In der Arktis geschieht seit Jahren Beunruhigendes: die Lufttemperatur steigt überdurchschnittlich stark an, das Eis schmilzt im Sommer zu neuen Minimalausdehnungen zusammen und auch im Winter werden die Zeiträume, in denen Schnee den Boden und die Pflanzen bedeckt, immer kürzer. Geoforscher der Universität in Helsinki haben nun in einem Modell simuliert, wie sich der Rückgang der Schneedecke auf die dortige Vegetation auswirkt. Ihre Ergebnisse haben sie diesen Montag im Fachblatt „Nature Climate Change“ veröffentlicht.

Das Modell zeigt, dass die Erwärmung der Region zwar die generelle Artenvielfalt in der Arktis erhöht, es aber dennoch zum sogenannten lokalen Aussterben bestimmter Pflanzenarten kommt. Lokales Aussterben bedeutet, dass eine Art in einem bestimmten Gebiet komplett verschwindet. Das liegt daran, dass mit der Schneedecke auch deren Schutzfunktion verloren geht. So gedeihen einige arktische Pflanzenarten nur unter einer dichten Schneedecke, weil sie dadurch nicht unmittelbar den harschen Bedingungen des arktischen Winters ausgeliefert sind. Andere Teile der arktischen Flora profitieren wiederum von den verkürzten Perioden einer Schneebedeckung und den milderen Temperaturen.

Die Wissenschaftler befürchten nun, dass sich bestimmte Pflanzen in der Arktis immer stärker ausbreiten könnten, während andere gänzlich verschwinden. Wir haben Pekka Niittynen, Erstautor der Studie, gefragt, ob er seine Ergebnisse für uns einordnen kann.

Herr Niittynen, ist die Erkenntnis neu, dass ein Zusammenhang zwischen Schneedecke und dem Gedeihen arktischer Pflanzen besteht?

Arktis- oder Alpenforscher müssen ganz genau verstehen, inwiefern Schnee für bestimmte Umweltphänomene verantwortlich ist. Allerdings fehlte lange Zeit eine gute Datengrundlage. Soweit ich weiß, ist unsere Studie die erste, welche die Effekte von unterschiedlichen Temperaturen und Perioden der Schneebedeckung auf die Biodiversität der Arktis untersucht hat. Dabei stützen wir uns auf Satelliten-Daten der letzten Jahrzehnte. Ohne die wäre unsere Studie nicht möglich gewesen.

Wie lautete Ihr Forschungsziel, als Sie mit dem Modell einer künftigen Arktis begonnen haben?

Ich beschäftige mich in all meinen Studien mit der Frage, wie sich Schneebedeckung auf Ökosysteme auswirkt. Deshalb weiß ich, dass die Rolle von Schnee noch stark unterschätzt wird. Im Gegensatz zu Hochrechnungen über die Entwicklung der Durchschnittstemperaturen sind die Vorhersagen zur Schneebedeckung noch sehr unbestimmt. In Anbetracht der Ergebnisse unseres Modells ist es alarmierend, dass wir noch so wenig verlässliche Prognosen über die Entwicklung der Schneebedeckung im nördlichen Ökosystem haben.

Ihre Studie zeigt, dass bestimmte Pflanzenarten durch den Rückgang der Schneedecke vom Aussterben bedroht sind. Bei welchen ist die Bedrohung besonders akut?

Am meisten bedroht sind die Arten, die in langlebigen Schneebetten wachsen, welche erst spät im Frühjahr oder Sommer schmelzen. Das ist zum Beispiel der Gletscher-Hahnenfuß oder der Schnee-Hahnenfuß – beides spezielle Arten der Arktis-Alpenregion. Im Allgemeinen sind am häufigsten die Arten betroffen, die sowieso schon selten vorkommen. Die gewöhnlicheren Pflanzentypen scheinen robuster gegenüber Änderungen der Schneeverhältnisse zu sein. 

Auf welche Probleme weist Ihr Modell hin?

Sowohl das frühere Schmelzen der Schneedecke wie auch die höheren Temperaturen können zwar dazu führen, dass die Artenvielfalt in der Arktis sich prinzipiell erhöht, da mehr südliche und an mehr Wärme gewöhnte Pflanzen sich ansiedeln können. Allerdings ist eine langanhaltende Schneedecke von entscheidender Bedeutung für viele Arten, die nur im arktischen oder alpinen Gebieten vorkommen. Das bedeutet, dass das Verschwinden des Schnees die Landschaft in der Arktis homogenisiert. Dadurch, dass die ganze Arktis sich sehr viel schneller erwärmt als der Rest der Erde, haben die dortigen Gewächse keinen Ort zum Fliehen und werden von den eindringenden neuen Arten verdrängt. Diese Dynamik wird weitreichende Konsequenzen für die Funktionen und Prozesse des kompletten arktischen Ökosystems haben.