Als die vier abgeschnittenen Luchsbeine in der Nähe ihres Wohnhauses lagen war Sybille Wölfl klar: „Das war eine Drohung.“ Und sie galt ihr. Die Diplombiologin ist die Leiterin des Luchsprojektes in Bayern und begleitet als solche die Rückkehr der scheuen Einzelgänger in den Bayerischen Wald. Mithilfe von Fotofallen dokumentiert die blonde 52-Jährige Bewegung und Vermehrung der Wildkatzen. Wenn Tiere verschwinden, bemerkt sie das. Anfang 2015 vermisste sie bereits seit Längerem die beiden Luchse Leo und Leonie, im Mai fand ihr Hund dann die Beine.

Das Verhältnis zwischen Menschen und Raubtieren war schon immer ein angespanntes. Aus Angst um das eigene Vieh, die eigene Jagdbeute und aus Gier nach ihrem kostbaren Pelz wurden Luchse in Deutschland gejagt, bis Mitte des 19. Jahrhunderts keiner mehr von ihnen übrig war. 

Anfang der Siebzigerjahre begann der Bund für Umwelt und Naturschutz (BUND) mit der Wiederansiedlung in Bayern, ab 2000 wurden im Harz 24 Tiere ausgewildert und seit 2016 werden auch im Pfälzerwald Luchse freigelassen. Bundesweit sei die Population auf achtzig Tiere zuzüglich Junge angewachsen, sagt Sybille Wölfl. Da die Jungensterblichkeit sehr hoch sei, zähle man die halbwüchsigen Tiere erst ab einem Alter von einem Jahr mit. Dann seien die Überlebenschancen recht hoch – „außer in Bayern, da ist das ein bisschen anders.“

Sieben Tötungen hat Wölfl dokumentiert, spurlos verschwunden sind doppelt so viele Luchse. Die Fauna-Flora-Habitat-Richtlinie der EU stellt den Luchs unter strengen Schutz, ihn zu töten ist eine Straftat. Bayerische Jäger gerieten in Verdacht, für sie ist die Raubkatze ein unwillkommener Konkurrent. Weil in Bayern der Grundsatz „Wald vor Wild“ gilt, ist der Rehbestand viel niedriger als etwa im Harz, wo erst ein Luchs illegal getötet wurde. Ein erwachsener Luchs reißt rund fünfzig Rehe im Jahr, allerdings auf einem Gebiet so groß wie dreißig Jagdreviere. Das sind statistisch nicht einmal zwei „entgangene“ Beutetiere pro Revier. Einigen Jägern scheint das dennoch zu viel zu sein, in Bayern führte das zum Krimi: In Verdacht geratene Jäger errichteten eine Mauer des Schweigens, ein ermittelnder Polizist wurde wegen Befangenheit von einem Fall abgezogen, ein verdeckt ermittelnder Artenschutzfahnder schaltete sich ein. 

Und der Bayerische Rundfunk machte 2014 Fernsehunterhaltung daraus. Der Sender ließ sich zu einer Dokumentation mit dem Tatort-Kommissar Andreas Hoppe als real ermittelndem Naturschützer hinreißen. Darin sagt ein Mitglied eines Männerbundes ohne Umschweife: „Ein wildes Tier hat bei uns in der freien Wildbahn nichts zu suchen. Die haben nicht umsonst früher diese Tiere ausgerottet.“ Und als sie das Haus eines Jägers durchsuchte, fand die Polizei 2016 Luchskrallen und -ohren, aber immer noch keinen Täter. „Seitdem ist trotzdem Ruhe eingekehrt“, sagt Wölfl. Und zum ersten Mal seit Jahren stieg die Zahl der Luchse in Deutschlands Wäldern wieder leicht an.

Wo große Wildtiere nach Deutschland zurückkehren, stellt sich die Frage der Koexistenz. Weitere Porträts solcher Rückkehrer finden Sie in der Ausgabe des Greenpeace Magazins 2.19 „Tierrechte“. Das Heft thematisiert das Verhältnis zwischen Mensch und Tier. Das Greenpeace Magazin erhalten Sie als Einzelheft in unserem Warenhaus oder im Bahnhofsbuchhandel, alles über unsere vielfältigen Abonnements inklusive Prämienangeboten erfahren Sie in unserem Abo-Shop. Sie können alle Inhalte auch in digitaler Form lesen, optimiert für Tablet und Smartphone. Viel Inspiration beim Schmökern, Schauen und Teilen!