Liebe Leserinnen und Leser,

nach einer kurzen Pause melden wir uns heute mit der Wochenauslese zurück. Wir sind guter Hoffnung, dass unsere Kollegin Kerstin Eitner Sie in nicht allzu ferner Zukunft wieder an dieser Stelle begrüßt.

Ich weiß nicht, wie Sie den Wahlkampf bislang erlebt haben. Einige ziehen bereits die Decke über den Kopf, schalten Computer und Fernseher ab und hoffen, dass alles möglichst bald vorbei ist. Andere arbeiten noch immer daran, ihren Wahl-O-Mat-Schock zu verdauen, nachdem Ihnen die Auswertung angezeigt hatte, welche Partei sie eigentlich wählen müssten. Wieder andere – wie leider auch ich – haben inzwischen ein regelrechtes Suchtverhalten entwickelt und lassen im Fernsehen keine „Wahlarena“, keinen „Klartext mit…“, kein „Triell“, „Quartell“ oder was es sonst noch alles gibt, mehr aus.

Lehrreich sind diese Tage auf jeden Fall. Wer sich die Wahlkampfberichterstattungsdroge in der vollen Dosis gibt, erfährt, dass Unionskanzlerkandidat Armin Laschet die knapp hundert Kilometer zwischen Apolda und Eisenach auch schon mal wenig klimabewusst mit dem Hubschrauber zurücklegt und sich so bald wohl nicht mehr von elfjährigen Kindern befragen lassen wird („Haben Sie Polizei geschickt, um Menschen aus Baumhäusern zu vertreiben?“ „Das war gegen das Gesetz, oder?“ „Wie würdest du heißen, wenn du ein Drache wärst?“). Man lernt, dass Grünen-Kanzlerinkandidatin Annalena Baerbock daran schuld ist, dass demnächst die Welt untergeht, oder dass sächsische Richter kein Problem damit haben, wenn Nazis „Hängt die Grünen“-Plakate an Laternenpfählen befestigen, weil man im Sinne der „Meinungsfreiheit“ eben auch deren „kommunikative Anliegen nicht beeinträchtigen“ dürfe.

Doch all diese Nachrichten sollten eher Nebengeräusche sein, schließlich geht es diesmal um alles. So zumindest die Hoffnung vieler Wählerinnen und Wähler, die das Thema Klimaschutz bei Umfragen regelmäßig an die erste Stelle der wichtigsten Herausforderungen für die kommende Bundesregierung setzen. Tatsächlich müssen eher heute als morgen die Weichen dafür gestellt werden, dass Deutschland die Ziele erreicht, auf die wir uns im Pariser Klimaschutzabkommen verpflichtet haben. Doch noch erreicht, müsste man eigentlich sagen, denn davon sind wir momentan ungefähr so weit entfernt wie Christian Lindner vom Eintritt in die Linkspartei. Eine Analyse sämtlicher Parteiprogramme durch das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) ergab, dass keine Partei mit den von ihr angekündigten Maßnahmen den Ausstoß der Treibhausgase bis zum Jahr 2030 um 65 Prozent gegenüber 1990 senken würde, so wie es die deutschen Klimaziele eigentlich vorsehen.

Die Studie passt zum Eindruck, den man gewinnt, wenn es im Fernsehen mal ausnahmsweise nicht um den von Olaf Scholz angeführten, offenbar unmittelbar bevorstehenden kommunistischen Umsturz geht, eine drohende Gendersternchen-Sharia oder gar die vermeintliche Zwangsbeglückung mit Lastenfahrrädern, deren Kauf zukünftig womöglich vorsichtig gefördert werden soll, anstatt solche Subventionssegnungenen wie bisher lieber auf 1,5 Tonnen schwere SUV's auszuschütten. Kommt das Gespräch also tatsächlich mal auf die Klimakrise, erfasst zumindest mich das unbehagliche Gefühl, dass in den Fernsehstudios bis auf fünfzehnjährige Klimaaktivistinnen die wenigsten den wirklichen Ernst der Lage erkannt haben. Besonders interessant sind dabei die Antworten auf die Frage, was man denn akut unternehmen wolle, um die Erderwärmung zu bremsen. SPD-Kanzlerkandidat Olaf Scholz nennt bei solchen Gelegenheiten als Punkt eins, erst einmal ermitteln lassen zu wollen, wie viel Strom die Industrie braucht, um so weitermachen zu können wie bisher, nur eben nicht mehr mit Kohle, sondern mit erneuerbaren Energien. Armin Laschet nutzt solche Fragen gern, um an den ehemaligen CDU-Umweltminister Klaus Töpfer zu erinnern, der schon 1992 auf die Klimakrise hingewiesen habe und vertraut unverdrossen auf den Erfindergeist der „deutschen Wirtschaft“, die bestimmt ganz bald eine Lösung dafür finden werde. Falls er nicht zwischendurch mal leicht wegdriftet wie beim Triell von ARD und ZDF: „Was war die Frage?“.

Und so liegt über den TV-Auftritten der Traditionsparteien der Mehltau einer leicht onkeligen „Weiter so, irgendwie – aber klimaneutral“-Stimmung, die an Realitätsverweigerung grenzt. Vor einigen Tagen erst hat der Bundestag einen 30-Milliarden-Euro-Fonds verabschiedet, der die Schäden der von der Klimakrise verursachten Flutkatastrophe im Ahrtal und in der Eifel beseitigen helfen soll. 30 Milliarden. Zur Erinnerung: elf von sechzehn Bundesministerien verfügen über einen niedrigeren Jahresetat. Doch das hindert kaum einen Politiker aus der „Irgendwie weiter so“-Ecke daran, ständig die „Kosten“ einer ambitionierteren Klimaschutzpolitik zu betonen, anstatt sich mit den Folgekosten des Nichtstuns auseinanderzusetzen, die bald jeden Rahmen sprengen dürften.

Natürlich gibt es auch Medienformate, die unsere Wahlkämpferinnen und -kämpfer beim Klimathema nicht so leicht davonkommen lassen. Besonders erhellend ist da die Interview-Reihe „Wer rettet das Klima?“ vom WDR, die in knapp dreißig Minuten interessante Einsichten vermittelt. Zum Beispiel dass der von der FDP entsandte Lukas Köhler, den wir in unserer aktuellen Ausgabe im Wahlkampf begleiten, zwar sehr optimistische Hoffnungen in die Klimaselbstheilungskräfte der Märkte hegt, sich aber immerhin in der Tiefe ­­des Themas gut genug auskennt, um beim „Klimaquiz“ sämtliche Fragen richtig zu beantworten – wie auch Annalena Baerbock von den Grünen. Beide übrigens im Gegensatz zu Olaf Scholz, der bei vier von sechs Fragen scheiterte. Armin Laschet hatte sich garnicht erst hingetraut.

Ich wünsche Ihnen ein klimaneutrales Wochenende und eine gute Wahl

Unterschrift

Fred Grimm
Redakteur