„Wie wollen wir 2025 leben?“, fragt die Auftaktveranstaltung der Utopie-Konferenz, die am Montag, den 20. August, an der Universität Lüneburg beginnt. Gemeinsam mit Studierenden und interessierten Bürgern diskutieren Niko Paech und andere Gäste aus Politik, Wirtschaft und Wissenschaft darüber, wo wir als Gesellschaft hinmöchten und wie wir unsere Ziele erreichen. Zumindest Paech hat schon die Antworten parat. Im Gespräch mit dem Greenpeace Magazin erzählt der Ökonom, wie Genügsamkeit zum Ziel führt – und warum sein eigener Zukunftsentwurf gar nicht utopisch ist.

Herr Paech, Sie sollen auf der Utopie-Konferenz über schöne neue Welten diskutieren. Wie sieht für Sie eine utopische Gesellschaft aus?

Ich selbst glaube nicht an Utopien. Mir geht es um nachhaltige und humane Zukunftsentwürfe. Und dafür bedarf es keiner neuen Ideen, denn wir haben schon alles, was wir brauchen, um unser Leben verantwortbar zu gestalten. Daher ist der von mir entwickelte Entwurf einer Postwachstumsökonomie ganz und gar nicht utopisch. Er orientiert sich an Lebensstilen und Versorgungssystemen, deren Elemente längst bekannt sind und früher bereits praktiziert wurden. Utopien sind zumeist moderne Versprechungen, denen gegenüber ich ein gewisses Unbehagen verspüre.

Was bereitet Ihnen da Unbehagen?

Dass wir brutal über unsere Verhältnisse leben. Und durch unseren Lebensstil, den wir als modernen Fortschritt verklären, das Überleben der menschlichen Zivilisation gefährden. In der aktuellen Situation zu sagen, wir müssten noch moderner werden, um die Folgen der vorangegangenen Modernisierung zu tilgen, ist absurd. Das ist wie Benzin ins Feuer zu gießen. Deshalb ist das Konzept der Postwachstumsökonomie nicht utopisch, sondern eine Rückkehr zum menschlichen Maß. Viele als Modernisierung verklärte Vorstellungen wären rückgängig zu machen. Das betrifft die Mobilität, die Nutzung von Technik und den Konsum. Würden wir an den Ursachen ansetzen, müssten wir einfach nur genügsamer leben. Aber die Vorstellung, dass politische und technische Innovationen unsere Probleme lösen, ist bequemer, denn sie wälzt die Verantwortung ab – auf die Ebene einer Utopie. Und damit sind wir fein raus, denn die Utopie tritt per definitionem nie ein.  

Wie sollte es die neue bessere Gesellschaft mit der Umwelt halten?

Die Ökonomie wieder in die Ökosphäre einzubetten bedeutet, materielle Ansprüche zu senken. Nachhaltigkeit heißt, die Wirtschaft kleiner werden zu lassen und Handlungsmuster zu entwickeln, durch die Menschen befähigt werden, diese Situation zu meistern. Manche der notwendigen Alltagspraktiken haben wir früher beherrscht, aber im Modernisierungswahn verdrängt. Wenn ich mir überlege, was meine Eltern und Großeltern alles repariert haben, wie sorgfältig sie mit Gebrauchsgütern umgegangen sind und wie sesshaft sie waren. Das ist zwar nicht utopisch oder innovativ, aber dafür umso wirksamer. Zusätzlich bedarf eine Postwachstumsökonomie einer sozialpolitischen Flankierung: Das heißt, die verbleibende Arbeitszeit in einer nur noch halb so großen Wirtschaft, muss gerecht verteilt werden.

© Kay MichalakNiko Paech forscht zur Postwachstumsökonomie und plädiert im Interview für Genügsamkeit, wenn wir unsere Ökosphäre noch retten wollen
© Kay Michalak

Niko Paech forscht zur Postwachstumsökonomie und plädiert im Interview für Genügsamkeit, wenn wir unsere Ökosphäre noch retten wollen

Wie lebt es sich denn in einer Postwachstumsökonomie?

Das 40-Stunden-Arbeitsmodell wäre allmählich durch eine 20-Stunden-Woche zu ersetzen, um in einer schrumpfenden Wirtschaft Arbeitslosigkeit zu verhindern. Die Menschen würden dann über eine geringere reale Kaufkraft verfügen, weil weniger produziert wird und weil sie weniger Einkommen haben. Dafür wird eine andere Ressource verfügbar, nämlich zwanzig Stunden an zusätzlicher Zeit. Und damit lassen sich deindustrialisierte und deglobalisierte Versorgungsstrukturen gestalten.

Das müssen Sie erklären. Was sind deindustrialisierte und deglobalisierte Versorgungsstrukturen?

Es geht um Selbstversorgung: Familien, Nachbarschaften, Gemeinden oder Kommunen könnten Güter selbst erzeugen und gemeinschaftlich nutzen. Und noch wichtiger ist es, das Bildungssystem und die Erziehung so zu verändern, dass jungen Menschen wieder handwerkliche Kompetenzen und materielles Improvisationsgeschick vermittelt werden. Dies ist nötig, um die Nutzungsdauer von Gebrauchsgegenständen zu verlängern. Dazu trägt bei, Dinge zu pflegen, instand zu halten und zu reparieren. Wenn damit die Nutzungsdauer verdreifacht wird und zugleich viele Dinge wie Waschmaschinen, Werkzeuge und Autos gemeinschaftlich genutzt werden, lässt sich so viel Geld sparen, dass mit dem Einkommen einer 20-Stunden-Woche ein gutes Leben möglich ist. Wenn dann zusätzlich die Mobilität, insbesondere der Flugverkehr reduziert wird, kann es gelingen, die derzeit jährlich zwölf Tonnen CO2-Emissionen pro Kopf um vier Fünftel zu senken – denn nur so kann die Ökosphäre noch gerettet werden.

Aber wie sollen denn alle Menschen lernen, sich künftig ihre Schuhe zu reparieren, ihre Kleidung zu nähen und ihr Essen anzubauen?

Es sollte nicht mehr so viel Geld in die Akademisierung fließen. Wir müssen jungen Leuten vermitteln, dass ein befriedigendes Leben auch als Handwerker möglich ist. Es kann nicht sein, dass inzwischen fünfzig Prozent aller Menschen akademisiert sind, die zumeist nichts mehr können, außer zu reden, zu schreiben, digitale Medien zu bedienen und unterwegs zu sein. Aber wenn sie ein Hemd oder Fahrradreifen reparieren sollen, sind sie überfordert. Da Akademiker selbst nichts herstellen können, müssen sie alles kaufen. Und so steigt in den Industrieländern nicht nur der Einkommens- und Konsumbedarf, sondern die Abhängigkeit vom Weltmarkt, also die Absturzgefahr der Ökonomie. Wir benötigen ein anderes Gleichgewicht zwischen arbeits- und wissensintensiven Beschäftigungen.

Sind Sie selbst denn handwerklich geschickt?

Ich bin kein Handwerker, aber mein zehn bis zwölf Jahre altes Notebook habe ich immerhin gerade selbst repariert. Das war eine Fummelei von zwei bis drei Stunden und ich musste mich mit einigen Youtube-Tutorials weiterbilden. Aber immerhin konnte ich herausfinden, warum der Rechner nicht mehr startet, und den Fehler beheben. Jetzt läuft er wieder einwandfrei.