Der Mensch schlägt sich begrünte Schneisen durch seine Innenstädte. Ein wenig erinnert das an die grünen Schleichwege für Wildkatzen, die Umweltschützer durch ganz Europa pflanzen. Nur die angelegten Flanierwege für Menschen auf alten Bahntrassen sind kürzer und urbaner. Sie gleichen auch eher Parkanlagen zum Spazierengehen, als Unterholz zum Durchstreifen – und sie verbinden auch keine Waldstücke wie bei den Wildkatzen, sondern die Wohn- und Einkaufsviertel der urbanen Bevölkerung.

Vorzeigeprojekt dieser Entwicklung ist der New Yorker High Line Park, der sich auf neun Metern Höhe durch den Westen Manhattans schlängelt. Ursprünglich war die Hochbahntrasse 1934 gebaut worden, damit Güterzüge ihre Ware direkt in die oberen Stockwerke von Fabriken und Lagerhäusern liefern konnten. Allerdings kamen Güterzüge aus der Mode, immer mehr übernahmen Lastwagen den Job. Die Bahnstrecke wurde kaum noch genutzt und schließlich 1980 geschlossen. Die Hochschienen blieben sich selbst überlassen.

Wenn die Natur sich Brachflächen zurückholt

In den Jahren danach holte sich die Natur die Brachfläche zurück. Der Wind wehte Samen herbei, Vögel brachten andere dazu. Wildblumen, Gräser, Gestrüpp, Obstbäume, Insekten und Kleintiere siedelten sich an. Und auch Obdachlose flüchteten sich von den staubigen und hektischen Großstadtfluchten unter die stillgelegte Bahntrasse. Ein Stück Wildnis und Anarchie zwischen den Wolkenkratzern Manhattans entstand. 2006 bereitete die Stadt dem ein Ende.

Ursprünglich wollte die Stadtregierung die alten Schienen abreißen, doch nach Protesten von Anwohnern ließ sie dort einen Park für Touristen, Jogger und Flaneure anlegen. Und auch für die bereits angesiedelten Pflanzen und Tiere sollte Raum bleiben, wenn auch ordentlich angeordnet und abgezäunt.

Auf das „Wie“ kommt es an

Die Art der Bepflanzung entscheidet darüber, ob das Begrünungsprojekt mehr ist als nur ein Touristen-Magnet. „Für die Insektenvielfalt ist es wichtig, dass man nahezu ausschließlich heimische Pflanzen verwendet“, sagt Heinrich Reck, der an der Kieler Uni zur Selbstorganisation biologischer Vielfalt forscht. Denn nur heimische oder vor langer Zeit angesiedelte Pflanzen bieten vielen einheimischen Insekten einen Lebensraum. „Die Eiche kann als Begleitpflanze in Deutschland Lebensort für mehr als 500 Arten sein, das schaffen fremdländische Gehölze nicht – und ähnlich verhält es sich bei Kräutern“, so Reck.

Auch müsse man bei bestimmten Arten aufpassen und die monotone Ansiedlung invasiver Gewächse wie beispielsweise des japanischen Knöterichs verhindern. Weiter sei es für mehr Artenvielfalt sinnvoll, nährstoffarmes Substrat zu verwenden und viele Blumen und niedrigstehende Gräser anzusäen, die auch Licht bis zum Boden durchlassen. Zwar wachsen bestimmte Pflanzen gerade bei nährstoffreichen Böden sehr gut. „Und das sieht dann alles sehr schnell sehr grün aus – ist aber ein Fehler“, sagt Reck dem Greenpeace Magazin. Denn gerade der dichte, hohe Bewuchs kann andere Pflanzen verdrängen und so Monokulturen fördern. Merke: Nicht alles, was grün aussieht, ist auch gut für die Artenvielfalt.

Der Mensch muss auch das Vertrocknete aushalten

Im Gegenteil: „Die Pflanze wird braun, wenn sie aussamt. Und das ist nicht hübsch, aber sinnvoll“, sagt Heinrich Reck. Denn nur, wenn Pflanzen ihren Samen verstreuen, ist garantiert, dass sie nächstes Jahr wieder blühen können. Wenn alles Vertrocknete sofort ausgerissen wird, unterbricht das den Lebenszyklus der Natur. Also müsse der Mensch auch das Braune mal aushalten, findet Reck. „Die Linde duftet ja auch nicht jeden Tag“, so der Ökologe. Für die Stadtplaner ergibt sich dadurch eine besondere Herausforderung. Auf der einen Seite müssen die urbanen Parkwege hübsch genug für die Touristen sein und gleichzeitig soll alles möglichst natürlich gehalten werden – und das heißt dann eben auch: Nicht immer hübsch grün, sondern manchmal braun und vertrocknet.  

Aber nicht nur in New York, sondern weltweit müssen Stadtplaner den Spagat zwischen hübsch und natürlich meistern. Denn neben der High Line hat es die Natur auch in andere Städten zurück in die urbanen Zentren geschafft – zumindest in domestizierter Form. So gibt es inzwischen auch in Kopenhagen, Barcelona und Seoul ähnliche Projekte. In Paris verwandelten Stadtplaner sogar bereits in den 1990er Jahren eine stillgelegte Hochbahntrasse in einen 4,5 km langen erhöhten Parkwanderweg. Das Projekt „Coulée verte René-Dumont“ gilt als Vorbild für die New Yorker Highline und durchzieht das 12. Arrondissement von Paris, vorbei an Galerien, Kunstboutiquen und Parks. Auch im 16. Arrondissement gibt es mittlerweile eine vergleichbare Promenade.

Wildnis in Berlin, Wohnungsbau in Hamburg

Zwar keine Hochbahntrasse, aber aus einem alten Schienenkreuz entstanden ist der Gleisdreieck-Park in Berlin-Kreuzberg. Im ursprünglichen Güter- und Postbahnhof hat sich in seinen Jahrzehnten als wilde Brachfläche eine große Artenvielfalt angesiedelt, die in dem neuen Konzept-Park seit 2006 zumindest zum Teil erhalten bleibt. Das 26 Hektar große Gelände teilt sich heute in angelegte Parkflächen, Spazierwege und Sportplätze, sowie verwilderte Flächen.

Während die deutsche Hauptstadt beim Bepflanzen alter Bahngleise auf einer Trend-Welle mit Metropolen weltweit schwimmt, steht diese Entwicklung dem Hamburger Bahnhof in Altona nicht bevor. Die Deutsche Bahn plant, den bisherigen Fern- und Regionalbahnhof in fünf Jahren durch einen neuen Bahnhof an der heutigen S-Bahn-Station Diebsteich zu ersetzen. Laut der Bahn-Sprecherin Kerstin Eckstein sollen die dann freiwerdenden Flächen in Altona für den Wohnungsbau genutzt werden. Schienen und den Bauschutt des Bahnhofsgebäudes will die Bahn recyceln. Eine Brachflächen-Nutzung oder Bepflanzung des „teuren, innerstädtischen Geländes“ sei nicht geplant. So geht der Trend zur urbanen Wildnis an Hamburg wohl vorbei.