Nun also doch nicht. Zwar hatten die internationalen Wettbüros Greta Thunberg bereits seit Wochen als unangefochtene Favoritin für den Friedensnobelpreis geführt und Greta-Hasser die Verleihung an sie seit Tagen vorsorglich verdammt, aber letztlich hat das Nobelpreiskomittee doch noch anders entschieden und sich damit aus einer Verlegenheit geholfen. Denn eigentlich wäre so ein Friedensnobelpreis für eine 16-jährige Schulstreikerin gleichzeitig zu groß und zu klein gewesen. Zu groß womöglich für ein Mädchen, der man auch mal weniger Wirbel gönnen würde. Zu klein aber auch für die gewaltige Aufgabe, vor der die Menschheit angesichts der Klimakrise steht.

Ob mit oder ohne Friedensnobelpreis – Greta Thunberg mangelt es trotz ihrer noch jungen Aktivistenkarriere nicht an Preisen und Ehrungen. Das US-amerikanische Magazin Time listete sie erst unter den 25 einflussreichsten Teenagern des Jahres 2018 und dann unter den hundert einflussreichsten Persönlichkeiten des Jahres 2019, Amnesty International zeichnete sie als „Botschafterin des Gewissens“ aus, die Goldene Kamera erschuf extra für sie den Sonderpreis Klimaschutz, die belgische Universität Mons kündigte an, ihr die Ehrendoktorwürde zu verleihen. Im September wurde sie mit dem Right Livelihood Award ausgezeichnet, dem „Alternativen Nobelpreis“, der „mutige Menschen“ ehrt, „die globale Probleme lösen“.

Binnen kürzester Zeit ist Greta Thunberg zur Ikone der Umweltschutzbewegung geworden – und hat ebenso schnell deutlich gemacht, dass sie nicht zu streiken begonnen hat, um sich dann, mit Preisen geschmückt, auf einen Sockel stellen zu lassen. Als die von ihr gegründete Klimaschutzvereinigung Fridays for Future die Auszeichnung „Champions of the Earth“ des Umweltprogramms der Vereinten Nationen erhielt, lehnten die Schüler die Auszeichnung ab. „Auszeichnungen werden für die Anerkennung von Leistungen vergeben, aber die von uns angestrebte Leistung ist noch nicht erbracht worden“, sagte die 15-jährige Kallan Benson stellvertretend für Thunberg, die sich am Tag der Zeremonie auf dem Weg nach Montreal befand. Was aber hat Greta Thunberg erreicht, dass sie nun sogar beinahe den Friedensnobelpreis verliehen bekommen hat?

Schwäche als Stärke

Sie ist keine Wissenschaftlerin und keine Entscheidungsträgerin. Der Spiegel kritisierte, sie sei „keine Expertin“, Christoph von Marschall, Diplomatischer Korrespondent der Chefredaktion des Tagesspiegels, warf ihr vor das Politikverständnis zu infantilisieren. Was er ihr als Schwäche vorhält ist aber genau ihre Stärke: Sie drückt das Komplizierte einfach aus und trat damit weltweit eine Millionen Menschen umfassende Massenbewegung los. „Sie schafft es, Unmengen von Informationen zu prägnanten, einfachen, ehrlichen Botschaften zusammenzufassen. Diese Expertise hat uns bislang gefehlt“, sagte der schwedische Klimatologe Kevin Anderson gegenüber dem Spiegel. „Greta erreicht Menschen, die wir Wissenschaftler nie erreicht haben, allen voran Kinder und Jugendliche.“ Das Komitee des Right Livelihood Awards schreibt in seiner Begründung denn auch, man habe sich für sie entschieden, weil Thunberg „politische Forderungen nach dringendem Klimaschutz unter Berücksichtigung wissenschaftlicher Fakten inspiriert und verstärkt“ habe.

Das 16-jährige Mädchen wird die Probleme des Klimawandels nicht lösen. Thunbergs Stärke liegt darin, auf sie aufmerksam zu machen. Und das so einfach und grundsätzlich, wie es nur ein Schulkind kann. Ihr Alter und ihre politische Unerfahrenheit sind keine Schwächen, sie sind ihre Stärken.

Nicht zum ersten Mal hält ein junges Mädchen der Weltöffentlichkeit den Spiegel vor. 1992 sprach die 12-jährige Kanadierin Severn Cullis-Suzuki auf dem ersten Weltklimagipfel in Rio de Janeiro zu den Delegierten und rührte einige zu Tränen. Warum wurde aus ihr keine Ikone? Damals war das Internet noch nicht weit und Social Media erst recht nicht. Greta Thunbergs Aufstieg zur weltweiten Klimaschutz- Ikone konnte so nur in unserer vernetzten Welt stattfinden.

Mit ihrem Schulstreik, Freitag für Freitag, einem eigentlich ganz simplen Protest, hat sie eine Bewusstseinsänderung erreicht: Nie zuvor gingen so viele Menschen auf die Straßen, um für den Klimaschutz zu demonstrieren. Nie zuvor wurde „Flugscham“ zu einem stehenden Begriff und nie zuvor fühlten sich einflussreiche Politiker wie Donald Trump oder Vladimir Putin derart von einem friedlichen Umweltprotest herausgefordert, dass sie ein junges Mädchen mit kindischer Häme überzogen. Geschäftstüchtige wollen etwas von ihrem Glanz abbekommen – die größte deutsche Gründermesse „Bits & Pretzels“ nutzte sie als unfreiwilliges Maskottchen – Gegner versuchen, sie zu diffamieren – etwa als „junge Drama-Queen“ (die britische Zeitung Daily Mail), die zurück in die Schule gehen sollte.

Greta Thunbergs größte Herausforderung liegt wohl darin, Botschaft und Botin zu trennen. „Ich sehe mich nicht als Vorbild – das ist eine Position, die ich nicht angestrebt habe“, sagte sie gegenüber NBC News. „Sie ist eine Impulsgeberin für den Wandel“, sagt Kevin Anderson. „Wir dürfen nicht all unsere Hoffnungen auf Greta setzen. Wir müssen selbst etwas tun.“ Und das gilt auch ohne Friedensnobelpreis. Oder sogar erst recht.