Die Covid-19-Pandemie ist eine Katastrophe mit Ansage. Und sie ist eine, die hätte vermieden werden können. Unter Virologen hat sich weltweit die Erkenntnis durchgesetzt, dass Virusausbrüche wie Sars, Ebola oder Mers nicht einfach passieren. Sie sind ein Resultat menschlichen Eingreifens in fragile Ökosysteme. 

Mit Rodungen, neuen Straßen, wachsenden Siedlungen, großen Plantagen und neuen Minen bringen wir die Natur allerorten aus dem Gleichgewicht, oft ohne es zu merken. Wir vertreiben damit manche Tiere und fördern die Vermehrung anderer – und wir zwängen ihnen ein Leben in unserer Nähe auf. Wir ernähren uns von denselben Bäumen wie wilde Tiere, kriechen durch dieselben Höhlen oder essen diese Tiere gar – wer bei den aktuellen Hygienevorschriften aufgepasst hat wird merken, dass das keine gute Idee ist. Denn so können manche Viren von Tieren auf Menschen überspringen.

Genau das ist 2013 passiert, als ein zweijähriger Junge im Südosten Guineas in einen hohlen Baumstamm kroch. Darin wurde er vielleicht von einer Fledermaus gebissen, vielleicht fasste er auch nur in ihren Kot. Kurze Zeit später starb er an hohem Fieber und schweren inneren Blutungen. Danach starben auch seine Schwester, Mutter und Großmutter. Und danach mehr als 11.000 weitere Menschen. Der Name der Krankheit: Ebola.

Sie zählt zu den Zoonosen, also solchen Viruserkrankungen, die sich von Tieren auf Menschen übertragen und umgekehrt. Rund zwei Drittel aller menschlichen Infektionskrankheiten stammen ursprünglich von Tieren. Dazu zählt eine ganze Reihe von Krankheiten wie Pest, Tollwut, Gelbfieber, Malaria, Sars, Mers und auch Aids. Letztere hat sich wahrscheinlich in den Zwanzigerjahren von Schimpansen auf Menschen übertragen, als Jäger sie töteten und aßen. Zoonosen sind deswegen so gefährlich, weil das menschliche Immunsystem auf sie nicht vorbereitet ist, ebenso wenig wie das Gesundheitssystem. Und ohne Antikörper, Impfungen oder Medikamente können neue Viren oft ungebremst ihren Schaden anrichten.

Je stärker die Menschen in die Natur eingreifen, desto mehr solcher Krankheiten fangen sie sich dadurch ein. „Jede neu aufkommende Krankheit in den letzten dreißig oder vierzig Jahren ist durch das Eindringen in wildes Land und Veränderungen in der Demographie entstanden“, sagte Peter Daszak der New York Times schon 2012. Er ist Präsident der Eco Health Alliance, einer Organisation mit Sitz in New York, die die ökologischen Ursprünge von Krankheiten untersucht. Die vom Menschen ausgelösten Veränderungen sind oft komplex und werden deswegen erst viel zu spät bemerkt. Borreliose etwa konnte sich in Amerika so gut ausbreiten, weil der Mensch mit seinen Siedlungen Raubtiere wie Wölfe und Adler verdrängte, die hätten sonst den Bestand der Weißfußmaus klein gehalten. Sie trägt die Krankheit und pflegt zudem ihr Fell schlecht, dadurch können sich Zecken auf ihr wunderbar vermehren und die Krankheit dann auf Menschen übertragen.

Auch das enge Zusammenleben mit Nutztieren birgt Gefahren. So sprang das Coronavirus Sars 2002 von Schleichkatzen und Marderhunden auf den Menschen über. Die wegen ihres Fells gezüchteten Tiere hatten mit dem Virus infizierte Fledermäuse gefressen. An dem „Schweren Akuten Atemwegssyndrom“ starben infolge dessen 774 Menschen. Und dass mutierte Viren in der Tierhaltung kein rein chinesisches Problem sind, erklärt Christian Drosten, Leiter des Instituts für Virologie an der Berliner Charité und heute wohl bekanntester Virologe Deutschlands: „Das ist immer wieder dasselbe Muster, ob es jetzt hier bei uns in der Gegend die Schweinezucht ist, die die Influenza antreibt, oder eben auch in China.“ Die Tierhaltung fungiert gewissermaßen als Reservoir neuer Keime, sei es nun bei der „Spanischen Grippe“ von 1918, die wohl von Geflügel oder Schweinen auf den ersten Patienten übersprang, oder bei der „Schweinegrippe“ von 2009.

Dass eine Zoonose auch die nächste Pandemie auslösen würde, galt als gewiss. Nur wann, das wusste niemand. Derchinesische Forscher Peng Zhou vom Institut für Virologie der chinesischen Wissenschaftsakademie in Wuhan sagte allerdings vor genau einem Jahr voraus, was jetzt passiert ist. Er war selbst an Sars erkrankt, der ersten Pandemie des 21. Jahrhunderts. Peng Zhou widmete sich daraufhin der Erforschung von Coronaviren, vor einem Jahr warnte er dann: „In der chinesischen Esskultur gelten lebende Schlachttiere als nahrhafter, und dieser Glaube kann die Übertragung von Viren fördern.“ Es werde allgemein angenommen, dass in Fledermäusen vorkommende Coronaviren wieder auf Menschen überspringen und den nächsten Krankheitsausbruch verursachen würden. „China ist ein wahrscheinlicher Hotspot. Die Herausforderung besteht darin, vorherzusagen, wann und wo solche Ausbrüche verhindert werden können.“

Hätte der Ausbruch verhindert werden können, hätte man rechtzeitig die Wildtiermärkte in China verboten, wie es nun von vielen gefordert wird? Vielleicht. Wahrscheinlich hätte man aber bloß Ort und Zeit des nächsten Ausbruchs verschoben. Der Wandel, den es braucht um diese Gefahr einzudämmen, ist global. Es geht nicht darum, die Natur in Zukunft unberührt zu lassen. Es geht darum sich nachhaltig zu verhalten und Zusammenhänge zu verstehen. Dazu zählt auch unsere globalisierte Lebensweise: Covid-19 konnte sich nur so schnell über die ganze Welt verbreiten, weil Menschen und Waren beständig um die Erde reisen. „Wir bestellen alles übers Internet, wir bestellen aus China, wir bestellen aus Amerika, das kommt rechts und links und hoch und runter, und das ist letztendlich der entscheidende Faktor“, sagt Jonas Schmidt-Chanasit vom Hamburger Bernhard-Nocht-Institut für Tropenmedizin. „Das Problem ist wirklich menschengemacht.“

Noch ist nicht absehbar, wie viele Menschenleben Covid-19 fordern wird und welche Lehren wir daraus ziehen werden. Machen wir danach weiter wie zuvor, ist die nächste Pandemie gewiss. Abermals wird es dann nicht eine Frage des Ob sein, sondern nur des Wann.

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