Liebe Leserinnen und Leser,

folgende Rede eines so distinguierten wie zu allem entschlossenen atmosphärischen Phänomens möchte ich Ihnen nicht vorenthalten:

„Gestatten Sie, dass ich mich vorstelle. Ich bin zwar keine natürliche Person, verfüge aber über große Macht und enormen Reichtum, die in den letzten Jahrzehnten unaufhaltsam gewachsen sind. So konnte ich bereits allerhand aus- und anrichten. Schön, Sie zu treffen – hoffentlich erraten Sie meinen Namen. Aber Sie rätseln wohl noch, welches Spiel ich spiele.

Dieses Jahr bin ich, das darf ich voller Stolz sagen, über mich hinausgewachsen. So schuf ich ideale Bedingungen für Waldbrände. Allüberall bis in die Tannenspitzen ist es knochentrocken, und bis Mitte August hatten die Flammen allein in der EU bereits 660.000 Hektar Wald verzehrt, eine Fläche zweimal so groß wie Luxemburg. Und das Jahr ist ja noch nicht zu Ende. Alle Register habe ich gezogen, Regen zurückgehalten oder umgeleitet, so dass fruchtbare Böden sich in Staub verwandelt haben und die Ernten entweder miserabel oder gleich ganz ausfallen.

Die Pegel von Flüssen und Seen habe ich sinken lassen, sodass der Po, Italiens größter Fluss, zum Rinnsal wurde, die Binnenschiffe auf dem Rhein nur noch leicht beladen fahren konnten und in Frankreich Atommeiler heruntergefahren werden mussten, weil kein Kühlwasser mehr da war. Beim Fischsterben in der Oder hatte ich die Hand im Spiel. Bis in die Ozeane dringe ich vor, und überall jagte ich die Temperaturen in ungeahnte Höhen: in Indien und Pakistan, in Südeuropa und Australien, in China und den USA, sogar in Großbritannien wurden erstmals über 40 Grad gemessen, und die Niederlande haben ausnahmsweise mal zu wenig Wasser.

Da kann es natürlich nicht ausbleiben, dass die Gletscher schmelzen, im Himalaya wie in den Alpen. In den Bergen gerät im wahrsten Sinne des Wortes einiges in Bewegung, Lawinen, Erdrutsche, Felsstürze, rechnen Sie mit dem Schlimmsten und sagen Sie dem Wintersport am besten schon jetzt „adieu“. (Sie können im Prinzip auf mildere Winter hoffen, das spart Energie, aber garantieren kann ich das nicht. Es könnte mir gefallen, auch mal krachenden Frost, Schneestürme und dickes Eis zu schicken). Bei der Erwärmung der Arktis, auf die ich in den vergangenen Jahren schon viel Mühe verwendet habe, konnte ich noch mal einen Zahn zulegen, und auch in der Antarktis gebe ich mein Bestes.

Wenn es mir passt, schicke ich schon mal Starkregen, aber der versickert in den ausgelaugten, vertrockneten Böden, die das Wasser nicht speichern können. Oder er lässt, das habe ich erst letztes Jahr im Ahrtal demonstriert, scheinbar harmlose Flüsse und Bäche zu gewaltigen Strömen anschwellen, die alles mitreißen, was sie finden. Und sie finden viel, denn noch immer wird gern nah am Wasser gebaut, oft sogar wieder genau dort, wo die Überschwemmung war. Überhaupt arbeiten Sie, die Menschen, gut mit und helfen mir, wo Sie können. Sie begradigen Flüsse, legen Moore trocken, versiegeln Landschaften, pflanzen Monokulturen in Wald und Feld, verbrennen in Jahrmillionen entstandene Ressourcen, fahren und fliegen kreuz und quer über den flächendeckend plastifizierten Planeten, bauen und konsumieren, als gäbe es kein Morgen.

Gibt es für viele auch nicht. Wenn ich Regionen unbewohnbar werden lasse, machen sich viele, die dort kein Auskommen mehr finden, auf den Weg in ein vermeintlich besseres Leben, im eigenen Land oder im Ausland. Wo sie, sofern sie ihr Ziel überhaupt erreichen, nicht mit offenen Armen willkommen geheißen werden, aber das muss ich Ihnen ja nicht sagen. Doch nicht nur die Menschen schicke ich auf Wanderschaft, auch Tiere und, im Rahmen ihrer Möglichkeiten, sogar Pflanzen versuchen zu entkommen. Einige von ihnen wie etwa Stechmücken haben Krankheitserreger dabei, die in Zonen mit gemäßigten Temperaturen bislang nicht bekannt waren. Begrüßen Sie mit mir: Chikungunya, Denguefieber, Malaria.

Sie sehen, ich habe allerhand zu bieten, und dabei habe ich noch gar nicht richtig angefangen. Wenn wir uns begegnen, und das werden wir, denn ich gedenke lange zu bleiben, dann gehen Sie bitte höflich und rücksichtsvoll mit mir um. Denn auch ich bin nicht unverwundbar. Meine Achillesferse ist die menschliche Vernunft, die aber zu meinem Glück oft in seligem Schlummer liegt. Obwohl ich in letzter Zeit hier und dort eine gewisse Ärmel-hoch-Mentalität zu entdecken glaube. Aber das gibt sich schon wieder, es darf für die Gesellschaft nicht zu unbequem werden.

Auch diese Kinder und Jugendlichen bringen mich gelegentlich in Wallung, wer weiß, was die noch alles in Gang setzen werden, freitags und auch an anderen Tagen. Die haben einfach kein Mitgefühl mit mir. ‚Stoppt den Klimawandel!‘, fordern sie anklagend. Ja, das ist mein Name, Sie haben ihn längst erraten, aber was soll ich machen, ich folge doch nur naturwissenschaftlichen Imperativen. Nichts für ungut. Und schieben Sie nicht alles auf mich, denn letztendlich waren wir es doch gemeinsam, Sie und ich.“

Der Klimawandel macht leider keine Pause, die Wochenauslese des Greenpeace Magazins aber schon, denn nächste Woche produzieren wir die neue Ausgabe.  

Unterschrift

Kerstin Eitner
Redakteurin