Während sie vor zweihundert Jahren noch überall verteilt in Deutschland lebte, galt die Wildkatze seit Ende des 19. Jahrhunderts vielerorts als verschwunden. Bis zu Beginn des 20. Jahrhunderts jagten Menschen die Raubkatzen, weil ihnen mystisch angedichtet wurde, sie würden Wild reißen. Dadurch reduzierte sich die Population der Wildkatzen dramatisch.

Durch ein vereinheitlichtes Jagdgesetz wurde die Wildkatze 1934 unter ganzjährigen Schutz gestellt. Nun schleicht sich die kleine Raubkatze zurück in die Wälder, laut Schätzungen des Bund für Umwelt und Naturschutz (BUND) gibt es aktuell wieder zwischen 5.000 und 10.000 Wildkatzen in Deutschland. Gefördert wurde diese Entwicklung durch den sogenannten Wildkatzensprung: Das vom Bundesumweltministerium 2011 gestartete Projekt sollte Deutschland wieder lebenswert für die Raubtiere machen. Dieses Jahr ist die europäische Wildkatze „Tier des Jahres 2018“ – ernannt von der Deutschen Wildtierstiftung.

Baldrianduft wirkt betörend auf Wildkatzen – besonders zur Paarungszeit

Sechs Jahre lang haben Umweltschützer versucht, sich durch Monitoring einen Überblick über die Wildkatzen-Population zu verschaffen. Hierfür stellen sie zur Paarungszeit, die für Wildkatzen von Januar bis März dauert, angeraute sogenannte Lockstöcke mit Baldrianduft im Wald auf. Die Heilpflanze riecht für Wildkatzen wie ein Sexualhormon. „Das kennt man ja von Hauskatzen, die reagieren auch ganz betört auf Baldrian“, sagt Judith Freund vom BUND. Gerade Kater auf der Balz riechen den Duft auf hunderte Meter.

Magisch vom Baldrianduft angezogen, reiben die Katzen sich nachts am Stab und verschwinden danach wieder. Einmal in der Woche kontrollieren ehrenamtliche Helfer die Lockstöcke und suchen nach Haaren, welche die Tiere beim Reiben verloren haben. Die Katzenhaare werden dann als genetisches Material an das Forschungsinstitut Senckenberg im hessischen Gelnhausen für weitere Analysen geschickt. Anhand dieser Daten können die Forscher nachweisen, dass Wildkatzen in einem bestimmten Gebiet vorkommen und um welche Katze es sich handelt. Die Ergebnisse aus der aktuellen Monitoringphase müssen nun noch ausgewertet werden.

Letztes Jahr konnte von etwa 5.500 eingeschickten Haarproben gut die Hälfte, nämlich 2.888, als Haare von Wildkatzen nachgewiesen werden. Das ist eine wichtige Unterscheidung, denn die europäischen Wildkatzen stammen nicht von verwilderten Hauskatzen ab, sondern gehören einer eigenen, nicht domestizierbaren Art an. „Um flächendeckend zu bestimmen, wie viele kleine Raubkatzen es genau gibt, eignet sich die Lockstöcke-Methode allerdings nicht“, so Judith Freund gegenüber dem Greenpeace Magazin. Dafür haben die Umweltschützer inzwischen einen guten Überblick in welchen Waldgebieten inzwischen überhaupt wieder Wildkatzen leben. Die gesammelten Daten haben sie in einer Landkarte zusammengefasst.

Wildkatzen gelangen kaum vom Südwesten in den Nordosten – es fehlen grüne Korridore

So finden sich die meisten Wildkatzen im Südwesten von Deutschland. „Dabei gibt es gerade in Brandenburg Wälder, die sich als idealer Lebensraum anbieten würden. Aber es gibt einfach keinen Weg, auf dem die Wildkatzen dorthin gelangen könnten“, so Freund. Und genau das wollen die Naturschützer ändern. Parallel zum Monitoring der Tiere arbeiten sie daran, deren Lebensraum aufzuwerten und durch grüne Korridore – sogenannte Wildkatzenwanderwege – zu verbinden.

Allerdings ist schon vergangenen Herbst das Förderprojekt „Wildkatzensprung“ offiziell ausgelaufen. Die Umweltschützer vom BUND machen nun teilweise auf eigene Rechnung weiter. Bis Ende dieser Woche läuft noch das Monitoring mit den Lockstöcken, von dem sie sich neue Erkenntnisse über die Wege der Wildkatzen von Süd nach Nord erhoffen. Denn wie es die Wildkatze bis in die Lüneburger Heide geschafft hat, lässt Forscher und Aktivisten rätseln. „Da gibt es bisher eigentlich keine durchgängigen Schleichwege, die von den derzeitigen Verbreitungsgebieten der Wildkatze bis soweit nach Norddeutschland reichen“, sagt Judith Freund.

Allerdings wird die Datenanalyse der neuen Katzenhaar-Proben einige Monate dauern. Bis die neuen Ergebnisse im September vorliegen, pflanzen die Umweltschützer mit Unterstützung der Bundesländer weiter grüne Korridore durch ganz Deutschland. „Die Schleichwege sollen sich wie ein Netz über die bisherigen und potentiellen Kernlebensräume der Wildkatze legen“, so Freund. Das soll es den Wildkatzen vereinfachen, sich auch in den Waldgebieten im Norden zu verbreiten. Den letzten grünen Korridor pflanzten die Naturschützer im Herbst 2017 beim niedersächsischen Hameln. Nun gibt es hier eine fast durchgängige Waldverbindung zwischen dem Hamelner-Fischbecker Wald und dem Süntel.

Den Kauf der Flächen finanzieren die BUND-Aktivisten durch Spenden. Aktuell pflanzen ehrenamtliche und hauptamtliche Umweltschützer in Niedersachsen und Baden-Württemberg zwei weitere Korridore. Und auch in Sachsen und Sachsen-Anhalt sind neue Wildkatzenwanderwege geplant. Außerdem werten sie – zuletzt hauptsächlich im Großraum Eifel in Nordrhein-Westfalen und Rheinland-Pfalz – Waldgebiete mit bestimmten Maßnahmen auf. So lassen sie beispielsweise Altholzinseln oder Wälle aus Baumkronen und Holzpoltern in wirtschaftlich genutzten Wäldern liegen, da Wildkatzen darunter geschützt ihre Jungen aufziehen können.

Geringe genetische Vielfalt gefährdet das Überleben von Wildkatzen – durch Krankheiten und Totgeburten

Gerade im letzten Jahrhundert haben Menschen in Deutschland immer mehr Verkehrsnetze gelegt und eine Infrastruktur gebaut, welche die natürlichen Lebensräume der Tiere zerschnitten hat. Die riesigen zusammenhängenden Waldgebiete zerfielen in voneinander isolierte Waldinseln. Da gerade Wildkatzen sehr scheu sind und nicht über das freie Feld oder durch bewohnte Gebiete laufen, wurden sie auf wenige Restlebensräume zurückgedrängt. „Die Populationen verarmten genetisch. Das führt vermehrt zu Krankheiten und Inzucht. Katzenbabys werden beispielsweise tot geboren oder haben aufgrund von Fehlbildungen schlechtere Chancen zu überleben“, beschreibt Judith Freund die Situation.  

Durch die Waldaufwertung und die Wildkatzenwanderwege wollen Freund und Kollegen dagegen steuern. Dadurch hoffen sie, dass die Raubkatzen sich wieder weitere Waldgebiete wie in Norddeutschland erschließen und dort auch genetisch unterschiedliche Partner zur Fortpflanzung finden. Judith Freund ist zuversichtlich, dass die Wildkatzen zurückgekommen sind, um zu bleiben. „Im Moment erholt sich die Wildkatzen-Population. Wenn wir die Lebensbedingungen der Wildkatze weiter verbessern können, rechnen wir künftig mit einem leichten Anstieg in Deutschland“, so die BUND-Sprecherin.

Doch wie es weitergeht, hängt – zumindest zu einem großen Anteil – von den umweltpolitischen Entscheidungen der neuen alten Bundesregierung ab. Denn um sich weiter zu vermehren, brauchen Wildkatzen noch mehr naturbelassene, miteinander verbundene Waldgebiete – möglichst auch über nationale Grenzen hinaus. Dann könnten die kleinen Raubkatzen künftig durch ganz Europa schleichen und sich mit möglichst vielfältigen Partnern paaren. Aber internationale Kooperationen hierzu stecken noch in den Kinderschuhen.