Die umweltpolitischen Streitthemen stehen auf der Agenda der Sondierungsgespräche eher am unteren Ende der Liste. Am Sonntag ging es zum Auftakt zunächst um die Finanzlage, am nächsten Tag hauptsächlich um Europapolitik. Und etwas überraschend erteilte die Umwelt-Arbeitsgruppe dem deutschen Klimaziel für 2020 eine Absage. Die SPD will eben mit sozialer Gerechtigkeit punkten und die Union legt die Schwerpunkte auf innere Sicherheit und Flüchtlingspolitik. Die Glyphosatzulassung, die Agrarwende oder der Kohleausstieg spielen keine so entscheidende Rolle mehr wie noch zu Ende des vergangenen Jahres, als die Grünen Teil der Jamaika-Sondierungen waren. Dabei steckt insbesondere in der Frage nach der Verwendung des Pflanzenschutzmittels noch immer viel Konfliktpotenzial – und eine Chance für die SPD. 

Bereits bei Vorverhandlungen und einem Spitzentreffen letzte Woche hatten die Politiker versucht, den Glyphosat-Einsatz in Deutschland zu klären. Auch Bundeslandwirtschaftsminister Christian Schmidt (CSU) und Bundesumweltministerin Barbara Hendricks (SPD), die im Fokus der Glyphosat-Debatte standen, nahmen an den Treffen teil. Was bei den Gesprächen herausgekommen ist, wollten die Bundesministerien auch auf Anfrage nicht sagen.       

Glyphosat-Konflikt eskalierte auf Bundesebene

Ende November des vergangenen Jahres hatte die EU-Kommission die Verwendung von Glyphosat für weitere fünf Jahre erlaubt, jetzt überlegen deutsche Politiker, wie Bauern das Mittel in Deutschland anwenden dürfen. Bundeslandwirtschaftsminister Christian Schmidt (CSU) hatte für die Verlängerung gestimmt – gegen das ausdrückliche Votum der sozialdemokratischen Bundesumweltministerin Barbara Hendricks. Für die SPD ein Affront, der zum großen Streit mit der Union geführt hat.

Bauern verwenden das günstige Unkrautvernichtungsmittel weltweit, es ist der am meisten genutzte Herbizidwirkstoff. Inwiefern glyphosathaltige Pflanzenschutzmittel auch für Menschen gesundheitsgefährdend sind, ist umstritten. Während die Weltgesundheitsorganisation (WHO) das Mittel als „wahrscheinlich krebserregend“ einstuft, klassifiziert das Bundesinstitut für Risikobewertung (BfR) es als „nicht krebserregend“. Das Umweltbundesamt warnt jedoch vor schädlichen Folgen für Biodiversität und Artenvielfalt.

© dpaNiedersachsens Umweltminister Olaf Lies (SPD) ist unzufrieden mit der Glyphosat-Verlängerung aus Brüssel. Von den Berliner Sondierungsgesprächen erhofft er sich eine Kurskorrektur und ein Verbot auf nationaler Ebene
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Niedersachsens Umweltminister Olaf Lies (SPD) ist unzufrieden mit der Glyphosat-Verlängerung aus Brüssel. Von den Berliner Sondierungsgesprächen erhofft er sich eine Kurskorrektur und ein Verbot auf nationaler Ebene

Kein „Weiter so!“ aus Niedersachen

Olaf Lies, SPD-Umweltminister aus Niedersachen, kritisiert die Entscheidung, das Mittel weitere fünf Jahre zu verwenden: „Es muss ein klares ‚Stopp’ aus Berlin kommen“, sagt er. Er befürchtet, dass niemand an umweltfreundlichen Alternativen arbeitet, solange der Einsatz von Glyphosat die billigste Lösung für Landwirte ist. „Deshalb geht es derzeit nur mit Verboten", so Lies. Der Bundes-Eklat vergangenes Jahr hatte auch auf Länderebene in Niedersachsen zum Konflikt zwischen dem SPD-geführten Umwelt- und dem von CDU-Politikerin Barbara Otte-Kinast geleiteten Agrarministerium geführt. Allerdings haben sich die Wogen inzwischen geglättet. Lies und Otte-Kinast konnten sich darauf einigen, ein Ausstiegsszenario gemeinsam mit den Landwirten zu planen. Lies ist überzeugt, dass ein Zeitraum von drei, maximal fünf Jahre ausreicht, um den Glyphosat-Ausstieg vorzubereiten.

Zwischen Umweltminister und Landwirtschaftsministerin besteht heute Konsens. „Das Signal, das wir jetzt von den Sondierungsgesprächen brauchen, ist eine nationale Regelung, die den Einsatz von Glyphosat zügig reduziert und gleichzeitig Alternativen schafft“, sagt Lies. „Ein ‚Weiter so!‘ die nächsten fünf Jahre, das geht auf gar keinen Fall!“

Versöhnung auf Bundesebene steht noch aus

Auf Bundesebene bleibt der Dissens zwischen Umwelt- und Landwirtschaftsministerium bestehen. Während Barbara Hendricks das Problem auf nationaler Ebene angehen und die Anwendung von Glyphosat in Deutschland verbieten möchte, bleibt die Position von Bundeslandwirtschaftsminister Schmidt unverändert. Er fordert zwar eine strengere und sachgerechtere Anwendung von Glyphosat und ein Verbot im Haus- und Kleingartenbereich. Bauern sollen aber weiterhin das Pflanzengift auf ihren Feldern spritzen dürfen. Spannend bleibt, welche Richtung die Debatte bei den Sondierungsgesprächen zwischen SPD und Union nimmt – und ob die SPD Kapital schlagen kann aus der Vorgehensweise von Agrarminister Schmidt, die auch die Bundeskanzlerin missbilligt hatte.

Nachdem die Gespräche zwischen CDU/CSU, der FDP und den Grünen im November gescheitert sind, wirkte die Atmosphäre, die die neuen Gespräche begleitet, klandestin. Die Spitzen von Union und SPD haben sich vorgenommen, anders als bei den gescheiterten Jamaika-Verhandlungen, in der Öffentlichkeit zurückhaltender zu sein und nur wenig nach außen dringen zu lassen.

© dpaPolitiker verordnen sich Medienabstinenz – bei den Sondierungsgesprächen haben sich SPD und Unionsparteien auf möglichst wenig Öffentlichkeit geeinigt
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Politiker verordnen sich Medienabstinenz – bei den Sondierungsgesprächen haben sich SPD und Unionsparteien auf möglichst wenig Öffentlichkeit geeinigt

Olaf Lies ist selbst nicht bei den Gesprächen dabei, setzt seine Hoffnungen jedoch auf Niedersachsens Ministerpräsident Stephan Weil, der einer der Unterhändler ist. „Ich habe die glückliche Situation, dass zu den Bereichen Klimaschutz, Umwelt und Energie mein Ministerpräsident die Sondierungsgespräche leitet“, so Lies. „Das ist ein guter Weg.“ In der Sondierungsgruppe zu Umweltfragen sitzt Weil mit dem NRW-Ministerpräsident Armin Laschet von der CDU und Landtagsfraktionschef Thomas Kreuzer von der CSU zusammen. Nach Informationen des Redaktionsnetzwerks Deutschland (RND) haben die Unterhändler der Umwelt-Arbeitsgruppe in einem Ergebnispapier am zweiten Verhandlungstag bezweifelt, dass das deutsche Klimaziel noch realistisch sei: „Das kurzfristige Ziel für 2020 wird aus heutiger Sicht nicht mehr erreicht werden“, hieße es dort. Allerdings schlage die Arbeitsgruppe vor, zumindest an dem Ziel festzuhalten, die CO2-Emissionen bis 2030 um 55 Prozent zu reduzieren. Gleichzeitig sei die Bildung einer Kommission geplant, die einen Aktionsplan zum schrittweisen Ausstieg aus der Kohleverstromung erarbeiten solle.

Inwieweit die SPD den Glyphosat-Eklat bei den Unionsparteien als Druckmittel nutzen will, um eigene Positionen durchzusetzen, wollte im Vorfeld kein Politiker kommentieren. Barbara Hendricks hatte aber schon angekündigt, dass einiges an Vertrauen verloren gegangen ist. Das müssen die Unionsparteien sich erst wieder erarbeiten.

SPD- und Unionspolitiker sprechen hinter den Kulissen Klartext zum Thema Glyphosat

Olaf Lies ist sich sicher, dass hinter den Kulissen der nötige Klartext zur Glyphosat-Affäre gesprochen wurde und dass die SPD ihren Standpunkt klar machen konnte. Nun erhofft er sich von den aktuellen Verhandlungen eine Kurskorrektur: „Was von Christian Schmidt vollkommen falsch und gegen die Koalition entschieden wurde, muss bei Fortsetzung einer Großen Koalition dringend korrigiert werden.“

Anders als die Grünen bei den Jamaika-Verhandlungen, hat bei den aktuellen Gesprächen keine der Parteien Umweltschutz als programmatischen Fokus ausgerufen. So sehr sich die SPD mit Bildung und Sozialem rehabilitieren will, so stark stürzt sich die CSU in Hinblick auf die Landtagswahlen in Bayern im Herbst dieses Jahres auf die Flüchtlingspolitik. Während die CDU-Vorsitzende Angela Merkel vor allem auf eine stabile Regierung hinarbeitet und sich unkonkret und optimistisch gibt. „Ich glaube, es kann gelingen“, sagte sie zu Beginn der Sondierungsgespräche.

Umweltthemen sollen in Debatte nicht hinten runterfallen

Die bisherigen Regierungspartner wollen bis Ende der Woche ausloten, ob es zu einer neuen Großen Koalition kommen kann. Bis Donnerstag sollen erste Ergebnisse der Sondierungsgespräche vorliegen. Um die Koalitionsverhandlungen wirklich starten zu können, muss sich die SPD-Spitze die Zustimmung eines Parteitags holen, der für den 21. Januar geplant ist.

„Wenn es zu einer Koalition käme, müssten die Themen Klimawandel, Energiewende und Umweltschutz einen großen Schwerpunkt bilden und sich mit konkreten Maßnahmen und genügend Geld in einem Koalitionsvertrag wiederfinden“, sagt Lies. Allerdings hält der niedersächsische Umweltminister die Sorge für berechtigt, dass gerade diese Themen in der Debatte hinten runterfallen. „Aber ich werde mich gemeinsam mit meinem Ministerpräsidenten Stephan Weil dafür einsetzen, dass die zentralen Umweltthemen bei den Sondierungsgesprächen nicht vergessen, sondern auch Schwerpunkt werden“, so Lies.

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