Liebe Leserinnen und Leser,

Es ist schon erstaunlich, in welch atemberaubenden Tempo ein Mensch in dieser medial aufgeheizten Zeit fallen kann. Und aus welchen Gründen. Noch vor wenigen Wochen war Annalena Bearbock die Hoffnungsträgerin der Grünen, die Klimakanzlerin kann. Heute muss sie sich in Fernsehinterviews für ihren aufgehübschten Lebenslauf rechtfertigen und „sehr schlampige“ Fehler einräumen. Ihre Beliebtheitswerte sind innerhalb weniger Wochen eingebrochen.

Aber warum eigentlich? Wenn ich mir anschaue, was ihr vorgeworfen wird, bin ich irritiert – über die Empörungswelle. Denn ganz offensichtlich haben sich hier Maßstäbe verschoben. Besser gesagt: Kanzlerkandidatinnen und -kandidaten werden mit mehrerlei Maß gemessen.

Nehmen wir mal CDU-Mann Armin Laschet. Als er 2017 Ministerpräsident von Nordrhein-Westfalen wurde, dauerte es nur wenige Monate, bis seine Regierung die bis dato hoch angesehene und deutschlandweit einzigartige Stabstelle Umweltkriminalität dichtmachte. Die Abteilung im NRW-Umweltministerium hatte mit Strafverfolgungsbehörden zusammengearbeitet und Unternehmen ins Visier genommen, die Gewässer verschmutzten oder Tiere misshandelten. Laschets damalige Umweltministerin, Christina Schulze Föcking, löste die Abteilung kurz nach ihrem Amtsantritt auf, weil diese zu wenig schlagkräftig gewesen sei.

Ein aktueller Untersuchungsausschuss nährt nun den Verdacht, dass der Regierung unter Laschets Führung im Zweifel der Schutz privater Interessen wichtiger war als der Schutz von Umwelt und Tieren. Denn die Stabsstelle hatte sich auch mit dem Familienunternehmen von Schulze Föcking beschäftigt, einem in Verruf geratenen Schweinemastbetrieb. Und sie hatte wohl auch das Recyclingunternehmen Dela im Visier, wie nun herauskam. Die Firma hatte seit 2011 illegal Quecksilber verkauft, ein paar Jahre später wurden zwei ehemalige Manager deswegen zu Haftstrafen verurteilt. Gesellschafter des Unternehmens war einst: Stephan Holthoff-Pförtner, Laschets nach wie vor amtierender Europaminister.

Haben Sie dazu irgendeinen Aufschrei gehört? Natürlich gilt die Unschuldsvermutung. Aber sind solche Vorgänge nicht eher ein Grund für Empörung? Hier geht es nicht um peinliche Falschangaben im Lebenslauf zu NGO-Mitgliedschaften. Hier geht es womöglich um die Vermischung von privaten und öffentlichen Interessen, um Machtmissbrauch zugunsten der eigenen Klientel. Wäre hier nicht eigentlich die Frage berechtigt, wie glaubwürdig der Kanzlerkandidat ist?

Nun warten alle darauf, wann Annalena Baerbock in die Offensive geht. Vor ein paar Tagen kritisierten SPD-Kanzlerkandidat Scholz und Bundesverkehrsminister Scheuer in der Bild-Zeitung Baerbock für ein Konzept, das die beiden im Kabinett selbst verabschiedet hatten: Sprit solle per CO2-Bepreisung teurer werden, damit die Menschen auf E-Autos umsteigen und die Verkehrswende gelingt. Scholz wütete: „Wer jetzt einfach immer weiter an der Spritpreisschraube dreht, der zeigt, wie egal ihm die Nöte der Bürgerinnen und Bürger sind.“ Für den Vizekanlzer einer Regierung, der das Bundesverfassungsgericht erst vor wenigen Wochen mit Blick auf ihre Klimapolitik bescheinigt hatte, dass ihr die Nöte zukünftiger Generationen egal sind, eine ziemlich fragwürdige Haltung. Aber da hatten ihn offenbar wieder „Erinnerungslücken“ befallen, wie bei seiner Nicht-Einlassung vor dem Cum-Ex-Untersuchungsausschuss zu seiner Rolle bei dem Skandal, der Banken Milliardengewinne auf Kosten der Steuerzahlerinnen gestattet hatte.

Noch peinlicher – ja geradezu beschämend – tritt die Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft auf, eine Lobbyorganisation unter anderem von Arbeitgeberverbänden. Seit ein paar Tagen schaltet sie Anzeigen, auf denen Annalena Baerbock zu sehen ist, im Gewand von Mose, die zehn Gebote in der Hand. Auf den Tafeln stehen jedoch zehn Verbote wie „Du darfst nicht fliegen“ oder „Du darfst nicht schöner wohnen“. Darunter die Botschaft: „Wir brauchen keine Staatsreligion“.

Ich möchte in dieser Wochenauslese Annalena Baerbock nicht groß oder klein schreiben. Auch ich finde ihre Fehler ärgerlich, denn es geht doch um so viel mehr. Was mir hier aber aufstößt, ist die Art und Weise, wie gegen sie Stimmung gemacht wird. Es ist ein Vorgeschmack auf einen Wahlkampf mit den Mitteln der Diffamierung.

Worum es eigentlich geht und worüber gestritten werden sollte, haben diese Woche zahlreiche Umweltverbände, darunter Greenpeace, in einem gemeinsamen Brandbrief an Union und SPD deutlich gemacht. Darin werfen sie den Regierungsparteien etwa mit Blick auf die Spritpreisdebatte einen unredlichen Wahlkampf auf Kosten des Klimas vor – und appellieren: „Ringen Sie um die richtigen Instrumente, wie die verfassungsgemäßen Klimaziele erreicht werden und das Artensterben gestoppt werden kann, und beenden Sie unredliche Desinformationen.“

In diesem Sinne wünsche ich Ihnen ein wunderbar sonniges Wochenende! Lassen Sie sich nicht die Stimmung vermiesen!

Unterschrift

Frauke Ladleif
Redakteurin

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