Liebe Leserinnen und Leser,

wir sind nicht allein. Wie ich diese Woche gelesen habe, leben Clans von Haarbalgmilben mit uns, ernähren sich von uns und paaren sich munter auf uns. Wobei es „munter“ nicht ganz trifft, und mit dem Balgen ist es auch nicht weit her, wie britische DNA-Forschende von der University of Reading jetzt herausgefunden haben. Die meiste Zeit ihres zweiwöchigen Lebens verbringen die mikroskopisch kleinen Dickerchen kopfüber in den Poren unseres Gesichts, fressen Talg und abgestorbene Hautzellen. Gibt ja auch niemanden, der sie in ihrem Schlaraffenland stört. Dadurch hätten sich die Parasiten von uns extrem abhängig gemacht, so der Ökologe Alejandro Perotti, so abhängig, dass man eher von einer Lebensgemeinschaft zwischen Mensch und Haarbalgmilbe sprechen muss. Die Folge: Die Milbe wird immer fauler und dicker, ihre Stummelbeine verkümmern, sodass sie sich nur noch zur Fortpflanzung schleppt, ihr Genpool schrumpft – der Weg in die evolutionäre Sackgasse. Da Sonnenlicht ihnen schadet, sind die Nischen unserer Haut der einzige Ort, an dem sie überleben. Eine Lebensform also, die sich komplett abhängig von abgestorbenem Material gemacht hat und damit die eigene Existenz gefährdet? Kommt mir bekannt vor.

Der Ab-Kanzler

Wie lange die Menschheit noch von fossilem Material wie Öl oder Kohle abhängig sein möchte, war eines der Themen auf dem G7-Gipfel, der am Dienstag zu Ende ging. Und die Trägheitskräfte wirken auch hier. Hatte Deutschland auf der Weltklimakonferenz in Glasgow im vergangenen November noch gemeinsam mit anderen Ländern vereinbart, bis Ende 2022 keine Steuergelder mehr in fossile Projekte im Ausland zu investieren, kassierten Olaf Scholz und die anderen Staatslenker dieses Versprechen kurzerhand ein. Ausnahmen können nun unter besonderen Umständen erlaubt sein, die „von jedem Land klar definiert“ werden, heißt es in der Abschlusserklärung.

Umweltorganisationen sehen darin ein Einfallstor für den Erhalt und den Ausbau neuer fossiler Strukturen – quasi ein Sprung kopfüber in die Gas-, Öl- und Kohleporen unseres Planeten. „Gasfreundliche Sprache“ nannte Luisa Neubauer von Fridays for Future dies in der Sendung von Markus Lanz. Denn wie gesichert werden soll, dass nur so viel Gas ersetzt wird, damit der Westen übergangsweise und im Einklang mit den Klimaschutzzielen unabhängig von russischen Lieferungen wird, ist nicht näher definiert. Und mit genaueren Auskünften hat es Olaf Scholz, der jetzt erst einmal zwei neue Gasfelder im Senegal anbohren möchte, ja generell nicht so. Da hilft es auch nichts, wenn Scholz einen „Klima-Club“ vorschlägt, was einen weniger an den Club of Rome denken lässt als an einen Herrenabend mit Zigarren. Wer sagt ihm, dass es mit der Weltklimakonferenz bereits einen, allerdings nicht ganz so exklusiven Klima-Club ohne Mitgliederbeschränkung gibt? Und der tagt Ende des Jahres in Ägypten.

Auspuff-Aus

Der eigentlich im Vertrag der „Fortschrittskoalition“ längst besiegelte Ausstieg aus der Produktion von Verbrennermotoren für Pkw ist auch so ein Beispiel für fossile Bequemlichkeit. Die FDP, allen voran Porsche-Fan Christian Lindner, steckt so verbissen im alten Denken wie die Haarbalgmilbe in unserer Haut. Als Umweltministerin Steffi Lemke ankündigte, bei den Verhandlungen für das EU-Klimapaket in Luxemburg mit den anderen Ländern gemeinsam für ein Ende der klimaschädlichen Automobilflotten zu stimmen – allerdings erst 2035 -, gab sich Lindner empört. Auf Schloss Elmau sprang ihm Klima-Club-Gründer Olaf Scholz zur Seite. Und so musste die arme Grüne den versammelten europäischen Umweltministerinnen und -ministern erst einmal mühsam erklären, dass Deutschland noch ein wenig Zeit braucht, um sich wirklich aus der klimaschädlichen Mobilität zu verabschieden. Da sind inzwischen sogar weite Teile der Autoindustrie weiter – selbst der Opel Manta, einst Inbegriff einer sorglosen Vollgasmentalität, wird bei seinem Comeback 2025 vollelektrisch fahren.

Was bei dem ganzen Drama um die selbstzerstörerische deutsche Liebe zum Benzin komplett in den Hintergrund trat: In Luxemburg wurde endlich die Höhe des Klimasozialfonds festgelegt. Aus dem soll der Sozialausgleich für Klimaschutzmaßnahmen finanziert werden, um Haushalte zu entlasten. Insbesondere Deutschland setzte durch, dass der Topf deutlich kleiner ausfallen soll als ursprünglich geplant – 59 statt 72 Milliarden Euro.

Übrigens: Die Forschungsgruppe aus Reading hat keine gute Prognose für die trotzig-faule Haarbalgmilbe. Würde sie weiter so verbissen an ihrer trägen, unbeweglichen Lebensführung festhalten, sei ihr Aussterben womöglich nur eine Frage der Zeit.

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Thomas Merten
Redakteur