Kaum etwas anderes prägt das Bild moderner Städte so wie ihre Verkehrswege – allen voran natürlich jene fürs Auto. Straßen, Brücken und Tunnel durchziehen die deutschen und europäischen Metropolen, und die Suche nach Alternativen erscheint beinahe wie eine Utopie: Wie klingt eine Stadt, in der keine Autos mit Verbrennungsmotoren den Ton angeben? Wie lebt es sich in einer Stadt, in der Fußgänger und Radfahrer Vorrang haben? Wie könnte der Stadtverkehr der Zukunft aussehen?

Diese Fragen stehen im Mittelpunkt der diesjährigen Europäischen Mobilitätswoche, die vom 16. bis zum 22. September stattfindet. Kommunen aus ganz Europa nehmen an der Kampagne der Europäischen Kommission teil, um ihren Bürgerinnen und Bürgern alternative Verkehrskonzepte nahe zu bringen. Seit 2002 werden in dieser Woche neue Fuß- und Radwege eingeweiht, Elektrofahrzeuge probegefahren, Aktionen mit Schulen und Unternehmen durchgeführt und Initiativen für mehr Klimaschutz im Verkehr angestoßen. In Deutschland nehmen, kordiniert vom Umweltbundesamt, rund fünfzig Kommunen mit unterschiedlichsten Aktionen teil:

  • Allein in Berlin wird am 21. September in sieben Bezirken Straßenraum „umgenutzt“: Aus Parkbuchten werden Spielflächen, Anwohner errichten mit Rollrasen und Blumentöpfen Gärten vor ihrer Haustür, dazu gibt es Musik, Kaffee und mancherorts auch Minigolf. „Parking-Days“ wie diese finden außerdem in Aachen, Bad Kreuznach, Bremen, Dresden, Erfurt, Kassel, Leipzig, Lindau, Magdeburg, Osnabrück, Ratingen, Stuttgart und Würzburg statt.
  • In Köln zieht am 23. September der „Fancy Women's Bikeride“ durch die Stadt: Eine Fahrradparade von festlich angezogenen Frauen, die damit sowohl für das Radfahren werben als auch für mehr Sichtbarkeit von Frauen im öffentlichen Raum.
  • In Chemnitz, das zuletzt vor alle wegen der rechtsextremen Ausschreitungen im Fokus der Medien stand, wird am 22. September der Bahnhof zum Kulturbahnhof: In Lesungen, Ausstellungen und Konzerten wird er als Ort der Begegnung gefeiert – in der Autostadt Chemnitz ist das der Versuch, sowohl für den öffentlichen Nahverkehr als auch für ein offenes Miteinander zu werben.
  • In Mönchengladbach findet am gleich Tag ein Mobility-Slam statt: Ein Team von ortsansässigen Wortakrobaten lädt zu einer Poetry-Slam-Tour ein. Gemeinsam mit dem Publikum reisen sie per Fahrrad und zu Fuß quer durch die Stadt, von einer öffentlichen Bühne zur nächsten, um mit einfachsten Mitteln eine mobile Straßenperformance zu inszenieren.
  • Zwischen dem 13. und dem 16. September findet zwischen Freilassing und Laufen in Bayern sowie Salzburg in Österreich ein Musikfestival über Grenzen hinweg statt – hier ist Verkehr nicht eine Notwendigkeit, sondern eine Kunstform. Das „Take the A-Train“-Festival bietet entlang der Bahnstrecken des EuRegio-Raums mehr als vierzig Konzerte an rund 25 Spielstätten in Österreich und Deutschland an.
  • Viele Kommunen kooperieren mit Nachbarstädten im europäischen Ausland. Sie alle müssen ähnliche Verkehrsprobleme lösen – da liegen gemeinsame Aktionen während der Mobilitätswoche nahe. Die hessische Stadt Rosbach vor der Höhe organisiert mit ihrer polnischen Partnerstadt Ciechanowiec am 16. September einen großen Aktionstag, bei dem Teilnehmer geführter Fahrradtouren am Ende des Tages E-Bikes gewinnen können. Und Dresden tritt in den Austausch mit seiner tschechischen Partnerstadt Litoměřice: Am 16. September treffen sich Bürgermeister, Stadträte und Mitarbeiter beider Städte zum Austausch über Luftreinhaltung, erneuerbare Energien und Elektromobilität. Ein schönes Zeichen für erfolgreiche europäische Kooperation!

Auch in anderen europäischen Ländern wird in dieser Woche viel „Verkehr“ sein: In Österreich kann, wer mindestens vier Tage zur Arbeit geradelt ist, Kurzurlaube gewinnen. In Frankreich, genauer in Paris, findet ein Hackaton statt: ein Wettbewerb, bei dem Softwareentwickler an klugen Lösungen arbeiten, die die digitale Vernetzung verschiedener Verkehrsanbieter vorantreiben. Und in den Niederlanden wird erstmals die kostenlose App Klokan vorgestellt, die Menschen zusammenbringt, die – wortwörtlich – das gleiche Ziel haben: sicheres Trampen in digitalen Zeiten. Hinter all diesen Aktionen steht die Idee, dass Erfahrungen mit positiven Mobilitätsalternativen Lust darauf machen, Teil der Veränderung zu werden.

Ihren Anfang nahm die Europäische Mobilitätswoche in den autofreien Tagen, die während der Ölkrise in den Siebzigerjahren stattfanden. Davon inspiriert, veranstaltete das französische Ministerium für Umwelt und Raumordnung am 22. September 1998 die Aktion „Mobil – ohne eigenes Auto!“ 35 Städte nahmen teil, viele Einwohner machten begeistert mit. Die Europäische Kommission entwickelte diese Idee weiter – denn für eine Verkehrswende braucht es mehr als nur weniger Autos. Darum wurden der „autofreie Tag“ auf eine ganze Woche ausgeweitet und um weitere Aktionen ergänzt. Im ersten Jahr engagierten sich 1732 Kommunen bei der Europäischen Mobilitätswoche, 2016 waren es 2427 Kommunen aus 51 Ländern.

2018 steht die Europäische Mobilitätswoche unter dem Motto „Mix and Move“ – die Aktionen beschäftigen sich mit der sogenannten multimodalen Mobilität. Was hochtrabend klingt bedeutet einfach, dass sich für verschiedene Wege unterschiedliche Verkehrsmittel anbieten: Für kurze Strecken kann man zu Fuß gehen, innerhalb der Stadt bieten sich Fahrrad, Elektrofahrrad, Teilautos und Teilräder oder öffentliche Verkehrsmittel an – und für lange Strecken der Bus, die Bahn oder auch mal das (Teil-)Auto. Was selbstverständlich klingt, ist es bis heute in vielen Fällen nicht. Denn die Flexibilität in der Wahl der Verkehrsmittel ist auch eine Frage der Einstellung: Wer jahrelang ausschließlich mit dem Auto zur Arbeit gefahren ist, dem muss man die Hand reichen, um ihn von Bus und Bahn zu überzeugen. Und wer es noch nie ausprobiert hat, für den mag das Carsharing eine große Hürde sein. Multimodale Verkehrsnutzung fängt da an, wo Menschen neue Arten der Fortbewegung ausprobieren – und die Kommunen die Möglichkeiten dafür bieten. Mit der Europäischen Mobilitätswoche will die Kommission für dieses „Ausprobieren“ eine Plattform schaffen.

Dieses Forum nutzen derweil auch Organisationen wie das entwicklungspolitische Netzwerk Inkota, um vor einer einseitigen Verkehrswende zu warnen. „Der Abbau von Lithium, auf das wir für unsere Batterien angewiesen sind, raubt Minderheiten in Chile, Argentinien und Bolivien ihre Lebensgrundlage“, sagt Beate Schurath, Referentin für Ressourcengerechtigkeit des Netzwerkes. So beanspruche der Lithiumabbau in der Atacama-Wüste täglich tonnenweise Wasser, in der Folge falle der Grundwasserpiegel – mit schwerwiegenden Folgen für die indigene Bevölkerung vor Ort. Während hierzulande der Elektroantrieb von Klimaschützern und der deutschen Automobilindustrie als Lösung gepriesen wird, sind Menschenrechtsaktivisten wie Schurath skeptisch: „Die Rechnung greift zu kurz“, sagt Schurath. „Für eine nachhaltige Mobilitätswende muss die Achtung von Menschenrechten und Umweltstandards an erster Stelle stehen.“ Die Vielfalt der Aktionen bei der Europäischen Mobilitätswoche weist dafür sicher den Weg in die richtige Richtung.