Nach zwei Extratagen und einer durchgemachten Nacht steht nun das Ergebnis der Verhandlungen zu nächsten „Groko“: SPD und die Unionsparteien haben sich auf einen Koalitionsvertrag geeinigt und zeigen sich erschöpft, aber erleichtert. So rief CDU-Politiker Peter Altmaier nach Abschluss der Verhandlungen, mit Sakko über der Schulter und hochgekrempelten Hemdsärmel davoneilend, den wartenden Journalisten zu: „Die Chance ist groß, dass wir eine neue Regierung bekommen. Und jetzt wollen wir alle mal duschen.“

Die SPD konnte beim Verhandlungsergebnis vor allem bei den Ministerposten punkten, sie soll die prestigeträchtigen Ressorts für Außenpolitik, Finanzen sowie Arbeit und Soziales bekommen. Inhaltlich dagegen konnte sie ihre zentralen Forderungen wie die Abschaffung der sachgrundlosen Befristung sowie die Bürgerversicherung nicht ganz durchsetzen. Und gerade bei der Umweltpolitik überzeugt das Ergebnis wenig: Zwar gibt es in Detailfragen Verbesserungen gegenüber der vergangenen Legislaturperiode, im Gesamtbild bleiben die Maßnahmen für Umwelt- und Klimaschutz allerdings unkonkret.   

Carsten Neßhöver vom Sachverständigenrat für Umweltfragen, der die Bundesregierung berät, sagt im Gespräch mit dem Greenpeace Magazin: „Früher war die EU-Umweltgesetzgebung der kleinste gemeinsame Nenner und Deutschland hat eine Vorreiterrolle eingenommen. Diese Vorreiterrolle im Klimaschutz gibt Deutschland nun ganz bewusst auf.“ Solch eine Haltung habe sich bereits in den letzten Jahren angedeutet und sei nun im Koalitionsvertrag zementiert worden. „Der Hinweis im Vertragswerk, dass EU-Recht nur noch eins zu eins umzusetzen, ist schon bedauerlich“, so Neßhöver. „Früher hatte Deutschland da häufig die Ambitionen, es besser zu machen.“

Allerdings sei es laut Neßhöver prinzipiell positiv, dass die Verhandlungspartner sich noch zu den Klimazielen bekennen. Im Koalitionsvertrag heißt es vieldeutig, dass man Ergänzungen vornehmen wolle, um „die Handlungslücke zur Erreichung des Klimaziels 2020 so schnell wie möglich zu schließen“. Das Minderungsziel 2030 solle aber auf jeden Fall erreicht werden. Nach allgemeiner Auffassung kommt das jedoch einer Absage an das Klimaziel 2020 gleich, die sich schon in den Sondierungsgesprächen im Januar angekündigt hatte.

Absage an Klimaziel 2020 und Zusage an erneuerbare Energien

Auch Carsten Neßhöver hat da wenig Hoffnung: „Es würde sehr schwierig werden, den CO2-Ausstoß bis 2020 noch so stark zu reduzieren. Dafür müsste man in weniger als zwei Jahren  zahlreiche Kohlekraftwerke abschalten – und das ist allein rechtlich nur sehr schwer umsetzbar.“ Als positives Signal für die Klimaziele liest sich im Koalitionsvertrag hingegen das Vorhaben, den Anteil erneuerbarer Energien am Stromverbrauch schneller auszubauen – auf einen Anteil von 65 Prozent bis 2030.

Dass die Verhandlungspartner planen, Kommissionen für die Bereiche Klima, Bau und Verkehr einzusetzen, ist auch ein zweischneidiges Schwert. So soll die Kommission „Wachstum, Strukturwandel und Beschäftigung“ beispielsweise darüber beraten, wie die Kohleverstromung in Deutschland reduziert und bis wann sie abgeschlossen sein wird. Außerdem soll die Kommission Vorschläge für die dafür notwendigen rechtlichen, wirtschaftlichen, sozialen und strukturpolitischen Begleitmaßnahmen machen. Auch die Umweltverbände sollen in wichtige politische Entscheidungen einbezogen werden, was Carsten Neßhöver grundsätzlich positiv sieht. Andererseits kann es dadurch sehr lange dauern, bis Ergebnisse vorliegen. Viele Umweltgruppen kritisieren es, drängende politische Entscheidungen in Kommissionen auszulagern, da wichtige Problemlösungen auf diese Weise „vertagt“ beziehungsweise ausgesetzt würden.

Die Deutsche Umwelthilfe (DUH) befürchtet, dass gesetzliches Handeln im Klimaschutz die kommenden Monate bis Jahre weiter auf Eis liege, da im Koalitionsvertrag konkrete Maßnahmen und Zahlen zu Klimaschutz, Kohleausstieg, Gebäudeeffizienz, CO2-Einsparungen und zum Verkehrssektor fehlen. DUH-Geschäftsführer Sascha Müller-Kraenner sagte: „Die notwendigen Entscheidungen zum Klima-, Ressourcen- und Naturschutz werden auf den Sankt-Nimmerleins-Tag verschoben.“ Auch Germanwatch vermisst den konkreten Gehalt in den Absichtserklärungen von CDU, CSU und SPD zu Nachhaltigkeit und Klimaschutz. „Die Koalitionsparteien versäumen die Chance, die Ernsthaftigkeit mit klaren Rahmensetzungen zu untermauern, da zentrale Umsetzungsmaßnahmen erst nächstes Jahr beschlossen werden sollen“, heißt es in der Einschätzung des Umweltverbands. Greenpeace sieht auch Defizite im Koalitionsvertrag, wenn es um Verkehr und Luftbelastung in deutschen Städten geht.

Lichtblicke verstecken sich in den Details

Allerdings gäbe es auch Lichtblicke, etwa in den Details zum Naturschutz. Hier begrüßt Carsten Neßhöver, dass es das sogenannte „Blaue Band“ für Gewässerschutz und das – schon in den Jamaika-Verhandlungen zwischen Grünen, FDP und Union besprochene – Insektenschutzprogramm in den Koalitionsvertrag geschafft haben. Außerdem wollten sich die Koalitionspartner für einen EU-Naturschutzfonds einsetzen und die Entwicklung von Wildnisgebieten fördern. Verbesserungen für den Tierschutz wollen die Parteien erreichen, indem sie ein staatliches Tierwohllabel einführen und das Massentöten männlicher Küken ab Ende 2019 verbieten. Auch die Nutzung von umstrittenen Pflanzenschutzmitteln wie Glyphosat planen SPD und Union so bald wie möglich zu beenden, ein Datum steht nicht im Ergebnispapier.

Ob der Koalitionsvertrag überhaupt in Kraft treten wird, ist ungewiss. Vorher müssen bei der SPD noch die 463.723 Parteimitglieder zustimmen. Und dagegen hatten besonders die Jusos, allen voran ihr Vorsitzender Kevin Kühnert, schon im Vorfeld Stimmung gemacht. Ob sie damit erfolgreich waren, wird sich zeigen. Das Ergebnis des Mitgliedervotums könnte bereits am Wochenende vom 3. und 4. März bekannt gegeben werden.

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