Expeditionsstreitkräfte, und andere ranghohe Militärs hatten Bedenken gegen den Einsatz der Atombomben geäußert, und selbst dem amtierenden Präsidenten Harry S. Truman war nicht ganz wohl bei der Sache. Die Scharfmacher und Drahtzieher, die ihn lehrten, die Bombe zu lieben oder wenigstens für notwendig zu halten, waren Kriegsminister Henry L. Stimson und vor allem Außenminister James F. Byrnes.

Inzwischen sind viele Historiker in den USA und weltweit allerdings der Meinung, dass es im Grunde ein militärischer Test zweier unterschiedlicher Bombentypen war, weil man sie nun einmal hatte. Die Zivilbevölkerung der beiden Städte hätte den Amerikanern also als Versuchskaninchen gedient – eine gruselige Vorstellung.  

Und die Lehren aus Hiroshima und Nagasaki? Nun, von der Welt ohne Atomwaffen, die Ex-US-Präsident Barack Obama 2009 bei seiner berühmten Prager Rede beschwor, ist die Menschheit nach wie vor weit entfernt. Noch immer gibt es rund 13.400 Atomsprengköpfe, 6.375 davon in Russland und 5.900 in den USA. Der Rest verteilt sich auf sieben weitere Staaten, darunter, nicht sonderlich beruhigend, Nordkorea mit seinem irrlichternden Präsidenten Kim Jong-un.

Später propagierte Eisenhower, sozusagen als Wiedergutmachung, die „Atoms for Peace“: Atomstrom so billig, dass man den Verbrauch gar nicht werde messen können. Der Unfall in der sowjetischen Anlage Majak 1957, das Feuer in der britischen Atomfabrik Windscale im selben Jahr, der Beinahe-GAU von Three Mile Island in den USA 1979, die Katastrophen von Tschernobyl 1986 und Fukushima 2011 hatten wenig Friedliches an sich. Vom „Normalbetrieb“, der allzu häufig mit der legalen Ableitung großer Mengen radioaktiver Gase und Flüssigkeiten in die Umgebung einherging und -geht, und der ungelösten Atommüllfrage haben wir da noch gar nicht gesprochen – und von der zivilen zur militärischen Nutzung der Atomspaltung ist es rein technisch nicht allzu weit.

Mag die Atomenergie in vielen Ländern Europas und in den USA heute nicht mehr populär sein, anderswo setzt man auf sie: Ruanda ist im Begriff, mit russischer Hilfe einzusteigen, auch Ägypten, Äthiopien, Nigeria, Sudan und Südafrika haben Deals mit dem Atomkonzern Rosatom abgeschlossen. In Abu Dhabi hat mit dem AKW Barakah gerade der erste Meiler der arabischen Welt den Testbetrieb aufgenommen.

Die Geschichte des Atomzeitalters ist, wie es aussieht, auch ein Dreivierteljahrhundert nach Hiroshima und Nagasaki noch nicht zu Ende erzählt.

Unterschrift

Kerstin Eitner
Redakteurin